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Der Anblick verschlug den Atem. In diesem Moment erhob sich der Sturm mit all seiner Raserei. Brüllend hieb er die zerrissenen Wellenkämme platt, bis sie kochten. Die Rentier verschwand hinter einer mächtigen See. Die Welle rollte weiter. Aber im nächsten Augenblick sahen die beiden Jungen dort, wo eben noch die Schaluppe gewesen war, nichts als wütende See. Entsetzt und ungläubig schauten sie noch einmal hin. Es gab keine Rentier mehr. Sie waren ganz allein auf den zerfetzten Wogen des Ozeans. »Der Herr sei ihren Seelen gnädig!« sagte Frisco Kid feierlich. Die plötzliche Katastrophe hatte Joe so erschüttert, daß er keinen Ton herausbrachte. »Hat er sie doch glatt unter Wasser gesegelt! Mit dem Ballast, den sie an Bord hat, geht sie gleich ab!« rief Frisco Kid und holte tief Luft. Dann wurde ihm wieder die eigene bedrängte Lage bewußt. »Jetzt müssen wir uns selber helfen«, sagte er. »Mit dem letzten Stoß hat sich der Sturm das Kreuz gebrochen, aber die See geht erst richtig hoch, wenn der Wind abflaut. Halt dich gut fest und komm mit. Wir müssen das Boot 'rumkriegen, damit die See von vorn anläuft.«

Mit Messern in der Hand krochen sie nach vorn, wo die schlackernde Takelung dem Boot arg zu schaffen machte. Frisco Kid leitete die gefährliche Arbeit, aber Joe führte seine Anweisungen wie ein befahrener Seebär aus. Alle paar Minuten ging eine See über die beiden Jungen hinweg, und wie Federbälle wurden sie gestoßen und hin und her geschlagen. Zunächst zurrten sie das größte Stück des Wrackgutes vorn an der Beting fest. Dann zerschnitten und zerhackten sie, mehr unter als über Wasser, keuchend und nach Luft schnappend das Gewirr von Fallen, Schoten, Stags und Taljen. Der Ruderstand nahm immer mehr Wasser über. Wenn sie nicht schnellstens mit ihrer Arbeit fertig wurden, mußte das Boot sinken. Endlich jedoch war alles klar bis auf die Leetakelung. Frisco Kid zerhieb die Falle, der Sturm erledigte den Rest. Rasch trieb die Blender im Sturm vom Wrackgut ab, bis die vorn festgezurrte Leine den Bug mit einem Ruck herumriß. Nun stand die Schaluppe mit der Nase genau gegen Wind und See.

Das Unternehmen war gelungen. Die beiden gönnten sich gerade genug Zeit für ein »Hurra«, dann rannten sie nach achtern. Der Ruderstand war nun über die Hälfte mit Wasser gefüllt. Die Einrichtung der Kajüte schwamm darin herum. Sie rissen zwei Eimer aus den Gerätekisten am Heck und machten sich daran, Ruderstand und Kajüte leerzuschöpfen. Es war eine mühsame und entmutigende Arbeit, denn so mancher Eimer voll wurde vom Sturm wieder zurückgeschleudert. Aber sie hielten zäh durch, und als die Nacht hereinbrach, funktionierten die Pumpen wieder, und die Blender hüpfte fröhlich an ihrem Treibanker dahin.

Frisco Kid hatte recht gehabt: Der Sturm hatte seinen Höhepunkt überschritten. Allerdings hatte er nach Westen gedreht, von wo er auch jetzt noch steif herüberblies. »Wenn er sich so hält«, meinte Frisco Kid und drehte einen Daumen gegen den Wind, »werden wir morgen im Laufe des Tages an die kalifornische Küste treiben. Tun können wir jetzt nichts. Nur abwarten!«

Sie sprachen wenig. Bedrückt durch den Tod ihrer Gefährten und völliger Erschöpfung nahe, rückten sie, um sich zu wärmen, freundschaftlich dicht aneinander. Es war eine eklige Nacht. Ununterbrochen zitterten sie vor Kälte. Nichts an Bord war trocken geblieben. Lebensmittel, Decken, alles war von Salzwasser durchweicht. Von Zeit zu Zeit nickten die Jungen ein, aber immer nur für einen kurzen und eher quälenden Augenblick. Denn abwechselnd wachten sie immer wieder auf, und dann mit solch einem plötzlichen Ruck, daß auch der andere aus dem Schlaf aufgestört wurde. Endlich wurde es Morgen. Sie blickten sich um. Wind und See waren beträchtlich ruhiger geworden, und die Blender befand sich zweifellos in Sicherheit. Die Küste war näher, als sie erwartet hatten. Düster und abweisend zeigten sich die Klippen im Grau der Dämmerung. Aber als dann die Sonne aufstieg, erblickten sie den von der weißen Brandung eingefaßten gelben Strand und dahinter - fast zu schön, um wahr zu sein - die hingeduckten Häuser und qualmenden Schornsteine einer kleinen Stadt. »Santa Cruz!« schrie Frisco Kid. »Und die Brandung kann uns nicht gefährlich werden!«

