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»Und wer sind Sie?« knurrte Simpson. Er ärgerte sich über die Unterbrechung.

»Das geht dich nichts an!« gab der Neuankömmling schroff zurück. »Aber wenn du es unbedingt wissen willst: Ich bin Heizer auf einem von den Dampfern, die nach China fahren. Und, wie gesagt, ich werde aufpassen, daß alles fair zugeht. Richtet euch danach. Und jetzt los! Sonst seid ihr morgen früh noch nicht fertig!«

Die drei Freunde waren über das Erscheinen des Heizers so erfreut, wie sich Simpson und Genossen darüber ärgerten. Mehrere Minuten lang beriet sich die Bande leise miteinander. Schließlich jedoch drückte Simpson das Bündel mit den Drachen einem seiner Anhänger in die Arme und trat einen Schritt vor.

»Na, dann gut!« sagte er und zog sich die Jacke aus. Joe reichte seine Jacke Fred und ging auf Rotkohl zu. Sie nahmen die Fäuste hoch und sahen sich an. Im selben Augenblick landete Simpson einen harten Schlag und duckte geschickt ab, so daß Joes eigener Schlag ihn nicht erreichte. Joe verspürte plötzlich Respekt vor den Fähigkeiten seines Gegners, aber das hatte lediglich zur Folge, daß seine ganze Hartnäckigkeit auf den Plan gerufen wurde. Er war entschlossen, um jeden Preis zu gewinnen. Durch die Anwesenheit des Heizers in Schach gehalten, begnügten sich Simpsons Anhänger damit, Kohlkopf anzufeuern und Joe zu verhöhnen. Die beiden Jungen umkreisten einander, griffen an, täuschten sich gegenseitig, gingen in Deckung. Jetzt mußte der eine, dann der andere einen gutgezielten Schlag einstecken.

Ihre Haltung beim Kampf unterschied sich auf sehr bezeichnende Weise. Joe stand aufrecht und fest, wie angewurzelt, die Beine weit auseinander, den Kopf erhoben. Simpson dagegen krümmte sich, bis sein Kopf fast zwischen seinen Schultern verschwand, und er war ständig in Bewegung. Er sprang und hüpfte und brachte dutzendweise Tricks an, die Joe völlig neu und unbekannt waren.

Nach einer Viertelstunde waren beide sehr müde, aber Joe war der frischere von beiden. Tabak, schlechte Ernährung und eine ungesunde Lebensweise machten sich bei dem Bandenführer bemerkbar. Er keuchte und schnappte nach Luft. Obwohl er anfangs wegen seiner größeren Geschicklichkeit Joe böse zugesetzt hatte, wurde er nun schwächer, und seinen Schlägen fehlte die rechte Kraft. Vor Verzweiflung bediente er sich einer Angriffsmethode, die man zwar nicht als unfair, aber auch nicht gerade als vornehm bezeichnen konnte: er tänzelte hin und her, sprang vor und schlug rasch zu, duckte dann nach vorne ab und ließ sich vor Joes Füße fallen. Joe konnte nicht schlagen, solange er am Boden war, und trat daher zurück, bis der andere wieder hoch war. Dann fing dasselbe wieder von vorne an. Joe wurde es bald zuviel. Er stellte sich auf seinen Gegner ein. Er berechnete seinen Schlag so, daß er unmittelbar nach Simpsons Angriff lossauste und Simpson also traf, als er sich gerade ducken und fallen lassen wollte. Simpson fiel hin, aber unter dem Anprall von Joes Faust, die ihn am Kopf traf, kippte er zu einer Seite hinüber. Er überschlug sich und kam halbwegs wieder auf die Beine, verharrte aber heulend und nach Luft schnappend in dieser Stellung. Seine Leute drängten ihn mit Zurufen, aufzustehen, und ein- oder zweimal versuchte er es auch. Aber er war zu erschöpft und zu verblüfft. »Ich gebe auf«, sagte er, »ich bin fertig!« Schweigsam und bedrückt hatte die Bande der Niederlage ihres Anführers zugesehen.

Joe ging auf den Jungen zu, der das Bündel mit den Drachen hielt. »Gib sie her!« sagte er.

»Nee, nee, mal lieber langsam«, sagte ein anderer Junge der Bande und schob sich zwischen Joe und sein Eigentum. Auch sein Haar war leuchtend rot. »Du kriegst sie erst, wenn du mich auch fertiggemacht hast.«

»Was soll das denn heißen?« fragte Joe grob. »Ich habe mich geschlagen, und ich habe gewonnen. Damit ist die Geschichte erledigt.«

»Denkste«, sagte der andere. »Ich bin >Fuchs< Simpson. Rotkohl sein Bruder, kapiert?«

Und so lernte Joe gleich noch einen Brauch der Schlundleute kennen, der ihm ebenfalls völlig unbekannt gewesen war.

