Выбрать главу

»Und wie ist es mit seinen weisen Aussprüchen?« forschte ich. »Ist dir wirklich nichts von seiner Geheimlehre im Gedächtnis geblieben?«

Susanna blickte mich immer unfreundlicher an und erklärte: »Weisheit läßt sich Frauen und Kindern nicht beibringen. Gerade deswegen konnte ich Maria Magdalena nicht leiden; ständig hockte sie, während wir anderen nützliche Arbeit taten, zu Jesu Füßen und hat sich eingebildet, alles zu verstehen. Von dieser Sorte gab es bei uns genug und übergenug; wir hatten nicht nur ihn und die Zwölf zu verpflegen und zu betreuen, sondern manchmal bis zu siebzig Personen. Für mich war seine Weisheit er selber. Für mich war er das Brot des Lebens, wie er selbst es ausdrückte. Was er damit gemeint hat, weiß ich nicht; aber ich glaubte seinen Worten.«

Ich konnte nur verzweifelt den Kopf schütteln über ihre Einfältigkeit und gab es auf, sie weiter zu befragen. Aber während das Tonlämpchen immer schwächer flackerte, fühlte Susanna sich gedrängt, mich rasch noch zu überzeugen; sie dachte so angestrengt nach, daß sie eine ganze Weile an ihren Fingern zerrte und sich vor und zurück wiegte, ehe sie endlich erklärte: »Sein Vater im Himmel ist auch mein Vater. Jesus ließ auch die Kinder zu sich kommen und erklärte, denen, die wie Kinder sind, stehe sein Reich offen. Diesen Ausspruch verstand ich. Mir wurde klar, daß ich als Kind mir nicht über die Absichten meines Vaters den Kopf zu zerbrechen, sondern mir zu sagen habe, er wisse selbst alles am besten. Diese Erkenntnis ist das einzige Geheimnis, das mir offenbar wurde.«

Während dieser unruhigen Nacht fand ich keinen tiefen Schlaf, und das gedämpfte Löwengebrüll erinnerte mich so lebhaft an Rom, daß ich mich manchmal zwischen Wachen und Schlummer dorthin zurückversetzt fühlte und erwartete, auf einem Purpurkissen, in eine Rosenduftwolke gehüllt, von Leidenschaften erschöpft, die Augen zu öffnen. Dieser Traum war wie ein Alpdruck; sobald ich jedoch plötzlich aus dem Schlafe fuhr, überwältigte mich ein ebenso beklemmendes Gefühl der völligen Sinnlosigkeit meines jetzigen Tuns. Hier lag ich, bärtig, unfrisiert, nach Schweiß riechend, in einer schmutzigen Lehmhütte zwischen Eseln und Juden, und gaukelte mir vor, etwas jeder Vernunft Hohnsprechendes erreichen zu können. In Rom hätte ich mir das Haar gekräuselt und den Überwurf genau nach Vorschrift in Falten gelegt; ich hätte meine Zeit lesend oder einer interessanten Gerichtsverhandlung zuhörend oder sonstwie verbracht, nur auf die Stunde des Wiedersehens mit Dir, Tullia, wartend.

Gedanken, wie ich sie heute wälzte, wären dem Spott anheimgefallen, im albernen Gepränge reicher Freigelassener ebenso wie in der verfeinerten Gesellschaft der Gebildeten, wo es zum guten Töne gehört, an nichts zu glauben. Und ich wäre einer der lautesten Lacher gewesen.

Und doch ist es so, daß jene gleichen leichtfertigen Frauen und vernünftelnden jungen Männer darin wetteifern, an der Türe des gerade von der Mode hochgetragenen Sterndeuters, Zauberers oder Wahrsagers Schlange zu stehen und erkleckliche Beträge für glückbringende Amulette hinzulegen. Diese Frauen und Männer lachen über sich selber, mißtrauen dem eigenen Aberglauben, hoffen aber zugleich, es könnte doch etwas daran sein. Alles ist dort ein Glücksspiel. Fortuna ist launisch, die Gewinnaussichten sind fraglich; aber man zieht es doch vor, im Spiel zu bleiben, statt beiseite zu stehen und sich mit dem Nichts abzufinden.

Trieb auch ich noch dieses gleiche vermessene Spiel, hier im Jordantal? Zweifelte ich im tiefsten Inneren, fand es jedoch geratener, weiterzuwürfeln und mir eine Chance zu wahren, als das Spiel aufzugeben? Welchen Gewinn erhoffte ich mir, alles in allem? Vielleicht war es nur Traum und Blendwerk, jenes Reich, das ich noch immer auf Erden wähnte und zu dem ich den Weg zu finden hoffte. Im Banne dieser qualvollen Gedanken verspürte ich plötzlich Widerwillen gegen die an meiner Seite atmende Maria, und auch gegen die eigensinnige Susanna und den redescheuen Nathan. Was hatte ich, ein Römer, mit ihnen zu schaffen?