»Dann ist der Geldschrank also in, Sicherheit?« fragte Joe. »Der ist sicher, darauf kannst du dich verlassen! Für größere Schiffe ist der Hafen nicht gerade sehr geeignet aber mit dieser Brise segeln wir schnurstracks die San-Lorenzo-Mündung 'rauf. Da oben ist so eine Art See und ein Bootshaus. Wasser so glatt wie Glas, geht dir kaum über den Kopf. Ich bin früher schon mal dagewesen, mit dem Roten Nelson. Los jetzt! Wir kommen gerade richtig zum Frühstück!« Frisco Kid holte einige Längen Reservetau aus den Kisten und schlug sie mit einem Knoten an das stehende Ende der Treibankertrosse. Die neue Laufleine schleppte er nach achtern und machte sie an der Heckbeting fest. Dann warf er von der Vorderbeting los. Die Blender rutschte in ein Wellental, drehte sich weiter, bis sie schließlich ihre Nase dem Ufer zuwandte. Ein paar Ersatzriemen und zwei durchnäßte Schlafdecken mußten als Notmast und Segel herhalten. Als beides gerichtet war, warf Joe von dem achtern nachschleppenden Wrackgut los, und Frisco Kid packte die Ruderpinne.

XXI.

JOE UND SEIN VATER

»Das wäre geschafft!« rief Frisco Kid, als er die Blender vorn und achtern festgemacht hatte. Er setzte sich auf die Kante der kleinen Anlegebrücke. »Was kommt jetzt, Käpt'n?« Joe blickte überrascht auf. »Wie - wieso? Was ist denn mit dir los?«

»Na, bitte, bist du jetzt etwa nicht Kapitän? Sind wir nicht an Land? Von jetzt an bin ich Mannschaft. Was befehlen Sie, Herr Kapitän?«

Joe begriff und spielte mit. »Alles klar zum Kaffee fassen - das heißt: Moment mal.«

Er verschwand in der Kajüte und steckte das Geld ein, das er in seinem Bündel verstaut hatte, als er an Bord kam. Dann verschloß er die Kajütentür, und zusammen gingen sie in die Stadt und suchten nach einem Restaurant. Während des Frühstücks plante Joe den nächsten Schritt, und als sie sich vom Tisch erhoben, klärte er Frisco Kid darüber auf. Vom Mann an der Kasse erfuhr Joe die Abfahrtszeit des nächsten Zuges nach San Franzisko. Er blickte auf die Uhr an der Wand.

»Den krieg' ich gerade noch«, sagte er zu Frisco Kid. »Halt die Kajütentür verschlossen und laß keinen an Bord kommen. Da hast du Geld. Iß im Restaurant. Trockne die Decken und schlaf im Ruderstand. Morgen bin ich zurück. Laß keinen in die Kajüte 'rein, hörst du? Bis dann!« Er gab Frisco Kid die Hand, dann rannte er die Straße zum Bahnhof hinunter. Verwundert betrachtete ihn der Schaffner, als er Joes Fahrkarte knipste. Es war ihm kaum übelzunehmen: Seine Fahrgäste pflegten im allgemeinen nicht in Wasserstiefeln und Südwester zu reisen. Joe kümmerte das wenig. Er bemerkte es nicht einmal. Er hatte sich eine Zeitung gekauft und war in ihren Inhalt vertieft. Es dauerte nicht lange, da fiel sein Blick auf einen Artikel, der ihn interessierte:

VERMUTLICH GESUNKEN

Von einer erfolglosen Fahrt zu den Heads kehrte der von der Firma Bronson & Täte gecharterte Schlepper Seekönigin zurück. Es war nicht möglich, herauszufinden, wer die tollkühnen Piraten -waren, die Dienstag abend in San Andreas den Geldschrank der Firma raubten. Der Leuchtturmwärter auf den Farralonen erklärt, er habe die beiden Schaluppen Mittwoch morgen vor der Küste gegen den Sturm ankämpfen sehen. In Schiffahrtskreisen gilt es als wahrscheinlich, daß die Piraten samt ihrem unredlich erworbenen Schatz im Sturm umgekommen sind. Der Safe soll neben zehntausend Dollar in Gold außerordentlich wichtige Dokumente enthalten haben.