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Ich ließ mich massieren und mir sogar von einem Barbier das Kopfhaar auf griechische Art zurichten. Auch den Bart ließ ich mir stutzen und die Körperhaare auszupfen, weil mir alles, was ich mir vorgenommen hatte, gleichgültig geworden war. Ich betrug mich wie ein schmollendes Kind: ich hatte doch in aller Aufrichtigkeit den Weg gesucht und glaubte, eine solche Strafe, wie sie über mich verhängt worden war, nicht verdient zu haben. Dann und wann dachte ich auch an Dich, Tullia, anders als in Jerusalem, und ich sehnte mich nach Dir, aus Trotz. Die einfältige Maria langweilte mich bloß; nachdem sie mich so hingebungsvoll gepflegt und wieder gesund gemacht hatte, wurde sie nämlich über die Maßen eingebildet und betrachtete mich als ihr Eigentum.

Dann gab es eines Tages große Aufregung in der Stadt, und Maria berichtete mir, die Frau des Statthalters Pontius Pilatus sei aus Cäsarea zu einer Badekur hierhergekommen. Vom Dach aus erblickte ich auch tatsächlich ihre Sänfte und ihr Gefolge. Zu ihrem ursprünglichen Legionärsgeleite hatte Herodes noch seine rotmanteligen Reiter gesellt, die sie den ganzen Weg von der galiläischen Grenze her begleiteten. In der Nähe der Bäder war ein Sommerpalast für sie vorbereitet worden, mit einem eigenen Teich im Garten.

Ich wußte zwar, daß Claudia Procula anfällig und reizbar war, so wie viele Frauen, die, auch wenn sie es sich selbst noch nicht eingestehen wollen, das fortschreitende Alter spüren. Zweifellos brauchte sie diese heilkräftigen Bäder, und am See Genezareth herrscht bestimmt das frischeste und beste Frühlingsklima des ganzen Mittelmeergebiets. Die Gesandten des Fürsten Herodes schicken viele Besucher aus Damaskus, und sogar aus Antiochia, nach Tiberias. Dennoch fragte ich mich, ob Claudia Proculas unerwartetes Eintreffen nicht auch andere Gründe habe.

Nach zwei Tagen konnte ich meine Neugier nicht mehr bezwingen; ich schrieb der Gattin des Prokurators eine Botschaft auf einem zusammenklappbaren Wachstäfelchen und fragte an, ob ich ihr meine Aufwartung machen dürfe. Die Magd kam bald zurück und meldete mir, die Dame sei über meinen Brief erstaunt und hocherfreut gewesen. Ich sollte sofort, wie ich war, kommen.

Wegen meiner wunden Ferse ließ ich mich durch die Gärten bis zur Säulenhalle tragen. Dort verließ ich die Sänfte und hinkte, auf einen Stock gestützt, in die Villa. Die mir durch die Einladung erwiesene Gunst erregte großes Aufsehen, und viele Kurgäste beobachteten meine Ankunft. Kurz zuvor hatte nämlich Claudia Procula wissen lassen, sie wünsche wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes weder Besuche noch Ehrungen.

Die Bedienten führten mich sofort in einen kühlen, aber hellen Raum, wo die Gattin des Statthalters auf einem Ruhebett in Purpurkissen lag. Sie sah auffallend blaß aus, und ihre Augen waren glanzlos. Neben ihr saß in achtungsvoller Haltung eine feingekleidete, mit ihr etwa gleichaltrige jüdische Frau.

Claudia streckte mir ihre beiden schlanken Hände entgegen, gab ihrer Freude durch einen lauten Zuruf Ausdruck und sagte: »Ach, Marcus, wie froh bin ich, einen Bekannten zu sehen und noch dazu jemanden, der mich versteht! Was fehlt dir denn? Was ist los mit deinem Fuß? Ich bin auch krank. Ich leide an Schlaflosigkeit. Und wenn ich wirklich einmal einschlafe, kommen mir böse Träume. Und mein Magen ist ganz durcheinander, und die Leber tut mir weh.«

Zu der anderen Frau sagte sie: »Das ist der junge Mann, von dem ich dir erzählt habe. Ein Kindheitsfreund, Marcus Mezentius Manilianus. Sein Vater war Roms hervorragendster Astronom. Auch mit der Familie Maecenas ist er verwandt und kann also seine Abkunft auf die Etrusker zurückführen, die seinerzeit sogar mit Äneas in Wettstreit lagen. Ich habe ihn zuletzt zu Ostern in Jerusalem gesehen, hätte aber nie gedacht, ihn hier zu treffen.«

