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Meine Begleiterin schluchzte erschrocken auf und wagte nicht, mich anzusehen; unwillkürlich tat sie mir leid. Aber Maria Magdalena starrte sie mit düster gefurchter Stirn an.

»Überlege dir genau, was du willst!« mahnte sie. »Willst du Versuchung, Sünde und Übel, die dich zugrunde richten werden? Oder willst du ein einfaches, ehrenhaftes Leben?«

Meine Begleiterin hob den Blick und erklärte leidenschaftlich: »Ich möchte, daß mir die Sünden so vergeben werden wie dir und daß ich gereinigt werde, um wieder schuldlos zu sein. Zwinge mich nicht auszusprechen, was ich mir dann wünschen würde! Aber könnte es mir nicht beschieden werden, wenn ich innig darum bete?«

Maria Magdalena redete ihr zu: »Ich verstehe dich besser, als du glaubst, und lese in deiner einfachen Seele. Vertraue mir, ich habe mehr Erfahrung als du. Lege diese bunten Kleider ab und bleib bei mir, zu deinem eigenen Besten! Ich werde dich lehren, Tauben zu fangen und böse Gedanken zu verscheuchen. Vielleicht wird Jesus sich deiner erbarmen, wenn er sich mir zeigen sollte.«

Aber die junge Frau weinte noch bitterlicher, schlang die Arme um mein Knie und rief: »Genau das habe ich befürchtet, Marcus, und du darfst mich nicht in ihren Händen lassen. Sie wird mich zur Taglöhnerin machen oder als Sklavin verkaufen. Sie hat einen schrecklichen Ruf, das weißt du gar nicht.«

Maria Magdalena schüttelte den Kopf und erklärte: »Wenn du mehr Lebenserfahrung hättest, würdest du verstehen, daß du dich jetzt von Marcus trennen mußt – für eine Zeitlang wenigstens. Sonst wird dein Römer dich gründlich satt bekommen und schmachvoll wegschicken. Woher weißt du, daß du nicht bei mir etwas lernen kannst, was dich in seinen Augen angenehmer macht?«

Ich konnte nur vor Erleichterung darüber aufseufzen, daß Maria Magdalena mich so verständnisvoll von einer unerträglich werdenden Bürde zu befreien suchte. Meine Begleiterin schmiegte sich an meine Knie und benetzte meinen Mantelsaum mit ihren Tränen; als sie aber eine Weile geweint hatte, beruhigte sie sich und ergab sich in ihr Schicksal. Maria Magdalena befahl ihr, sich das Gesicht zu waschen und andere Kleider anzulegen, und sagte zu mir, als wir allein waren: »Ich fühle mich ihr gegenüber verantwortlich. Sie ist noch so jung, daß ihr Herz gleichermaßen zum Guten wie zum Bösen neigt. Ein solches Wesen ist eine zu schwere Versuchung für einen Mann. Es spricht für dich, daß du der Prüfung standgehalten hast. Maria von Beeroth ist in ihrer Einfalt eine der Geringsten unter uns. Wenn du sie verführen solltest, wäre es besser, dir würde ein Mühlstein um den Hals gehängt und du würdest in die Tiefe des Meeres versenkt.«

»Ich habe keineswegs die Absicht, sie zu verführen«, entgegnete ich verletzt. »In ihrem kindischen Sinn hat umgekehrt sie mich verlocken wollen. Wenn ich nicht erkrankt wäre, hätte ich sie vielleicht aus Überdruß zu mir genommen, als Susanna und Nathan mich im Stich ließen. Aber so ist es jetzt am besten. Schaue auf sie, und ich kann unbehindert meine Suche nach Jesus wieder aufnehmen.«

Maria Magdalena bemerkte: »Ich glaube nicht, daß Susanna dich hintergangen hat. Dazu ist sie zu einfältig. Wahrscheinlich vertut sie ihre Zeit in Kapernaum, ebenso bestürzt wie alle anderen Frauen, weil nichts geschieht. Aber erlaube mir eine Frage, Marcus Mezentius: Was erwartest du dir vom Leben?«

Ihre Frage machte mich demütig im Herzen. Ich dachte über mein Leben nach und begann, ihr aus meiner Vergangenheit zu erzählen: »Mir war das Glück gewogen. Als junger Mensch habe ich in Antiochia fremde Sprachen gelernt und wurde an der Rednerschule in Rhodos ausgebildet. Mein höchstes Ziel war eine Amtsstellung als Sekretär eines Statthalters im Osten oder ein Aufenthalt in Rom als Hausphilosoph eines ungebildeten Reichen. Trotz meiner geringen Neigung für den Soldatenberuf war ich wirklich verbittert darüber, daß es mir nach meiner Übersiedlung nach Rom nicht gelungen war, in die Ritterschaft Aufnahme zu finden. Erst durch eine letztwillige Verfügung erwarb ich das Recht zum Tragen eines Daumenringes. Aber inzwischen hatte diese Auszeichnung ihre Bedeutung für mich verloren; ich mißachte solche Dinge und trage den Ring in meiner Geldbörse. Gerade als ich mir alles, was ich wünschte, anschaffen konnte, fand ich, daß kaum irgend etwas davon wirklichen Wert für mich hatte. Dann verblendete mich Begierde, bis ich vor Mordanschlägen aus Rom entfliehen mußte. Was ich mir vom Leben erwarte? Darauf kann ich keine Antwort geben. Ich muß mich nur fragen, welche Gewalt es war, die mich von Alexandria nach Jerusalem trieb und vor das Kreuz des Judenkönigs führte, als die ganze Welt im Dunkel lag.«

