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Etwas schnürte mir die Kehle zu, und mein Herz bebte. »Wer hat dich beauftragt, mir das zu bestellen?« brachte ich mühsam hervor.

Aber der fußlose Bettler schüttelte den Kopf und erklärte: »Niemand hat mich das geheißen. Ich habe es einfach aus Verbitterung gesagt. Wenn ich noch meine Füße hätte, wäre ich nämlich heute auch nach Galiläa gewandert. Durch die Straßen tönt es wie ein Lied und wie ein Jubelruf: Nach Galiläa, nach Galiläa! Aber ich kann nicht mit.«

»Du redest nicht wie ein Bettler«, bemerkte ich.

»Ich war nicht immer einer«, entgegnete er stolz. »Ich kenne die heiligen Schriften, und während ich fußlos im Straßenstaub sitze, fällt es mir leichter, Dinge aufzufassen und zu glauben, die ein gesunder, unverkrüppelter Mensch nicht begreifen kann. Wegen dieses Unfugs hat man mir schon öfter eins auf den Mund gegeben, und ich täte besser, die Zunge zu hüten. Aber als ich dich so schüchtern um das Haus, das auch ich von weitem beobachtet habe, streichen sah, da konnte ich nicht schweigen.«

»Also – auf nach Galiläa!« rief ich. »Du bestärkst meine Hoffnung.«

»Auf nach Galiläa!« wiederholte er eifrig. »Und wenn du ihn siehst, so bitte ihn, auch uns zu segnen, die Geringsten seiner Brüder, denen die Klüglinge ins Gesicht schlagen.«

In Gedanken vertieft, kehrte ich in die Unterstadt zurück. Aber als ich mich dem Hause meines Syrers näherte, wurden meine Füße ungeduldig. Ein wohliges, erwartungsvolles Fiebern wärmte mir die Seele, und in mir hob ein Tönen an, wie ein Lied und ein Jubelruf: Nach Galiläa, nach Galiläa! Ich konnte an nichts anderes mehr denken.

Dennoch durfte ich jetzt nicht geradewegs in mein Zimmer hinaufgehen; ich mußte mich vor dem Haus auf die Türschwelle setzen und warten. Frau und Tochter meines Hausherrn waren nämlich oben und halfen Maria beim Ankleiden. Karanthes erläuterte: »Die Frauen sind alle gleich; sie konnten einfach der Versuchung nicht widerstehen und mußten sich die schönen Kleider und den preiswerten Schmuck genauer anschauen. Bei dieser Gelegenheit hat übrigens meine Frau die Überzeugung gewonnen, daß Maria von Beeroth keine verstockte Sünderin ist, sondern eher ein harmloses Mädchen, das du retten und ehrbar machen willst.«

Ich fand keine Zeit zu einer Erwiderung; denn Frau und Tochter riefen mich jetzt von oben her und forderten mich mit fröhlichem Plappern auf, mir meine Braut zu besehen. Verwundert über ihre Sinnesänderung gehorchte ich, und mein Staunen wuchs, als ich Maria erblickte. In ihren neuen Kleidern sah sie noch jünger aus als gestern abend. Zur Zierde trug sie eine gestickte Binde um die Taille und ein Band um die Stirn, eine Halskette aus bunten Steinen, große Ringe in den Ohren und sogar Fußspangen. Mit vor Freude roten Wangen begrüßte sie mich laut und sagte: »Warum staffierst du mich aus wie die Tochter eines reichen Mannes zu einem Fest? Ich bin gewaschen und gekämmt und gesalbt und habe einen Gesichtsschleier für die Reise und einen Mantel zum Schutz meiner Kleider gegen den Staub.«

Sie probierte den Schleier, nahm den Mantel um und zeigte sich von allen Seiten, so daß ihr Schmuck klirrte. Ihr kindliches Entzücken rührte mich; es war, als hätte sie mit ihrem alten Gewände ihre üble Vergangenheit mit abgestreift. Auch Karanthes kam sie besichtigen, als wäre sie das Werk seiner Hände, und betastete jeden Stoff und jedes Schmuckstück. Er forderte mich auf, das gleiche zu tun, und nannte bei allem den Preis, als wollte er Maria durch die Höhe meiner Ausgaben für ein Mädchen ihrer Art beeindrucken. Als Maria seine Aufzählung hörte, verschattete sich ihre Miene, ihr Frohsinn schwand, und sie warf mir einen argwöhnischen Blick zu.

Ich dankte dem Syrer für seine Mühe und richtete auch an Frau und Tochter einige höfliche Worte, bis sie endlich alle drei begriffen, daß ihre Anwesenheit überflüssig war, und sich, hinter den vorgehaltenen Händen kichernd, zurückzogen. Als wir, Maria und ich, allein waren, starrte sie mich angstvoll an und wich wie schutzsuchend bis zur Wand zurück.