Ich wiederholte im Geiste das Gebet, das Susanna mich gelehrt hatte. Es war das erste von Jesu Geheimnissen, in das ich eingeweiht worden war. Die Zauberkraft einer verborgenen Weisheit konnte darin umschlossen sein. Aber wie sehr ich auch die Sätze drehte und deutelte, das Gebet blieb, was es war: eine den Bedürfnissen einfacher Menschen angepaßte Formel zur Schicksalsunterwerfung, ein Merkspruch, durch dessen demütige Wiederholung sie ihre Sorgen abschütteln und den Seelenfrieden gewinnen mochten. Ich war nicht so kindlichen Gemütes, daß mir solche Worte spürbare Hilfe geboten hätten.

Diese Nacht schliefen wir alle schlecht und waren am Morgen übernächtig und streitsüchtig. Maria von Beeroth setzte es sich in den Kopf, wir sollten uns ins Bergland wenden und die Straße nach Samaria einschlagen. Sie habe, so meinte sie grillenhaft, keine Lust, einem Löwen zu begegnen, den die Überschwemmung aus dem Buschwerk getrieben hätte. Susanna zählte immer wieder ihre Kochtöpfe und Proviantbeutel und behauptete unentwegt, etwas verloren zu haben, so daß sich unser Aufbruch verzögerte. Sogar Nathan schien etwas zappelig und blickte unwirsch herum. Die von Hornissen geplagten Esel aber waren so störrisch, daß wir sie die ganze Zeit festhalten mußten.

Über Marias Geplapper aufgebracht, nahm Nathan schließlich zu den Schriften Zuflucht und zitierte: »Gar mancher Weg dünkt einen eben; doch schließlich sind es Wege, die zum Tode führen.« Er wies auf das Schwert an meiner Seite und setzte sich entschlossen in Bewegung, als wollte er sagen, wir könnten hin, wie wir wollten, er gedenke jedenfalls den ursprünglich geplanten Weg weiterzuverfolgen.

Maria jammerte: »Ihr Männer werdet leicht durchkommen; aber ich bin jung. Der Löwe ist ein kluges Tier und sucht sich immer das zarteste Fleisch aus. So habe ich es gehört.«

Susanna fuhr sie an: »Nachdem Jesus von Nazareth diesen Weg vor uns hergegangen ist, können wir es ihm wohl nachtun. Wenn du Angst hast, reite ich voraus und verscheuche den Löwen. Mich wird er nicht anrühren, das ist einmal sicher.«

Ich bemerkte gereizt, niemand von uns wisse, welchen Weg Jesus nach Galiläa eingeschlagen hatte, wenn überhaupt an dieser Geschichte etwas Wahres sei. Es könne sich sehr wohl um ein geschickt erdachtes Märchen handeln, von der Obrigkeit in Jerusalem nur in Umlauf gesetzt, um die Galiläer aus der Hauptstadt wegzubekommen. Auch ich legte keinen besonderen Wert darauf, einem Löwen, bloß mit dem Schwert bewaffnet, entgegenzutreten, obwohl ich einmal einen sehr geübten Kämpfer in der Arena ein solches Wagnis habe lebend überstehen sehen. Aber Nathan kenne, erklärte ich, die Straßen und ihre Gefahren, und meiner Ansicht nach sei es das beste, sich seiner Entscheidung zu fügen.

So nahmen wir in zankmütiger Stimmung unsere Wanderung wieder auf. An der überfluteten Furt mußten wir die Gewänder schürzen und die widerspenstigen Esel hinter uns herziehen. Kaum waren wir am anderen Ufer angelangt, so fielen wir geradewegs einigen Legionären in die Hände, die unser Erscheinen, als sie Maria erblickten, mit Freudengeschrei begrüßten. Wegen meines Schwertes stürzten sie sich zuerst auf mich, rissen mich vom Esel, warfen mich zu Boden und hätten mich höchstwahrscheinlich erschlagen, wenn ich ihnen nicht auf griechisch und lateinisch zugebrüllt hätte, daß ich römischer Bürger bin. Trotz meiner schriftlichen Genehmigung zum Waffentragen durchsuchten sie unser ganzes Gepäck und auch – als vergnügliche Draufgabe – Marias Kleidung; wenn ich nicht Römer gewesen wäre, hätten sie die junge Frau bestimmt ins Buschwerk geschleppt.