»Durch günstige Fügung«, fuhr ich fort, »konnte ich in den ersten Mannesjahren alles erreichen, was ich als Jüngling so heiß und vergeblich ersehnt hatte – Freundschaft, Beliebtheit, körperliche Genüsse. Sogar Macht hätte ich erlangen können; aber für diese Art von Streben hatte ich nie etwas übrig. Bald blieb mir von allem nur mehr ein schaler Geschmack im Munde. Nach ungezügelten Vergnügungen fühlte ich mich ausweglos verzweifelt. Eines weiß ich bestimmt: daß mein Sinn nicht danach steht, als aufgedunsener, ausgebrannter Greis in Rom zu leben, alte Gedanken wiederzukäuen und wie ein Schwachsinniger endlos die gleichen abgedroschenen Geschichtchen zu erzählen. Das aber ist die einzige Zukunft, die ich für den Fall einer Rückkehr nach Rom vor mir sehe. Übrigens gedenke ich vorläufig keinesfalls nach Rom zu gehen. Ich würde damit nur meinen Kopf aufs Spiel setzen; denn dort erwartet man, wie du vielleicht weißt, für nahe Zukunft einen Staatsstreich. Dann wird man jeden fragen, auf welcher Seite er steht. Ich habe zu viel Achtung vor Cäsars Genius, als daß ich an den Ränken eines blutdürstigen, niedriggeborenen Mannes teilhaben wollte. Mich verlangt es mehr danach, still und demütig im Herzen zu werden.«

»Was erhoffst du dir von Jesus?« fragte Maria Magdalena.

»Ich habe sein Reich erahnt«, erklärte ich, »und es ist nicht bloß Traum und Dichtung, nach Art von Vergils Totenreich; es ist ebenso Wirklichkeit wie die, in der wir leben. Ja; wenn ich an Jesus denke, verschmilzt mir seine Wirklichkeit mit der irdischen auf verwirrende Art. Maria Magdalena, ich bin glücklich, daß ich in diesen Tagen leben darf, einfach, weil ich weiß, daß er in Galiläa ist. Nein, ich begehre und wünsche nichts von ihm, was er nicht selbst mir gewähren will. Sein Reich kann ja kein gewöhnliches weltliches Herrschertum, sondern muß etwas mir noch unbegreifliches Neues sein. Sonst würde alles sinnlos werden; irdische Reiche sind doch seit Anbeginn der Zeiten immer wieder gegründet und auch – sogar vom Reich Alexanders gilt das – immer wieder zerstört worden. Nur Rom wird wahrscheinlich Bestand haben. Schon aus diesem Grunde kann Jesu Reich nicht von dieser Welt sein.«

Wir sprachen noch über andere Dinge, bis Maria von Beeroth zurückkam. Sie hatte sich das Gesicht gewaschen, das Haar glattgekämmt und einen weißen Mantel angelegt; sie war barfuß. Nun sah sie so rührend jung aus, daß mir warm ums Herz wurde und ich ihr nichts mehr nachtrug. Um die Trennung nicht allzu schmerzlich zu machen, beschloß ich, noch am gleichen Tage nach Tiberias zurückzukehren. Maria Magdalena versprach, mich zu verständigen, wenn sie etwas Wichtiges erfuhr, und gab mir Grüße für Johanna und Claudia Procula auf.

Ich ging zu Fuß in das Dorf Magdala und spürte beim Gehen überhaupt keine Schmerzen mehr, so daß ich einen Augenblick lang erwog, bis nach Tiberias auf der Küstenstraße zu wandern. Aber unten am Gestade traf ich die beiden Fischer, die Maria von Beeroth und mich nach Magdala gebracht hatten; sie warteten offenbar auf mich, weil sie es nicht eilig hatten und von mir gut entlohnt worden waren. Der Himmel war jetzt umzogen, und der Wind hatte aufgefrischt, so daß die Wellen des Sees weiße Schaumkronen trugen. Die Fischer schauten zum Himmel und auf die schwarzen Wolken, die um die Berge über der Taubenkluft brauten, und sagten: »Der See Genezareth ist heimtückisch. Durch einen plötzlichen Windstoß könnte das Boot abtreiben und kentern. Kannst du schwimmen, Herr?«