Johanna legte ihr erschrocken die Hand auf den Mund und warnte: »Du weißt nicht, was du sagst, Herrin!«
Ich blickte sie aufmerksam an; mir fiel ein, daß Susanna den gleichen Namen erwähnt hatte, und ich behauptete schlankweg: »Ich erkenne dein Gesicht, edle Johanna. Du warst seinerzeit unter Jesu Gefolgsleuten; das kannst du nicht leugnen.«
Johanna starrte mich angstvoll an und bekannte: »Das leugne ich keineswegs und werde es nie tun. Seinetwegen habe ich Haus und Gatten verlassen und bin ihm gefolgt, bis ich wegen der Stellung meines Mannes heimkehren mußte. Aber wieso weißt du Fremdling von dem allen?«
Ich fühlte mich müde und niedergeschlagen und hatte keine Lust mehr zu heucheln. »Ich weiß und bin überzeugt davon, daß Jesus von den Toten auferstanden ist«, erklärte ich. »Und deshalb glaube ich auch, daß er der Sohn Gottes ist. Welche Bedeutung das aber hat, kann ich nicht ermessen. Nie hat sich derartiges begeben. Ich wollte sein Reich suchen; aber die Seinen anerkannten mich nicht und nahmen mich nicht auf. Dann jedoch habe ich gehört, daß er vor ihnen her nach Galiläa gegangen sei, und folgte ihnen, in der Hoffnung, ihn hier zu finden. Statt dessen hat mich« – setzte ich aufgebracht hinzu – »sobald ich ankam, eine Blutvergiftung im Fuß ans Bett gefesselt. Das muß wohl ein Zeichen sein, daß er nichts mit mir zu tun haben will. Aber gestehe offen, Claudia, daß auch du nur seinetwegen nach Galiläa gekommen bist!«
Beide Frauen sahen höchst erstaunt zuerst einander und dann mich an. Schließlich fragten sie wie aus einem Munde: »Du, ein Römer und Philosoph, glaubst wirklich, daß er von den Toten auferstanden und nach Galiläa gekommen ist?«
»Ich glaube es, weil ich es glauben muß«, antwortete ich, noch immer aufgebracht. Nun aber überkam mich das heftige Verlangen, meinem Herzen Luft zu machen, und ich erzählte ihnen, wie ich Lazarus besucht und Maria Magdalena kennengelernt hatte, wie die Sendboten Thomas und Johannes mich abwiesen, was im Hause Simons von Kyrene geschehen war und wie Matthäus und Zachäus zu mir kamen und mir unter Drohungen sogar das Recht absprachen, den Namen Jesu in den Mund zu nehmen.
Johanna sagte: »Das war nicht in Ordnung. Ich selber erinnere mich, wie einmal ein Mann, der Jesus nicht einmal kannte, durch Aussprechen seines Namens einen Besessenen heilte. Die Jünger wollten ihm das verwehren; aber der Herr wies sie zurecht und sagte, jemand, der in seinem Namen Machttaten wirke, werde es wenigstens nicht gleich darauf fertigbringen, schlecht über ihn zu reden. Ich verstehe nicht, warum du dich, wenn du an ihn glaubst, nicht auch seines Namens bedienen solltest.«
Schließlich erzählte ich ihnen, daß ich Susanna aus Jerusalem mitgenommen hatte. »Kennst du die Frau?« fragte ich Johanna.
Ihre Verachtung mühsam verbergend, antwortete Johanna: »Natürlich kenne ich die zänkische alte Plappertasche. Sie ist eine ungebildete Bäuerin und hat keine Ahnung vom Gesetz. Jesus aber hat sie trotzdem in seinem Gefolge geduldet.«
Claudia sah mich verwundert und beklommen an und sagte: »Du hast dich seit den Tagen in Rom gründlich geändert, Marcus. Sogar deine Tullia scheinst du des Nazareners wegen vergessen zu haben. Glaube nicht, daß ich von ihr nichts weiß! Der römische Klatsch verbreitet sich bis Cäsarea. Ich kann wirklich schwer verstehen, was du dir von diesem Jesus erwartest.«
»Und was erwartest du selber?« entgegnete ich gereizt.
