Johanna überlegte und schlug mir dann vor: »Du könntest ein Boot nach Magdala mieten und Maria aufsuchen. Ich kann das wegen meines Gatten nicht tun, weil sie trotz allem eine übel beleumundete Frau bleibt. Aus dem gleichen Grunde können wir sie ebensowenig zu einem, wenn auch heimlichen, Besuch bei Claudia Procula einladen. Begib dich also zu ihr und frage sie, was wir tun sollen! Mache ihr klar, daß ich mich natürlich meiner Bekanntschaft mit ihr jetzt genau so wenig schäme wie während unserer gemeinsamen Wanderungen, daß ich aber gegenwärtig die Stellung meines Gatten bei Hofe zu berücksichtigen habe. Das ist eine verwickelte Angelegenheit, die du vielleicht als Mann nicht ganz begreifen kannst; aber sie als Frau wird es vollauf verstehen.«
Als sie merkte, daß ich zögerte, lächelte sie verschmitzt und sagte: »Du bist ein lebenslustiger junger Römer. Du kannst sie ohne weiteres besuchen; darüber wird sich niemand Wundern. Seinerzeit war sie von sieben bösen Geistern besessen; und auch jetzt noch haftet ihr in ganz Galiläa der frühere Ruf an, obwohl sie inzwischen – wenigstens heißt es so – ihren Lebenswandel geändert hat.«
Mit bedrückender Klarheit begann ich zu spüren, daß ich nichts dabei gewinnen konnte, wenn ich mich in diesen Weiberzank mischte. Ich sagte also zu, mir den Vorschlag zu überlegen, und wir plauderten eine Zeitlang über Alltagsdinge. Claudia Procula forderte mich auf, sie später, wenn ihr Gesundheitszustand sich gebessert hätte, in die Stadt zu den Wagenrennen zu begleiten. Herodes Antipas ist stolz auf seine Stadt mit den neuen Rennbahnen und Theatern, und Qaudia hielt es für unerläßlich, den Repräsentationsverpflichtungen einer Persönlichkeit ihres Ranges einigermaßen nachzukommen. Dann versprachen wir uns gegenseitig, einander zu verständigen, wenn wir etwas über Jesus hören sollten. Schließlich entließ Qaudia mich mit der Ankündigung, sie werde mich bald zum Essen zu sich einladen.
Auf dem Rückweg in den Gasthof bemerkte ich einen sidonischen Händler, der sich in einer schattigen Säulenhalle niedergelassen hatte und Stoffe von einer Stange abrollte. Ich machte halt, kaufte ein Stück goldbestickte Seide und schickte es gleich als Geschenk an Qaudia Procula.
Maria von Beeroth hatte ungeduldig gewartet und mich sicherlich mit dem krausbärtigen Sidonier feilschen sehen. Offenbar war sie der Meinung gewesen, ich hätte etwas für sie gekauft; denn nach einigem vergeblichem Warten begann sie zu zetern: »Wie ich sehe, bist du jetzt schon tadellos auf den Beinen, wenn es sich um etwas handelt, was dir Spaß macht. Und mich hältst du hier hinter Wänden und Vorhängen, als ob du dich meiner Gesellschaft schämen müßtest. Dabei weiß hier niemand etwas anderes von mir, als daß ich dich während einer lebensgefährlichen Erkrankung gepflegt und betreut habe. Ich möchte auch unter Leute kommen und in diesen hübschen Gärten mit anderen Frauen reden, Musik hören und mich unter einem Sonnensegel auf den See hinausrudern lassen. Aber an mich denkst du überhaupt nicht – nur an dich und deine Vergnügungen.«
Tiefe Niedergeschlagenheit erfüllte mich, als ich der Inbrunst gedachte, mit der wir Jerusalem verlassen hatten, während heute alle unsere Hoffnungen im Sand zu verlaufen schienen. Auch Claudia Procula hatte in jenen schuldbeladenen Tagen in Jerusalem, als die Erde bebte, ganz anders von Jesus gesprochen als jetzt. Ebenso ist auch ihre Gefährtin Johanna offenbar nicht mehr jene Frau, die, ohne an ihr Heim und die hohe Stellung ihres Gatten als Kämmerer des Herodes Antipas zu denken, Jesus Gefolgschaft geleistet hatte. Hier zwischen Marmorhallen und Gärten, wo im Schwefelgeruch der heißen Quellen aus den Myrtenhainen sanfte Flötenmusik ertönt, scheint sich alles zum alten Zustand rückverwandelt zu haben; Prunk und Behagen lassen keinen Raum für das Übernatürliche.
