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Aber nach einer Weile fügte der eine hinzu: »Er könnte jemand gewesen sein, den wir schon gesehen haben – vielleicht jemand, der zum Volk gesprochen hat. Er muß gegeißelt und aus Galiläa vertrieben worden sein. Dazu braucht es nicht viel. Johannes ist um einen Kopf kürzer gemacht worden, weil er es wagte, dem Tetrarchen die Ehe mit der Frau seines Bruders zu verweisen.«

Der andere erklärte: »Etwas in seinen Gesichtszügen und Augen hat an Jesus von Nazareth erinnert. Wenn es nicht unmöglich wäre, hätte ich ihn für den Gekreuzigten selber gehalten. Aber soweit ich mich entsinne, ist Jesus größer und ernster gewesen als dieser Mann und nicht so umgänglich. Vielleicht war es einer seiner Verwandten oder Begleiter, der sich jetzt versteckt hält.«

Die nach menschlichem Ermessen so unglaubhafte Vermutung traf mich wie ein Blitzstrahl und erschütterte mich bis in die Tiefen der Seele. »Wendet sofort!« rief ich und sprang auf. Sie nahmen mein Verlangen nicht ernst, bis ich drohte, mich ins Wasser zu stürzen und an Land zu schwimmen. Widerstrebend wendeten sie und ruderten zurück. Ehe noch der Bug des Bootes den Boden streifte, sprang ich über Bord und rannte zu der Hütte. Dort sah ich, wie beim Verlassen des Platzes, die Grube im Boden und die Asche des erloschenen Feuers, aber nirgends einen Menschen. Gleich einem Verrückten lief ich, auf der vergeblichen Suche nach Fußwegen, den Strand nach beiden Richtungen ab, bis die Fischer mich packten und gewaltsam ins Boot setzen.

Dort verhüllte ich mir den Kopf und schalt mich einen heillosen Toren, weil ich Jesus von Nazareth, fall er es tatsächlich gewesen war, nicht erkannt hatte. Dann kamen mir wieder Zweifel, weil dieser Mann, so überlegte ich, sich doch in keiner Weise von mir oder einem anderen lebenden Menschen unterschieden hatte. Ich hatte ihn betastet und nichts an ihm bemerkt, was meinem Begriff des Göttlichen entsprach. Aber, dachte ich, vielleicht ist Göttlichkeit etwas so Schlichtes wie das Brot, das er uns gab, und der Wein, den wir tranken. Wer bin ich, daß ich darüber entscheiden könnte, auf welche Weise in und welcher Gestalt der Sohn Gottes sich den Menschen zu offenbaren hat?

Ich war von quälender Unsicherheit erfüllt und wußte nicht, was ich glauben sollte. Darum ging ich Wort für Wort durch, was ich gefragt und was er mir geantwortet hatte. Schließlich schob ich alles Grübeln darüber beiseite und dachte mir, es werde sich bald genug herausstellen, ob ich wirklich bei einem Wagenrennen im Zirkus von Tiberias zugegen sein würde oder nicht.

Aber ich konnte mich nicht enthalten, meine beiden Ruderer scharf zu rügen: »Ich habe euch doch selbst gesagt, daß der Nazarener am dritten Tage nach seinem Tode auferstanden ist. Wenn ihr ihn also wirklich zu erkennen glaubtet, warum habt ihr ihn nicht angesprochen und gefragt, ob er der Gekreuzigte ist?«

Sie warfen sich Blicke des Einverständnisses zu und fragten ihrerseits: »Weshalb hätten wir ihn anreden sollen? Wenn er etwas von uns gewollt hätte, war es an ihm gewesen, es uns zu sagen. Außerdem war uns bange.«

Nach einer Weile fügten sie hinzu: »Wir werden von dieser Begegnung niemandem erzählen; auch du darfst es nicht tun. Sollte es, was kaum zu glauben ist, wirklich Jesus von Nazareth gewesen sein, so hat er bestimmt gute Gründe, die Einsamkeit zu suchen und sich vor den Römern zu verstecken.«

Diese Bitte konnte ich ihnen nicht abschlagen. Aber ich gab ihnen zu bedenken: »Falls er es wirklich ist, so braucht er doch nichts in der Welt zu fürchten. In Jerusalem hat er sich seinen Jüngern, während sie hinter verschlossenen Türen versammelt waren, gezeigt.«

Beide lachten spöttisch und sagten: »Du darfst uns Galiläern nicht alles aufs Wort glauben, Fremdling. Wir sind Gefühlsmenschen mit sehr lebhafter Einbildungskraft.«

Als ich in mein nun schon vertrautes Zimmer in dem bequemen griechischen Gasthof zurückgekehrt war, fühlte ich große Erleichterung darüber, daß ich endlich wieder allein war, in Ruhe nachdenken und meine Tage nach Belieben verbringen konnte. Meine Reisebegleiterin hatte mich überallhin verfolgt. Erst jetzt, da ich sie durch Maria Magdalenas Hilfe losgeworden war, erkannte ich, wie sehr sie mich gestört hatte.