»Was für Absichten hast du mit mir?« fragte sie. »So etwas ist mir, seit ich aus meinem Heimatdorf in die Stadt durchgebrannt bin, nur ein einziges Mal passiert. Eine alte Frau hat mich von der Straße in ihr Haus mitgenommen und mir anstatt meines groben Linnens prächtige Gewänder angelegt. Ich dachte, sie meinte es gut mit mir, bis ich entdeckte, in welche Art von Haus ich geraten war. Sie schlug mich, wenn ich ihren Gästen nicht nach deren Wunsch zu Willen sein konnte, und es hat drei Tage gedauert, bis es mir gelang davonzulaufen. Mir kam vor, du bist anders, und ich habe für dich gebetet, weil du lieb zu mir warst und mich in der letzten Nacht nicht, wie ich fürchtete, belästigt hast. Aber jetzt traue ich dir nicht mehr. Wahrscheinlich war ich in meinem armseligen, ungepflegten Aufzug nicht schön genug für dich.«

Ich mußte lachen und tröstete sie: »Keine Angst! Mich verlangt es nach keinem irdischen Reiche; sonst könnte ich ebensogut mit dir hier in Jerusalem bleiben. Ich habe genug erlebt, um zu wissen, daß alle Lust dieser Erde nur eine glühend heiße Grube ist, in der es nirgends einen Hauch von Kühle gibt, sondern bloß, je tiefer man hinuntersteigt, desto ärgere Hitze. Deshalb begehre ich nur mehr nach jenem anderen Reiche, das jetzt noch bei uns hienieden weilt. Und dieses Reich will ich in Galiläa suchen, mit dir zusammen.«

Aber meine freundlichen Worte verfehlten ihre Wirkung auf sie. Tränen schossen ihr in die dunklen Augen, sie stampfte mit dem Fuße auf, packte Halskette und Stirnband, warf sie zu Boden und rief: »Jetzt verstehe ich, warum du dir nicht einmal die Mühe genommen hast, den Schmuck selber für mich zu besorgen, sondern es anderen überließest. Deine Gleichgültigkeit kränkt mich. Ich mag keinen Zierat tragen, den du nicht selbst für mich ausgesucht hast … Und dabei habe ich nie so schöne Sachen gehabt!«

Es fiel ihr derart schwer, auf ihren Putz zu verzichten, daß sie immer heftiger weinte, mit beiden Füßen aufstampfte und schluchzte: »Begreifst du denn nicht, daß die einfachste Halskette aus Obstkernen und Samenkörnern, hättest nur du sie mir beschafft, mir wertvoller gewesen wäre als diese teuren Metallsachen?«

Nun wurde auch ich zornig. Ich stampfte meinerseits auf und befahclass="underline" »Jetzt aber augenblicklich Schluß mit dieser Heulerei, Maria von Beeroth! Ich kann mir einfach nicht erklären, warum du dich so ungebührlich benimmst. Was werden die Leute unten von mir – und von uns beiden – denken, wenn sie dieses ganze Getrampel und Geheule hören? Eine flennende Frau ist häßlich wie die Nacht, und wenn du meine Gutherzigkeit auf so verletzende Art mißdeutest, so sehe ich keine Möglichkeit, dich nach Galiläa mitzunehmen.«

Über diese Drohung erschrak Maria. Sie hörte gleich zu weinen auf, trocknete sich die Augen, schlang mir die Arme um den Hals, küßte mich auf die Mundwinkel und bat sittsam: »Verzeih mir meine Einfältigkeit! Ich werde versuchen, mich zu bessern, wenn du mich nur mitnimmst.«

Ihre Liebkosung war die eines unfolgsamen, aber reuigen Kindes und besänftigte mich sofort. Ich streichelte ihr die Wange und sagte: »Dann nimm also deinen Putz, damit die Wachsoldaten unterwegs dich als meine Begleitdame achten! Später wird sich bestimmt eine Gelegenheit finden, dir getrocknete Beeren und Obstkerne zu einer Halskette aufzufädeln, wenn dir das lieber ist. Aber wir sind doch keine Kinder mehr.«

Kinder waren wir ja wirklich keine mehr. Doch in diesem Augenblick erfüllte mich die Sehnsucht, im Herzen wieder ein Kind zu werden, nichts von Sinnenlust oder Bosheit zu wissen und mich jeden Tages, so wie er kam, harmlos freuen zu können. Ich wußte nicht, was mich in Galiläa erwartete; vielleicht unternahm ich diese anstrengende Wanderung vergebens. Aber wenigstens die Reise selbst wollte ich genießen; und auch meine Hoffnung, die bloße Vorfreude, wollte ich voll auskosten.