Ich fragte: »Maria von Beeroth, erinnerst du dich noch, weshalb wir hierherkamen?«
Maria warf den Kopf hoch, starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an und erwiderte vorwurfsvolclass="underline" »Gewiß, und zwar besser als du. Ich warte mit Sehnsucht auf Nachricht von Nathan oder Susanna. Sonst kann ich nichts tun. Warum sollte ich nicht in der Zwischenzeit die Annehmlichkeiten genießen, die es hier gibt und die mir neu sind?«
»Hier gehört alles zur irdischen Welt«, erklärte ich. »Diese Art von Gesellschaft und Umgebung bekommt man rascher satt als sonst etwas. Ich würde das alles mit Freuden hingeben, wenn ich dafür den Auferstandenen auch nur für einen Augenblick von weitem sehen könnte.«
»Sicherlich, sicherlich«, stimmte Maria ungeduldig bei. »Ich ja auch. Aber warum soll ich mich nicht, während ich darauf warte, vergnügen? Ich bin wie ein armes Landmädel, das zum erstenmal in die Stadt kommt und einen syrischen Spielzeugladen betritt. Ich bilde mir nicht ein, alle diese Dinge einmal selber besitzen zu können – so albern bin ich nicht. Aber weshalb sollte ich sie nicht anschauen und betasten?«
Ich verstand sie nicht und wurde ihrer Einwendungen müde. »Das kannst du haben«, versprach ich kurz angebunden, von dem heißen Wunsche erfüllt, sie loszuwerden. »Morgen miete ich ein Boot, und wir fahren nach Magdala. Ich habe gehört, daß die reiche Taubenzüchterin ihre Gefährten verlassen hat und heimgekehrt ist. Wir werden sie besuchen.«
Aber meine Begleiterin war über diese Ankündigung keineswegs begeistert. »Maria Magdalena ist eine hitzköpfige Frau«, murrte sie. »Sie war zwar seinerzeit die einzige, die mich freundlich behandelt und menschlich mit mir gesprochen und mich davon überzeugt hat, daß Jesus von Nazareth ein König war; aber ich habe Angst vor ihr.«
»Warum denn?« fragte ich erstaunt. »Sie ist es doch auch gewesen, die dich damals nachts zu dem Tor in der alten Mauer, das ich durchschreiten mußte, geschickt und dir die Worte, die du sprechen solltest, in den Mund gelegt hat.«
»Vielleicht wird sie von mir etwas verlangen, was ich jetzt, da du mich unter deinen Schutz genommen hast, nicht mehr tun möchte«, erklärte Maria. »Ihr Wille ist stärker als der meine, und wenn sie befiehlt, werde ich ganz willenlos.«
»Aber vor welcher Art von Befehl solltest du dich fürchten?« fragte ich.
Maria beklagte sich: »Sie trägt schwarze Kleider. Sie könnte wollen, daß ich diese schönen Gewänder, deine Geschenke, ablege und das Sackzeug der Büßerinnen antue. Sie könnte mir gebieten, dich jetzt, nachdem du mich nach Galiläa gebracht hast, zu verlassen. Davor habe ich Angst.«
»Maria von Beeroth«, rief ich erregt, »worauf hoffst du eigentlich? Und was stellst du dir im Zusammenhang mit meiner Person vor?«
»Ich hoffe auf nichts und stelle mir nichts vor«, rief sie ebenso heftig und warf den Kopf mit stolzer Gebärde zurück. »Sei überzeugt davon! Ich möchte nur eines Tages in deiner Nähe leben können. Noch vor wenigen Tagen hast du andere Töne angeschlagen, als dich hohes Fieber im Bett schüttelte und ich dir die aufgesprungenen Lippen netzte und du mich flehentlich batest, meine Hand auf deine Stirn zu legen und dir die ganze Nacht, während du schliefst, die Hand zu halten. Aber denke nicht, daß ich mir deswegen irgend etwas erhoffe oder vorstelle. O nein! Diese Tage waren schön und gehören zu den schönsten meines ganzen Lebens. Ich würde sie nicht gern plötzlich enden sehen. Aber tu natürlich, wie dir beliebt! Es ist mir klar, daß du nicht das tun wirst, was mir beliebt.«
Ich erkannte, daß es hoch an der Zeit war, mich von ihr zu trennen. Je länger sie bei mir blieb, desto fester band sie mich Tag für Tag auf vielerlei Art an sich, so daß ich mich ganz nutzlos an ihre Gegenwart gewöhnte. Ähnlich ergeht es einem, wenn man, ohne sich etwas Besonderes dabei zu denken, einen Sklaven oder einen Hund anschafft und dann feststellt, daß man an dem Hunde hängt oder den Sklaven nicht mehr entbehren kann.
Tags darauf mietete ich also ein Fischerboot mit zwei Ruderern, und wir fuhren über die leuchtenden Wellen des Sees nach Magdala. Maria beschattete sich zimperlich den Kopf; im Gasthof hatte sie sich, gleich den anderen Frauen des Ortes, das Gesicht sorgfältig mit Gurkensaft eingerieben, zur Beseitigung der Sonnenbräune. Während der Reise von Jerusalem hierher hatte sie solche Sorgen nicht gekannt.