Ihre Zuchtlosigkeit wurde mir verständlicher, als ich herausbekam, daß sie keine regelrechte Straßenpatrouille waren und auch nicht an irgendwelchen Geländeübungen teilnahmen; vielmehr hatte ihr Offizier beschlossen, einen Löwen zu erlegen, und lag mit einigen Bogenschützen im Hinterhalt auf einer Kuppe, während unsere Legionäre ihnen den Löwen mit Geschrei und Schildegerassel zutreiben sollten. Das war, obwohl sich der Löwe allem Anschein nach gar nicht mehr in der Nähe aufhielt, keine angenehme Aufgabe; deshalb hatten sie sich mit Wein Mut angetrunken.
Dieser rohe Übergriff war so unleidlich und entwürdigend, daß ich mich leicht in die Lage der Juden versetzen und begreifen konnte, warum sie die Römer so erbittert haßten. Meine Mißstimmung steigerte sich zur Wut, und als ich schließlich oben auf der Kuppe den löwenfellgelüstigen Zenturio traf, sagte ich ihm gehörig meine Meinung und drohte, den Vorfall dem Prokurator zu melden.
Das war nicht klug von mir gewesen. Der narbengesichtige Offizier musterte mich feindselig und fragte, welche Bewandtnis es denn mit mir habe, daß ich da mit einem Judenmantel angetan in jüdischer Gesellschaft daherkomme. Spöttisch sagte er: »Du wirst doch wohl nicht zu dem Gesindel gehören, das hier dutzendweise auf dem Weg zum See Genezareth vorbeizog. Jetzt ist nicht die Zeit für Wallfahrten, sondern für die Getreideernte. Diese Wanderer haben irgendwelche üblen Absichten.«
Ich mußte ihn besänftigen und mich wegen meines Ungestüms entschuldigen. Dann erkundigte ich mich, was für Leute er da beobachtet habe. Aber er selbst hatte niemanden gesehen, weil die Juden bei Nacht unterwegs waren und den gewöhnlichen Kontrollpunkten ebenso wie den Zollhäusern möglichst auswichen; er gebe, so sagte er, nur wieder, was er gehört habe. Dann warnte er mich in herablassendem Töne: »Paß nur auf, daß du diesen Kerlen nicht in die Hände fällst! Alle Galiläer sind Fanatiker. Das Land ist dicht bevölkert und immerfort sickern aus der Wüste Unruhestifter ein. Erst vor ein paar Jahren war gerade in dieser Gegend ein solcher Aufwiegler am Werk, der ein jüdisches Reich predigte und die Männer unter Zauberriten mit Jordanwasser begoß, um sie für den Kampf unverwundbar zu machen. Schließlich mußte der jüdische Tetrarch von Galiläa ihn enthaupten lassen, um zu zeigen, daß nicht einmal er selber gegen die Schwertschneide gefeit war. Aber vielleicht treiben sich noch einige seiner Gefolgsleute hier in der Gegend herum.«
Vermutlich betrachtete er mich, da ich mich dazu herbeiließ, so zu reisen, wie ich es tat, als Mann ohne Rang und Namen; denn er brach das Gespräch unvermittelt ab und verabschiedete mich in schroffer Weise, als hätte er mir eine große Gnade erwiesen.
Als wir unsere anstrengende Wanderung wieder aufnahmen, sah Maria von Beeroth mich gönnerhaft an und bemerkte: »In hohem Ansehen scheinst du bei deinen eigenen Landsleuten nicht zu stehen, nachdem ein schweißduftender, narbiger Zenturio dich so anmaßend zu behandeln wagt.«
»Wäre ich in deinen Augen achtbarer, wenn ich einen Helm auf dem Kopf und Nagelschuhe an den Füßen trüge?« fragte ich spöttisch.
Maria warf den Kopf zurück und erwiderte: »Diese Legionäre wissen wenigstens, was sie wollen. Da du schon einmal Römer bist, solltest du wie ein Römer reisen und von deinen Vorrechten Gebrauch machen. Dann müßte ich mich, wenn du mit einem deiner Landsleute redest, nicht wegen deiner haarigen Beine und bärtigen Wangen schämen.«
Ich starrte sie an und traute meinen Ohren nicht, ich hatte gute Lust, von einem Strauch einen Zweig abzubrechen und ihr das Fell zu gerben. Mit zornbebender Stimme fragte ich sie: »Wer mag wohl jene junge Frau gewesen sein, die mich ihr ganzes Leben lang segnen wollte, wenn ich sie nur mitnähme, und die nötigenfalls auch im Freien zu nächtigen bereit war? Wofür hältst du dich eigentlich?«
Aber Maria warf wieder den Kopf zurück und schalt: »Von dir hätte ich am allerwenigsten gedacht, daß du mir ins Gesicht schleudern würdest, was ich dir im Vertrauen aus meinem Leben erzählte. Ich habe Unglück gehabt; aber wenn ich den auferstandenen Nazarener treffe und er mir die Sünden vergibt und mich reinigt, so wirst du mir nicht mehr meine Vergangenheit vorwerfen können. Gestehe nur selber, welche abscheulichen Verfehlungen du zu büßen hoffst, indem du dich auf deiner Suche nach einem neuen Weg so erniedrigst!«
Ich glaube nicht, daß sie ihre Worte wirklich ernst meinte; wahrscheinlich ließ sie nur ihrem Ärger über die Unbilden dieses Tages freien Lauf. Ich erwiderte nichts. Sie blieb zurück und gesellte sich zu Susanna. Ich hörte, wie die beiden, nebeneinander reitend, mit schrillen Stimmen zankten und dann ihre Wut vereint gegen Nathan und mich kehrten.