Im Frieden meines Zimmers versank ich wieder in Grübeln über meine letzten Erlebnisse. Während ich aber so dasaß, empfand ich die Friedlichkeit meines Raumes immer mehr als öde; Unrast und Reizbarkeit überkamen mich. In dieser behaglichen Umwelt, wo die Kurgäste nichts Wichtigeres zu tun hatten, als die Zeit totzuschlagen und sich gegenseitig von ihren Krankheiten und ihrer Diät zu erzählen, erschien es mir nicht länger als möglich, daß ich wirklich Jesus von Nazareth gesehen haben sollte. Die Aufregungen und Ängste während des Gewitters mußten mich verstört und in mir irgendwie die Grenze zwischen Wirklichkeit und Traum verwischt haben. Und meine Ruderer hatten mich bestimmt nur gehänselt. Wenn der fremde Fischer Jesus gewesen wäre und sich mir hätte offenbaren wollen, so hätte er unverhüllt gesprochen und sich zu erkennen gegeben. *

Mein Unbehagen wurde so bedrückend, daß ich nicht stillsitzen konnte, sondern, mit Tränen in den Augen, im Zimmer auf und ab gehen mußte und meines Alleinseins nicht mehr froh wurde. Schließlich benachrichtigte ich Claudia Procula von meiner Rückkehr, erhielt aber Bescheid, daß sie keine Zeit für mich habe. Der Bote erzählte mir, es seien vornehme Gäste vom Hofe des Fürsten Herodes zu Besuch gekommen.

Erst am nächsten Tage schickte sie mir eine Einladung zum Essen. Ich war nicht der einzige Gast. Auch drei Mitglieder des herodianischen Hofstaates sollten an dem Mahl teilnehmen: der römische Berater des Tetrarchen, ferner Johannas Gatte Chusa und der Leibarzt des Fürsten, den Herodes zur Untersuchung Claudia Proculas geschickt hatte. Dieser freigeistige Jude hatte auf der Insel Kos die Heilkunde studiert und war so völlig hellenisiert, daß er griechischer wirkte als jeder Grieche. Während wir in der Palasthalle auf Claudia Proculas Erscheinen und den Beginn des Mahles warteten, wurde uns gewässerter Wein aufgetragen, mit süßen und scharfen Leckerbissen zum Knabbern. Die Hofleute versuchten, mir mit allen möglichen Fragen auf den Zahn zu fühlen. Aber ich beschränkte mich darauf, die Wirksamkeit der Heilbäder zu loben und verwies zum Beweis dafür auf die rasche Ausheilung meiner Blutvergiftung.

Claudia Procula erschien zum Mahle in Begleitung Johannas, obwohl Chusa offenbar die Teilnahme seiner Gattin, die sich übrigens dann die ganze Zeit über schweigsam verhielt, nicht billigte. Die Hausfrau war sehr blaß und klagte darüber, sie sei zwar von den Bädern ganz erschöpft, leide aber weiter an Schlaflosigkeit. Wenn sie wirklich einmal einschlafe, habe sie sofort Schreckträume, und die Zofe müsse sie wecken, weil sie im Schlaf stöhne.

»Du kannst dir nicht vorstellen, Marcus«, wandte sie sich an mich, »in welche Klemme ich arme, schwache, kranke Frau geraten bin. Als ich hierherreisen wollte, warnte mein Gatte mich; aber ich hätte nie gedacht, daß meine Lage so schwierig werden würde. Ich habe immer zurückgezogen gelebt und mich von der Politik ferngehalten. Der Tetrarch Herodes überbietet sich aber an Aufmerksamkeiten. Um seine Freundschaft für Pontius Pilatus zu erweisen, will er jetzt zu meinen Ehren ein großes Wagenrennen veranstalten. Dabei verabscheue ich gerade unnötiges Aufsehen; meinem Empfinden nach war es mehr als genug, daß der Fürst mir seine rotmanteligen Reiter bis zur Grenze entgegengeschickt hat.«

Sie warf einen betont bösen Blick auf die Hofleute und erklärte: »Außerdem, mußt du wissen, ist auch noch geplant, daß seine schöne Gattin Herodias und ich nebeneinander in der Fürstenloge sitzen und die Huldigung der Bevölkerung entgegennehmen sollen. Aber ich kenne Herodias gar nicht. Überdies soll angeblich ihre Ehe nach dem jüdischen Gesetz ungültig sein.«

Die Hofleute hoben aufgeregt die Hände, als wollten sie diese Beleidigung abwehren; zumindest der langbärtige Chusa schaute jedoch, wie ich bemerkte, recht verlegen drein. Da ich nichts zu verlieren hatte und von der Gunst des Tetrarchen nicht abhing, erwiderte ich – im Gefühl, daß Claudia Procula es so wünschte – freimütig: »Wir reden ja hier alle vertraulich miteinander. Der Fuchs ist ein kluges Tier, und ich höre, daß der Fürst Herodes Antipas sich geschmeichelt fühlt, wenn man ihn einen Fuchs nennt. Seine Absicht ist offenbar darauf gerichtet, daß du, die ranghöchste Römerin in diesem Lande und eine Verwandte Cäsars, in aller Öffentlichkeit deine Billigung dieser Heirat kundgibst, die so viel böses Blut gemacht hat, daß sogar ein Prophet deswegen enthauptet wurde. Ich kann mir den stürmischen Beifall vorstellen, mit dem die gefühlsseligen Galiläer dein Erscheinen im Zirkus begrüßen werden, wenn sich ihnen dabei Gelegenheit bietet, gleichzeitig ihrer Liebe zu den Römern und ihrer Verehrung für die Landesfürstin Ausdruck zu geben. Ich nehme an, daß man ein paar Kohorten brauchen wird, um im Zirkus einigermaßen die Ordnung aufrechtzuerhalten, und daß man an den Toren alle Zuschauer durchsuchen muß, um sicherzugehen, daß nicht die eine oder andere der beiden Damen eine kleine Huldigungsgabe an den Kopf geworfen bekommt.«