»Na, gut«, sagte er. Seine Kampflust war stärker angestachelt denn je durch dieses ungerechte Vorgehen. »Los!« Fuchs Simpson, der ein Jahr jünger als sein Bruder war, erwies sich als ein äußerst unfairer Gegner, und der gutmütige Heizer war gezwungen, mehrere Male einzugreifen, bevor auch das zweite Mitglied der Simpson-Sippe am Boden lag und sich geschlagen gab. Wieder griff Joe nach seinen Drachen. Diesmal hatte er nicht den geringsten Zweifel, daß man sie ihm aushändigen würde. Aber noch ein dritter Bursche drängte sich zwischen ihn und seinen Besitz. Das feuerrote Haar, das auch auf seinem Schädel sproß, verriet ihn. Joe erkannte in ihm sofort ein weiteres Mitglied der Simpsonschen Familie. Er war eine verjüngte Ausgabe seiner Brüder und um einiges weniger kräftig gebaut. Im Schein des elektrischen Lichtes sah man deutlich sein mit zahllosen Sommersprossen bedecktes Gesicht.

»Die Drachen kriste nich, bis daß de mich 'runtergekricht hast«, forderte er Joe mit einer dünnen, piepsenden Stimme heraus. »Ich bin >Feuerwanze< Simpson, un die Familie is ers k. o., wenn ich k. o. bin.«

Die Bande feuerte ihn bewundernd an, und Feuerwanze bereitete sich auf die Schlägerei vor, indem er seine zerlumpte Jacke auszog. »Mach dich fertig«, sagte er zu Joe. Joes Knöchel waren zerschunden, seine Nase blutete, seine Lippen waren aufgesprungen und geschwollen. Sein Hemd war von oben bis unten zerfetzt. Außerdem war er müde, und er atmete schwer.

»Wie viele von euch Simpsons gibt's denn noch?« fragte er. »Ich muß nach Hause. Wenn eure Familie noch viel größer ist, brauchen wir die ganze Nacht.«

»Ich bin der letzte und der beste«, erwiderte Feuerwanze. »Kriste mich, kriste auch die Drachen. Punkt.« »Na, wenn's sein muß«, seufzte Joe. »Los, komm 'ran!«

Wohl fehlte dem Jüngsten der Sippe die Kraft und die Erfahrung seiner älteren Brüder, aber dafür kämpfte er tückisch wie eine Wildkatze und machte Joe schwer zu schaffen. Mehrmals glaubte er, sich der kleinen Kratzbürste ergeben zu müssen, aber jedesmal riß er sich zusammen und schlug verbissen weiter. Er fühlte, daß er für ein Prinzip kämpfte, wie seine Vorfahren für ein Prinzip gekämpft hatten. Außerdem schien es ihm, daß die Ehre des Berges auf dem Spiel stand und daß er als dessen Vertreter die Pflicht hatte, sein Allerbestes zu tun. Also hielt er durch und ertrug die schnellen, ununterbrochenen Ausfälle seines Gegners, der, jung und unerfahren, wie er war, sich schließlich durch seine eigenen Anstrengungen völlig verausgabte. Am Boden liegend gestand er, daß zum ersten Mal in der Geschichte »die Familie Simpson« k. o. war.

IV.

WER ÄNDERN EINE GRUBE GRÄBT. . .

   Aber das Leben im Schlund war auch im besten Falle eine gefährliche Angelegenheit, wie die drei Bergbewohner bald erfahren sollten. Noch bevor Joe seine Drachen an sich nehmen konnte, mußte er zu seinem größten Erstaunen feststellen, daß alle seine Gegner, und sogar der Heizer, sich in wilder Flucht aus dem Staub machten. So wie die kleinen Mädchen und Straßenbengel beim Anblick der Simpsonbande das Weite gesucht hatten, so machte sich die Simpsonbande nun unsichtbar, als eine neue und in eben dem Maße furchteinflößende Truppe von Flegeln auftauchte. »Fischbande!« hörte Joe die Fliehenden rufen. »Die Fischbande!« Am liebsten wäre auch er vor der neuen Gefahr geflohen. Aber er war noch ganz außer Atem von dem letzten Kampf und wußte, daß ein Entkommen unmöglich war, ganz gleich, was ihm drohte. Fred und Charlie hatten größte Lust, vor der Gefahr wegzulaufen, die immerhin groß genug war, um selbst der gefürchteten Simpsonbande und dem wackeren Heizer einen Schrecken einzujagen. Sie konnten jedoch ihren Freund nicht im Stich lassen. Dunkle Gestalten stürmten das unbebaute Grundstück. Einige umzingelten die drei Freunde, andere jagten den Flüchtigen nach. Angstvolle Schreie verrieten, daß die letzten bereits eingeholt worden waren, und als die Verfolger wenig später zurückkehrten, brachten sie den bejammernswerten Rotkohl mit. Er knurrte vor Wut und hielt immer noch das Bündel mit den Drachen umklammert. Joe sah sich die neue Bande neugierig an. Es waren Jugendliche im Alter von siebzehn und achtzehn bis zu dreiundzwanzig oder auch vierundzwanzig Jahren, und sie gehörten unverkennbar zu den Halbstarken. Bösartige Gesichter hatten einige von ihnen - so bösartig, daß es Joe kalt über den Rücken lief, wenn er sie nur anblickte. Zwei von ihnen packten ihn hart bei den Armen, und auch Fred und Charlie wurden auf diese Weise festgehalten.