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Er gab mir keine Zeit, über den Sinn seiner Worte nachzudenken, sondern begann an seinen Fingern abzuzählen und mir auseinanderzusetzen, daß ich unter anderem eine Zofe für meine Begleiterin brauchen würde, und einen Koch, und einen Bedienten für mich, und einen Eseltreiber, und einen Zeltaufsteller. Schließlich sagte er: »Zwölf Personen dürften insgesamt genügen; und ein so bemessenes Gefolge wird kein Aufsehen erregen, weil es gerade zur Not deinem Rang entspricht.«

Ich sah vor meinem geistigen Auge einen Schwarm schwatzender, keifender, schreiender, singender Bedienter, den in Zucht zu halten mir ganz unmöglich sein würde. Der bloße Gedanke daran nahm mich gegen den Plan ein, und ich sagte: »Ausgaben schrecken mich nicht; aber mein größter Luxus ist die Einsamkeit. Mach einen besseren Vorschlag! Und deinen Spiegel nimm zurück! Die anstößige Zeichnung ist vergnüglich; doch ich glaube kaum, daß sie mein Ansehen bei den Juden heben würde.«

Er nahm den Spiegel ohne Widerrede und erklärte: »Jetzt weiß ich, was wir tun. Da ist ein gewisser Nathan, der von Zeit zu Zeit in meine Dienste tritt. Einen einzigen Fehler hat er: daß er nichts redet; aber er ist ein durch und durch verläßlicher Mann und kennt Judäa, die Dekapolis, Samaria und Galiläa gleich gut. Als ich den Spiegel holte, sah ich ihn im Hof sitzen. Das bedeutet, er sucht Arbeit. Augenblicklich habe ich nichts anderes für ihn, und ich möchte nicht, daß er hier tagelang herumlungert; durch seine Schweigsamkeit geht er meinen Leuten auf die Nerven. Ich weiß, daß er Karawanen sogar bis Damaskus geführt hat. Setze ihm auseinander, wohin und auf welchem Wege du reisen willst, und er wird alles bestens ordnen. Du kannst ihm ruhig deinen Geldbeutel anvertrauen, und er wird in den Herbergen deine Rechnungen begleichen. Er feilscht nicht stundenlang, zahlt aber auch nicht, was man verlangt, sondern einfach das, was er für angemessen hält. Natürlich bekommt er auf diese Art von den Wirten keine Provisionen; aber er begnügt sich mit seiner Entlohnung.«

»Diesen Musterknaben würde ich gern sehen«, meinte ich, unsicher, ob es sich nicht bloß um eine Finte des Bankiers handelte. Aber er lachte über meine Zweifel, führte mich in den Hof und zeigte mir Nathan. Es war ein sonngebräunter Mann, barfuß, mit kurzgeschorenem Haar, in einen schmutzigen weißen Mantel gehüllt. Als er mir ins Gesicht blickte, kam mir vor, ich hätte noch nie so schwermütige Augen gesehen; doch irgendwie faßte ich sofort Vertrauen zu ihm.

Ich bat Aristainos, mein Vorhaben Nathan auseinanderzusetzen; aber er hob lachend die Hände und ging in sein Zimmer zurück, wo er seinen Buchhalter beauftragte, mein Reisegeld in einen Beutel einzuzählen und mir einen auf seinen Geschäftsfreund in Tiberias lautenden Kreditbrief auszustellen. Es war, als wollte er mit der ganzen Sache persönlich nichts zu tun haben. Als ich jetzt Nathan nochmals anblickte, wurde mir klar, daß ich zumindest keinen Spion vor mir hatte.

Ich sagte: »Du bist Nathan, und ich bin Marcus, ein Römer. Ich verreise mit einer Frau nach Tiberias und möchte das in möglichst schlichter, unauffälliger Form tun. Ich zahle dir den Lohn, den du verlangst, und du wirst auf der Reise die Kasse führen.«

Er musterte mein Gesicht und dann meine Füße, als wollte er feststellen, ob ich für eine Wanderung tauge, erwiderte aber nur mit einem Kopfnicken. Ich glaubte jedoch in seiner Miene ein gewisses Erstaunen zu entdecken.