Ich ließ sie schwatzen, obwohl sie sich nicht ganz an die Wahrheit hielt, sondern stark übertrieb. Aber warum sollte ich widersprechen, wenn sie aus irgendwelchen Gründen alles im besten Licht erscheinen lassen und mich der anderen Frau gegenüber herausstreichen wollte? Dann wandte sie sich zu mir und stellte vor: »Diese gute Frau ist Johanna, die Gattin eines Kämmerers im Dienste des Fürsten Herodes Antipas. Ich habe sie in Jerusalem kennengelernt, und sie versprach, mir während meines hiesigen Aufenthalts Gesellschaft zu leisten. Ich habe volles Vertrauen in sie.«

Die Frau lächelte und sah mich prüfend an. Sie hatte dicke, schlaffe Wangen, aber ihre Augen zeigten, daß sie keineswegs einfältig war und ihre Lebenserfahrungen hatte.

»Ich begrüße dich, Marcus Mezentius«, sagte sie. »Aber warum trägst du, ein Römer, einen Bart und kleidest dich wie ein Kind Israels?«

»Man soll sich überall den Landessitten anpassen«, erklärte ich leichthin. »Ich bin Philosoph und interessiere mich für die Bräuche und Überlieferung verschiedener Gegenden. Und um die Wahrheit zu sagen, ich empfinde tiefe Ehrfurcht vor dem Gott Israels und seinem Gesetz – natürlich nur insoweit es nicht meiner Verehrung für den Genius Cäsars Abbruch tut.«

Claudia Procula bemerkte jetzt meine Kleidung und rief: »Nein, so etwas! Du hast dich wirklich sehr verändert, und ich glaube kaum, daß mein Gatte mit deiner Gewandung einverstanden wäre.« Sie schwatzte munter dahin, erzählte von dem Gesundheitszustand und den Sorgen des Statthalters und ließ mir eiskalten Wein, Bäckereien und Obst vorsetzen. Schließlich entließ sie ihre Bedienten und sagte leise zu ihrer Gesellschafterin: »Johanna, sieh nach, ob niemand zurückgeblieben ist und uns belauschen will! Ich wünsche keine Horcher.«

Johanna entledigte sich sachkundig ihres Auftrages: zuerst warf sie einen flüchtigen Blick in den Vorraum, dann schlenderte sie wie zufällig im Zimmer selbst umher und tastete dabei die Behänge ab; schließlich beugte sie sich aus dem Fenster. Qaudia Procula winkte mich näher zu sich heran, dämpfte die Stimme und fragte: »Erinnerst du dich noch an Jesus von Nazareth, den man in Jerusalem gekreuzigt hat?«

Ich blickte Johanna an und zögerte. Dann erwiderte ich: »Ich erinnere mich seiner; er bedrängt meine Seele. Gern hätte ich mehr über ihn erfahren; aber seine Jünger sind mißtrauische Leute und lehnen Außenstehende ab.«

Claudia bemerkte: »Sie sind nach Galiläa heimgekehrt, zu ihren früheren Berufen. Die meisten arbeiten wieder als Fischer hier am See.«

»Ja«, bestätigte ich. »Als ich Jerusalem verließ, ging dort das Gerücht von ihrer Heimkehr um. Viele andere sollen ihnen hierher nachgekommen seien. Aber wird man sie hier nicht verfolgen?«

Johanna warf in lebhaftem Töne ein: »Nein, nein. Hier verfolgt sie niemand mehr. Kluge Berater haben den Fürsten Herodes überzeugt, daß er nichts dabei gewinnen würde. Im Grunde hat er ja Angst vor ihnen und läßt sie lieber ungeschoren. Schon mit der Enthauptung Johannes des Täufers hat er einen politischen Fehler begangen. Darum will er jetzt das Wort ›Prophet‹ nicht einmal mehr hören.«

Claudia rief: »Du entsinnst dich doch, daß auch ich alles Erdenkliche tat, um meinen Gatten davon abzuhalten, sich an einem heiligen Mann zu vergreifen!«

»Warum quälst du dich mit dieser alten Geschichte?« erwiderte ich mit Vorbedacht. »Es ist nicht das erstemal, daß ein Unschuldiger hingerichtet wird. Die Welt ist nun einmal so. Wir können sie nicht ändern. Vergiß ihn und widme dich deiner Genesung! Dazu bist du doch hergekommen.«

Erregt entgegnete Claudia: »Du verstehst nicht, um was es geht. Die Welt ist nicht mehr so, wie sie war. Jesus von Nazareth ist tatsächlich, obwohl du es seinerzeit nicht wahrhaben wolltest, aus dem Grab gestiegen und hat sich seinen Anhängern gezeigt. Und ob du es glaubst oder nicht, er ist jetzt hier.«