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»He, ihr! Laßt mal schleunigst die Falle in Ruhe, sonst erzähl' ich euch was anderes!«

Da diese Drohung vom Knacken eines Revolverhahnes dramatisch unterstrichen wurde, gehorchte Frisco Kid und zog sich knurrend in den Ruderstand zurück. »Oh, weißt du, es kommen schon noch genügend Gelegenheiten«, flüsterte er Joe tröstend zu. »Franzosen-Pete ist ein geriebener Hund. Er hat sich schon gedacht, daß du versuchen würdest, auszureißen. Darum hat er uns 'ne Wache hingebaut!«

Kein Laut vom Lande her verriet, wie das Unternehmen der Piraten vorwärtsging. Kein Hund bellte, kein Licht blitzte auf. Aber die Luft schien zu zittern vor gebändigter Unruhe, die jeden Augenblick losbrechen konnte. Die Nacht war zum Zerreißen gespannt, als ob sie alle nur erdenkbaren Schrecken bereithielte. Die Jungen spürten das deutlich. Sie rückten im Ruderstand näher aneinander und warteten weiter.

»Du wolltest mir erzählen, wie du abgehauen bist«, wagte sich Joe endlich hervor, »und warum du zurückgekommen bist!«

Frisco Kid begann bereitwillig zu erzählen. Er sprach mit gedämpfter Stimme, den Mund dicht am Ohr des Kameraden.

»Als ich mich damals entschloß, dieses Leben hier an den Nagel zu hängen, kannte ich niemand, der mir helfen konnte. Also blieb mir nichts anderes übrig, als einfach an Land zu gehen und mir irgendeine Arbeit zu suchen, damit ich später eine Schule besuchen konnte. Damals glaubte ich, daß ich auf dem Land bessere Möglichkeiten haben würde als in der Stadt. Ich rückte dem Roten Nelson also aus - zu der Zeit war ich auf der Rentier. Eines Nachts, als wir bei den Austernbänken vor Alameda lagen, stieg ich aus und erreichte das Ufer. Ich rannte von der Bucht weg, so schnell mich meine Beine trugen. Nelson hat mich nicht geschnappt. Aber in der ganzen Gegend wohnen nur portugiesische Bauern, und keiner hatte Arbeit für mich. Außerdem war es kaum die richtige Jahreszeit - Winter nämlich. Daran kannst du sehen, wieviel ich vom Landleben verstand! Ich hatte mir ein paar Dollar gespart. Tiefer und tiefer wanderte ich landeinwärts, ständig nach Arbeit suchend. Brot, Käse und dergleichen kaufte ich mir beim Krämer. Ich kann dir sagen, ich hab' vielleicht geschnattert in den Nächten! Kalt war es ohne Decken, und ich war immer froh, wenn es wieder hell wurde. Viel schlimmer als die Kälte jedoch waren die Leute. Wie die mich ansahen! Mißtrauisch waren sie alle, und sie schämten sich weiß Gott nicht, es mir zu zeigen. Manche hetzten ihre Hunde auf mich und jagten mich weg. Es sah wirklich so aus, als ob auf dem Land für mich kein Platz sei. Schließlich ging mir das Geld aus, und als ich richtig zu hungern anfing, wurde ich verhaftet.« »Verhaftet? Weswegen?« »Wegen nichts. Einfach nur, weil ich lebte. Eines Nachts kroch ich zum Schlafen in einen Heuschober, weil es da drin wärmer war - und da kommt ein Dorfpolizist und verhaftet mich. Als Landstreicher, sagte er. Zuerst dachten sie, ich sei von zu Hause weggelaufen, und telegrafierten meinetwegen in alle Himmelsrichtungen. Ich sagte ihnen, daß ich keine Angehörigen hätte, aber es dauerte eine ganze Weile, ehe sie mir das glaubten. Als sich dann aber doch schließlich keiner meldete und mich abholte, schickte der Richter mich nach San Franzisko in eine „Fürsorgeanstalt“!« Er hielt inne und spähte angestrengt nach dem Ufer hinüber. Schwärzeste Nacht und eine abgrundtiefe Stille schienen die Männer verschluckt zu haben. Nichts regte sich außer dem auffrischenden Wind.