»Ich glaube, drei oder vier Esel werden uns genügen«, fuhr ich fort. »Meine Begleiterin und ich brauchen Schlafmatten und Kochtöpfe. Beschaffe also, was dir nötig erscheint, und komm gegen Mittag zum Hause Karanthes', des Krämers, beim Hasmonäerpalast.«

Er nickte nochmals und ließ einen Zweig, von dem er auf einer Seite die Rinde abgeschält hatte, zu Boden fallen. Als er sah, daß der noch berindete Teil nach oben zu liegen kam, nickte er ein drittes Mal. Redselig war er wirklich nicht. Nach dem Verhör bei Aristainos war ich froh darüber, daß dieser Mann mich nichts fragen würde. Ich ging in das Haus zurück, um mich von dem Bankier zu verabschieden, der mir eine Abrechnung über mein Guthaben einhändigte und mir durch den Buchhalter Geldbeutel und Kreditbrief übergeben ließ.

»Glückliche Reise!« wünschte er mir. »Und sobald du zurückkommst, sehen wir uns hier in Jerusalem wieder.«

Ich kehrte in den Hof zurück und reichte Nathan meinen Geldbeutel. Er wog ihn in der Hand und befestigte ihn am Gürtel, überlegte ein wenig, blickte nach der Sonne und ging dann einfach seines Weges. Die Art, wie wir handelseins geworden waren, widersprach ebenso wie Nathans sonstiges Verhalten so völlig allem orientalischen Hang zum Feilschen, daß ich dem Mann lange verwundert nachblickte. Indes hatte ich keineswegs das Gefühl, daß er mich hintergehen würde.

Nun machte ich mich innerhalb der Mauern nach der Oberstadt auf, in die Gegend, wohin ich in der Dunkelheit dem Mann mit dem Wasserkrug gefolgt war. In dem Gewirr von Gäßchen und Treppen stieg ich höher und fand nach einigem Suchen das Tor in der alten Stadtmauer, durch das wir gegangen waren. So fest ich auch beschlossen hatte, die mir gegenüber derart abweisenden Sendboten nie mehr zu behelligen, ich wollte mich doch nach Möglichkeit vergewissern, ob sie die Stadt verlassen hätten.

Ich glaubte, das große Haus, in dem ich gewesen war, zu erkennen. Das schwere Tor stand offen; aber im Hofe regte sich nichts. Plötzlich verspürte ich eine unerklärliche Angst und wagte nicht einzutreten. Zögernden Schrittes ging ich vorbei, kam zurück und ging wieder vorbei. Das Tor zu durchschreiten vermochte ich jedoch nicht; auch wenn ich es gewollt hätte, wäre ich dazu außerstande gewesen.

Nach langer Unschlüssigkeit entfernte ich mich, voll Ärger und Selbstvorwürfen über meine Feigheit. Erstaunt bemerkte ich, wie verlassen dieses Viertel war; ich hatte nur ganz wenige Menschen erblickt. In der Nähe der Stadtmauer vernahm ich eintöniges Klopfen. Ein Bettler saß dort und schlug mit seinem Stock gegen einen Stein, um meine Aufmerksamkeit zu erregen; aber er war zu stolz, etwas von mir zu erbitten.

Ich habe die Erfahrung gemacht, daß man am klügsten tut, Bettlern keine Almosen zu geben, weil sie sonst hinter einem herhinken und man sie nicht mehr loswird. Aber dieser Bettler, dem die Füße fehlten, blickte mich bloß wortlos an und hörte zu klopfen auf, als er sah, daß ich ihn bemerkt hatte. Ich fühlte mich gezwungen, stehenzubleiben und eine Münze vor ihm hinzuwerfen.

Er hob die Gabe ohne Dank auf und fragte: »Was suchst du, Fremder? Wenn ich, der Fußlose, hier auf der Erde sitze, sehe ich viel und manches, wobei gesehen zu werden nicht allen recht wäre.«

»Dann gib mir ein Zeichen, wenn du kannst!« bat ich ihn.

»Reisevorbereitungen und schneller Aufbruch sind die einzigen Zeichen, von denen ich weiß«, erwiderte der Bettler. »Sogar Leute, die sonst bei Tage nicht gern ihre Gesichter zeigen, haben sich in Bewegung gesetzt. Soweit mir bekannt ist, handelt es sich um Fischer, und sie scheinen es eilig gehabt zu haben, zu ihren Netzen zurückzukehren. Ist dir dieses Zeichen von Nutzen?«

»Gewiß, und zwar mehr, als du glaubst«, antwortete ich und warf ihm vor Freude noch eine Münze hin. Er las sie wie geistesabwesend auf und starrte mich an, als wollte er herausbekommen, wer ich sein mochte. Dann fragte er plötzlich: »Hast du nicht eines Abends einen Blinden geführt und ihm beim Quelltor deinen Mantel geschenkt? Wenn ja, würde ich dir raten, ein Netz zu kaufen und den anderen zu folgen. Es könnte sein, daß dir ein großer Fischzug gelingt.«