An diesem Abend ging die Sonne erschreckend rot hinter den Bergen Samarias unter. Für kurze Zeit bekam die Luft im Tal einen gespenstigen Schimmer, und der in seinem tief eingeschnittenen Bett vorbeibrausende Jordan wurde vor unseren Augen plötzlich schwarz. Dieser seltsame Anblick machte alles unwesenhaft und verscheuchte meine bösen Gedanken. Mir fiel ein, wie der Himmel sich verfinstert hatte, als der Judenkönig sich in seiner Todesqual auf dem Kreuze wand, und wie im Augenblick seines Todes die Erde bebte. Durch seine Auferstehung hatte er bewiesen, daß sein Reich Wirklichkeit war. Wenn ich meine Reisegefährten im Herzen verachtete, mich besser dünkte als sie und gegen eine Törin Groll hegte, verrammelte ich mir nur selber den Zugang in jenes Reich.
Als wir uns daher in unserem Nachtquartier gewaschen hatten, trat ich auf Maria zu und sagte: »Ich verzeihe dir deine bösen, unbedachten Worte und will sie vergessen.«
Doch damit schürte ich nur Marias Unmut; ihre Augen verfinsterten sich, und sie fauchte mich an: »Was, du verzeihst mir, du mir, nachdem du mich so tief gekränkt und mir dann den ganzen Tag lang den Rücken gekehrt hast? Offen gestanden, ich wollte dir jetzt verzeihen und ein paar freundliche Worte sagen, weil du ja ein Mann bist und von dir eben, wie auch Susanna sagt, nichts Besseres zu erwarten ist. Aber daß du, noch bevor ich dir verzeihe, so tust, als müßtest du mir vergeben – das kann ich mir denn doch nicht bieten lassen!«
Nathan, der das alles mit anhören mußte, hob die Augen zum Himmel und breitete in einer Gebärde der Ergebung die Arme aus. Seine Langmut besänftigte auch mich, so daß mein Zorn verrauchte. »Dein Wille geschehe, Maria von Beeroth!« sagte ich. »Verzeih mir, und wenn wir nur wieder gut Freund werden, will ich gerne zugeben, daß ich dir nichts zu verzeihen habe.«
Aber Maria stemmte die Fäuste in ihre runden Hüften und rief Susanna stichelnd zu: »Komm einmal her und schau; ob das wirklich ein Mann ist oder nur einer von den römischen Eunuchen, über die man erzählt!«
Susanna kicherte verstohlen, während sie Binsen und Dung für das Feuer zusammentat, und ich konnte mich nicht länger beherrschen. Das Blut schoß mir zu Kopf, und ich gab Maria einen weithin hörbaren Klaps auf die Wange. Im nächsten Augenblick tat es mir leid, und ich hätte alles dafür gegeben, wenn ich es hätte ungeschehen machen können. Maria fing zu schluchzen an, schnüffelte immer wieder durch die Nase und rieb sich die schmerzende Backe. Ich wollte schon um Entschuldigung bitten; aber Nathan hob warnend die Hand. Plötzlich ging Maria mit niedergeschlagenen Augen auf mich zu und bekannte: »Mir geschieht ganz recht. Ich habe dich den ganzen Tag absichtlich gehänselt. Die Ohrfeige zeigt mir, daß du mich jedenfalls lieber hast als den Esel, dem du immer den Nacken kraulst. Und jetzt gib mir einen Kuß zum Zeichen dafür, daß du wirklich mein schandbares Benehmen verzeihst!«
Schüchtern schlang sie die Arme um meinen Hals, und ich küßte sie einmal und noch einmal, um zu bekunden, daß zwischen uns alles wieder in bester Ordnung war. Dann fand ich es eigentlich recht nett, sie nach meinem Wutanfall in den Armen zu halten, und so küßte ich sie ein drittes Mal. Schließlich schob Maria mich weg, hielt aber die Hände weiter auf meinen Schultern, schaute mich fest an und fragte: »Würdest du auch Susanna so küssen, wenn sie dich gekränkt hätte und dann um Verzeihung bäte?«