»Ich glaubte sterben zu müssen in der „Fürsorgeanstalt“. Wie ein Gefängnis war das für mich. Wir wurden eingeschlossen und bewacht wie Verbrecher. Das wäre immer noch nicht so schlimm gewesen, wenn ich die anderen Jungens gemocht hätte. Aber die meisten von ihnen waren Straßenjungen von der übelsten Sorte - Lügner und Kriecher und Feiglinge, in denen auch nicht der winzigste Funken Mannhaftigkeit steckte und die keine Ahnung hatten von Anstand und fairen Spielregeln. Nur eins machte mir Spaß in der Anstalt: Bücher. Ich las und las und las. Aber das andere war damit nicht aufgewogen. Ich sehnte mich nach Freiheit und Sonne und nach dem Meer. Was hatte ich denn verbrochen, daß man mich mit so einer Bande in ein Gefängnis sperrte? Ich hatte nichts Böses getan, im Gegenteiclass="underline" Ich hatte versucht, endlich einmal etwas Rechtes zu tun und einen besseren Menschen aus mir zu machen. Und das war der Lohn! Ich war noch sehr jung. Ich konnte es einfach nicht verstehen. Manchmal stellte ich mir vor, wie der Sonnenschein auf dem Wasser tanzte und weiß von den Segeln zurücksprang, und ich sah die Rentier in schneidiger Fahrt über die Wellen schießen, und mir wurde so elend davon, daß ich nicht mehr wußte, was ich machen sollte. Wenn mir dann die Jungens mit einer von ihren Gemeinheiten kommen wollten, schlug ich die ganze Bande zusammen, bis die Aufseher mich packten und einsperrten. Ich hielt es einfach nicht mehr aus. Ich wartete auf eine günstige Gelegenheit und haute ab. Da es an Land keinen Platz für mich zu geben schien, heuerte ich bei Franzosen-Pete an und kehrte zur Bucht zurück. Mehr ist da nicht zu erzählen - das heißt, ich werde es noch mal versuchen, wenn ich etwas älter bin -alt genug, um mich durchzusetzen.«

»Du gehst mit mir an Land«, erklärte Joe mit Nachdruck und legte Frisco Kid die Hand auf die Schulter. »Etwas anderes kommt gar nicht in Frage. Und was . . .« Peng, knallte ein Revolverschuß am Ufer. Peng! Peng! Mehrere Schießeisen ließen sich scharf und eilig vernehmen. Der wilde Aufschrei eines Mannes zerschnitt die Luft und verstummte wieder. Jemand schrie um Hilfe. Sofort waren die beiden Jungen auf den Beinen, setzten das Großsegel und machten alles zur Abfahrt bereit. Der Schiffsjunge der Rentier tat dasselbe. Von dem Lärm offensichtlich aus dem Schlaf geschreckt, steckte ein Mann auf der Jacht aufgeregt seinen Kopf zum Oberlicht der Kajüte hinaus, zog ihn aber eiligst wieder zurück, als er die beiden fremden Schaluppen erblickte.

Die Spannung war gebrochen, das Warten zu Ende. Nun hieß es handeln.

XVIII.

NEUE VERANTWORTUNG FÜR JOE

Frisco Kid und Joe holten die Kette ein, bis der Anker fast senkrecht unter dem Boot stand. Dann setzten sie sich erschöpft hin. Alles war bereit. Sie brauchten jetzt nur noch den Klüver zu setzen, und die Blender konnte lossegeln. Mit zusammengekniffenen Augen blickten sie zum Ufer hinüber. Der Lärm hatte aufgehört, aber nun blitzten allenthalben Lichter auf. Die beiden Jungen hörten das Knirschen eines Flaschenzuges und Nelsons singende Kommandostimme: »Hiev - ahoi!« und »Loswerfen!«

»Pete hat vergessen, die Rollen zu ölen«, meinte Frisco Kid. »Die lassen sich Zeit, was?« rief der Schiffsjunge vom Rentier herüber. Er saß auf dem Kajütendach und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ganz allein ein Großsegel zu setzen war alles andere als einfach. »Scheint aber zu klappen!« rief Frisco Kid zurück. »Alles in Ordnung bei dir?« »Jau - alles in Ordnung!« »He, ihr da!« rief der Mann drüben auf der Jacht durch das Oberlicht, ohne sich mit dem Kopf hervorzuwagen! »Ihr haut besser ab!« »Und du bleibst besser unten und hältst den Mund!« war die Antwort. »Kümmer dich um deinen eigenen Kram. Wir kümmern uns schon um unsern!« »Wenn ich nur hier 'rauskönnte, dann würde ich's euch zeigen!« drohte der Mann. »Sei froh, daß du drin bist!« erwiderte der Junge vom Rentier. Darauf verstummte der andere. »Da kommen sie!« sagte Frisco Kid plötzlich zu Joe. Die beiden Boote kamen aus der Dunkelheit geschossen und glitten längsseits. Franzosen-Petes Stimme nach zu urteilen, war ein Streit im Gange.

»Nein, nein!« schrie er. »Sie kommen auf Blender! Die Rentier, sie gehen ßu schnähl, und weck ist sie - oh, ßo schnähl! Und ick ihn nickt sehen wieder! Pack ihm auf Blender, eh?«

»Na, dann gut«, stimmte der Rote Nelson schließlich zu. »Wir teilen uns den Braten hinterher. Nur schnell jetzt! Hoch, Jungs! Und das Ding 'raufgehievt. Mit meinem gebrochenen Arm kann ich nichts machen!« Die Männer sprangen auf, Taue flogen an Bord, und alle außer Joe legten Hand an. Am Ufer hatte man die Verfolgung aufgenommen. Männer brüllten, Riemen klatschten, Blöcke ächzten, Segel schlugen.