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Karanthes rief zu mir hinauf, die Esel stünden bereit. Ich erkannte am Sonnenstand, daß es genau Mittag war. Neugierig eilte ich hinunter, und Maria folgte mir. In dem Gäßchen vor dem Hause sah ich vier kräftige Esel, zwei davon mit Schlafmatten auf dem Rücken. Der dritte trug zwei Packkörbe, und auf dem vierten saß eine ärmlich gekleidete Frau, die nicht einmal den Blick vom Nacken ihres Reittiers zu heben wagte. Nathan grüßte mich achtungsvoll, aber schweigend und zeigte bloß auf die Sonne, um anzudeuten, daß er zu der von mir festgesetzten Stunde erschienen war.

»Wer ist diese Frau? Ich wünsche keine solche Person zur Begleitung«, erklärte ich aufgebracht. Aber Nathan erwiderte nichts und schaute weg, als ginge ihn die Sache nichts an. Karanthes trat herzu und sprach mit der Frau; dann wandte er sich, verlegen an seinem Barte zupfend, zu mir.

»Sie heißt Susanna«, berichtete er. »Sie sagt, Nathan habe ihr versprochen, sie als Magd mitzunehmen. Sie will nämlich nach Galiläa heimkehren, kann aber nicht so weit zu Fuß gehen. Deshalb sitzt sie schon auf ihrem Esel, und sie verlangt keinen Dienstlohn, wenn sie mitkommen darf. Soweit ich verstanden habe, ist sie zu Ostern hier krank geworden, und ihre Reisegesellschaft ist ohne sie heimgekehrt.«

Die Frau saß weiter wie festgewachsen auf ihrem Esel und wagte nicht, mich anzusehen. Begreiflicherweise wurde ich zornig und rief: »Wir brauchen keine Magd. Wir bedienen uns gegenseitig. Ich kann nicht alle Kranken aus Jerusalem nach Galiläa mitnehmen.«

Nathan blickte mich forschend an, und als er merkte, daß es mir damit ernst war, zuckte er die Achseln, hob die Hand, löste meinen Geldbeutel vom Gürtel, warf ihn mir vor die Füße und entfernte sich, ohne sich um die Esel zu kümmern, durch die Gasse. Die unbekannte Frau jammerte, blieb aber unentwegt sitzen.

Ich machte mir klar, daß meine Abreise, wenn ich jetzt einen anderen, vielleicht noch dazu unzuverlässigen, Führer aufnehmen müßte, weiter verzögert werden würde. Die Wut stieg in mir auf, aber ich schluckte sie hinunter, rief Nathan zurück, hieß ihn den Geldbeutel wieder nehmen und rief erbittert: »Ich schicke mich ins Unvermeidliche. Tu nach Belieben, aber schau, daß wir weiterkommen, bevor sich noch mehr Gaffer ansammeln!«

Ich eilte ins Haus, rechnete mit Karanthes ab, gab ihm mehr, als er verlangte, und sagte: »Nimm die Sachen, die ich zurückgelassen habe, in Verwahrung! Ich komme nach Jerusalem zurück.«

Karanthes dankte mir überschwenglich und bestätigte mit überzeugtem Kopfnicken: »Ganz recht! Ich zweifle nicht daran, daß du sehr bald zurück sein wirst.«

Neugierige scharten sich um die Esel, während Nathan geschickt alles, was ich mitzunehmen wünschte, in die Tragkörbe verstaute. Die Zuschauer betasteten die Beine der Tiere und nahmen ihre Zähne in Augenschein; und die Frauen bedauerten die kranke Susanna, die wie ein Häuflein Elend auf ihrer Reitdecke hockte und sich nicht traute, zu jemandem ein Wort zu reden. Auch Bettler kamen heran, streckten heischend die Hände aus und wünschten uns viel Glück für die Reise; Nathan gab ihnen aus meinem Geldbeutel Almosen in der ihm angemessen erscheinenden Höhe, damit sie uns nicht durch ihre Flüche Unheil brächten. So gab es in der Gasse des Krämers einen beträchtlichen Auflauf, ehe Maria und ich endlich unsere Esel besteigen konnten und Nathan sich an die Spitze der Karawane stellte. Soweit es mich betraf, hätte man mir ebensogut einen Sack über den Kopf stülpen können; denn Nathan sagte kein Wort darüber, auf welchem Wege er uns nach Galiläa bringen und in welchen Herbergen er einkehren wollte.