Claudia zog die jetzt etwas knochigen Schultern hoch und erklärte: »Ich bin eine Frau und habe das Recht zu träumen. Ich weiß, daß Jesus, wenn ich ihn träfe, meine Schlaflosigkeit und alle meine anderen Leiden heilen würde. Vor allem aber bin ich natürlich neugierig darauf, einen Propheten zu sehen, der gekreuzigt worden und dann wieder aus dem Grab auferstanden ist.«
Ich sagte: »Mir ist alle Neugier vergangen – und auch alle Lust zu träumen. Ich suche nur sein Reich, solange es noch auf Erden weilt. Angeblich hat er die Worte des ewigen Lebens. Aber was sagt mir das? Erzählt mir jetzt, ob er tatsächlich nach Galiläa gekommen ist und sich hier den Seinen gezeigt hat!«
Johannas Miene verfinsterte sich, als sie antwortete: »Ich weiß nichts Sicheres. Das Geheimnis seines Reiches hat er nur seinen Jüngern anvertraut; zu den anderen Anhängern und zu uns Frauen sprach er nur in Gleichnissen. Es war daher so, daß wir sahen und doch nichts erblickten, hörten und doch nichts vernahmen. Die Jünger schließen sich ab und sagen den Frauen nichts. Darum zürnt Maria ihnen und ist nach Magdala heimgekehrt. Alles, was ich weiß, ist, daß vor einigen Tagen sieben der Sendboten morgens zum Fischfang ausgefahren und mit zum Bersten vollen Netzen zurückgekommen sind. Unterwegs muß irgend etwas Besonderes geschehen sein, weil sie wie verklärt waren und vor Freude lachten; aber sie ließen nichts verlauten.«
Ich rief: »Es wundert mich, daß diese unwissenden Fischer sich anscheinend jetzt mit Maria Magdalena überworfen haben, die so viel Geld für sie ausgegeben hat. Zumindest hätte man annehmen können, sie würden eine so vornehme Dame wie dich von den Geschehnissen in Kenntnis setzen. Vermutlich ist es ja dir zuzuschreiben, wenn man sie hier nicht verfolgt.«
»Es sind undankbare Leute«, beklagte sich Johanna, fügte aber, um Unvoreingenommenheit bemüht, hinzu: »Offenbar hüten sie irgendein ihnen allein anvertrautes Geheimnis. Aber warum hat Jesus ausgerechnet sie dazu erwählt?«
Claudia erklärte hochmütig: »Als Gattin des Prokurators von Judäa hätte ich erwarten können, daß diese armseligen Fischer meinem Range Achtung erweisen und ihrem Meister meinen Wunsch nach einer Begegnung mit ihm vortragen. Schon dadurch, daß ich solchen Leuten ein derartiges Anliegen kundtat, habe ich den denkbar besten Willen bewiesen. Übrigens könnten sie sich dadurch insgeheim meiner Gunst versichern.«
Ich konnte mich nicht enthalten zu bemerken: »Claudia, mir scheint, du verstehst nicht viel von seinem Reich. Er war kein Magier oder Quacksalber. Versuche zu begreifen: er ist der Sohn Gottes.«
Gekränkt fuhr Claudia mich an: »Vergiß nicht, daß ich selber mit Cäsar verwandt bin und, solange er noch in Rom war, wiederholt an seiner Tafel gespeist habe!«
Johanna hob, wie zum Zeichen für mich, die Hand und bemerkte: »Ich bin nur eine Frau, und Israel spricht den Frauen die Seele ab. Trotzdem hat Jesus uns erlaubt, ihm zu folgen, und im Herzen erfasse ich ein wenig den Sinn seines Reiches. Die Jünger jedoch streiten noch immer miteinander darüber, ob und wann er ein jüdisches Reich gründen wird. Aber Israel hat ihn verworfen und gekreuzigt und sein Blut über sich herabgerufen. Nach all diesen Dingen kann es nicht länger Gottes auserwähltes Volk bleiben – das sagt mir der gesunde Frauenverstand.«
Ich wurde dieser fruchtlosen Erörterungen überdrüssig, und Claudia Procula sank in meiner Achtung. Ungeduldig gab ich dem Gespräch eine andere Wendung: »Lassen wir das dahingestellt sein! Aber was sollen wir unternehmen, um Jesus zu finden?«
Johanna erwiderte: »Ich weiß es nicht. Wir können nur warten. Aber ich habe gewartet und gewartet, und nichts ist geschehen. Vielleicht hat er uns Frauen vergessen. Mich beunruhigt auch der Gedanke, daß du seit deiner Ankunft hier durch deine Blutvergiftung unbeweglich bist und dich nicht auf die Suche nach ihm machen kannst.«
»Ich bin fast schon wieder gesund«, widersprach ich. »In einem Boot oder einer Sänfte könnte ich mich überallhin begeben. Aber mein Herz ist schwer, und ich möchte mich dem Gottessohn nicht aufdrängen. Übrigens könnte das, glaube ich, niemand. Ich denke, er erscheint nur, wem er erscheinen will. Wenn es sein muß, bescheide ich mich damit, daß ich seines Anblicks nicht wert bin.«
Spöttisch bemerkte Claudia: »Wie kann man so entschlußlos ein? Ich brenne darauf, ihn zu sehen; die Bäder allein werden meine Schlaflosigkeit kaum heilen. Wenn ich ein Mann wäre, täte ich etwas. Aber ich muß an meine Stellung denken.«