Zuerst indes führte er uns durch die Vorstadt zum Marktplatz, wo es nach Salzfisch stank, und dann durch das Fischtor aus der Stadt hinaus. Die Wächter kannten ihn, wollten jedoch die Körbe auf dem Packtier durchsuchen; als ich aber rief, ich sei Römer, ließen sie uns sofort durch und blickten uns lange nach. Zu meiner Überraschung folgte Nathan jetzt der Straße, die längs der Stadtmauer zur Antonia führte und hielt die Esel vor dem Festungseingang an. Als Susanna beim Tor die Legionäre gewahrte, fing sie wieder an zu jammern an und barg ihr Gesicht am Nacken des Esels. Vergebens forderte ich Nathan auf weiterzuziehen; er winkte mir bloß, ich möge in die Festung gehen. Mir stieg schon der Verdacht auf, er sei stumm, da ich ihn bisher überhaupt kein Wort hatte reden hören. Dann musterte ich sein kurzgeschnittenes Haar und fragte mich, ob er nicht vielleicht ein Schweigegelübde abgelegt habe.

Widerstrebend durchschritt ich den Torbogen, und die Wachen hielten mich nicht an, so merkwürdig ich auch mit meinem Bart und dem gestreiften Mantel aussehen mochte. Im gleichen Augenblick kam, wie gerufen, der Festungskommandant vom Turm herab.

Ich ging auf ihn zu, grüßte ihn mit erhobenem Arm und sagte: »Ich begebe mich nach Tiberias, zu einer Badekur. Mein Karawanenführer war der Meinung, ich sollte mich von dir verabschieden und Ratschläge für meine Wanderung einholen. Ich reise ganz einfach, mit keiner anderen Begleitung als zwei Frauen.«

Er fragte: »Willst du durch Samaria ziehen oder im Jordantal?«

Ich schämte mich einzugestehen, daß ich es nicht wußte, und erwiderte deshalb: »Ich möchte mich da an deinen Rat halten.«

Der schwermütige, rheumageplagte Mann zupfte sich an der Oberlippe und erklärte: »Die Samariter sind boshafte Leute und spielen einfachen Wanderern manchen Schabernack. Der Jordan wieder führt noch Hochwasser. Du könntest an den Furten Schwierigkeiten haben, und nachts hört man dort oft aus dem Dickicht die Löwen brüllen. Wenn du willst, gebe ich dir natürlich zwei Legionäre zur Bedeckung mit; du mußt sie nur bezahlen und gelegentlich dem Prokurator gegenüber meine Hilfsbereitschaft erwähnen.«

Offensichtlich war er jedoch nicht begeistert darüber, seine Garnison auch nur kurzfristig um ein paar Mann zu vermindern. Daher antwortete ich: »Nein, nein. Ich reise in einem Lande, wo Rom für Ordnung sorgt, und habe nichts zu befürchten.«

»Dann gebe ich dir wenigstens ein Schwert mit«, sagte er erleichtert. »Als römischer Bürger darfst du mit einem Schwert reisen. Aber vorsichtshalber bekommst du noch eine schriftliche Erlaubnis, nachdem du so wunderlich gekleidet gehst und deinem Bart kein Schermesser angedeihen läßt.«

Ich ging also hinein, übernahm vom Waffenmeister Schwert und Schultergehänge und gab dem Sekretär für den Erlaubnisschein einen Geldbetrag, damit auch der Kommandant aus meiner Abreise in geziemendem Umfange Vorteil ziehe. Er begleite mich dann freundschaftlich durch den Hof zum Tor, konnte aber beim besten Willen ein Lächeln nicht verbeißen, als ich das Schwert über meinen Judenmantel gürtete.

Nathan lächelte nicht, sondern nickte befriedigt, während er die Esel zum Weitermarsch antrieb. Wir umwanderten nun den Tempelbezirk, querten das Kidrontal und schlugen die Straße ein, die sich am Ölberg emporwindet und die ich bis Bethanien schon kannte. Als die Hauptstadt außer Sicht war, stieg ich ab und ging zu Fuß weiter. In Bethanien ließ ich Nathan anhalten und begab mich zum Hause des Lazarus.

Nachdem ich ihn eine Zeitlang laut gerufen hatte, kam er aus seinem Garten und erwiderte meinen Gruß. Ich erkundigte mich nach seinen Schwestern und erfuhr, daß sie nach Galiläa aufgebrochen waren.

Ich fragte: »Warum bist du nicht mit ihnen gegangen?«

Er schüttelte den Kopf und entgegnete: »Ich sah keinen Grund dazu.«

»Aber mir wurde gesagt, daß er, euer Herr, den anderen dorthin vorausgegangen ist und sie erwartet.«

Lazarus meinte abwehrend: »Was geht das mich an? Ich pflege meinen Garten und bleibe in der Nähe meines Grabes.«

Er sprach mit ungelenker Zunge, seine Augen waren verdüstert, und er schien über irgendein Rätsel nachzugrübeln, das er niemand anderem darlegen konnte. Mich überlief es eiskalt in seiner Gegenwart, und ich bedauerte, ihn aufgesucht zu haben.

»Friede sei mit dir!« verabschiedete ich mich.

»Friede!« äffte er spöttisch nach. »Wenn du wüßtest, was für mich Friede bedeutet, würdest du mir ihn kaum wünschen.«