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»Ich bin heute dort entschuldigt«, sagte Gustav lächelnd; »ich habe aber auch seit heute früh ein Uhr so schrecklich geschwärmt und so unordentlich gelebt, daß es kein Wunder ist, wenn man so spät zu Hause kömmt; ratet einmal, ihr Mädchen, wo ich gewesen bin.«

Die Schwestern sahen ihn unwillig an, denn sie befürchteten mit Recht, dieser leichtfertige Ton möchte dem alten Herrn mißfallen. »Wie können wir dies wissen?« erwiderte Hedwig; »ich habe nie darnach gefragt, wo du dich mit deinen Kameraden umtreibst; doch heute, Bruder, bist du mir ein Rätsel.«

»Und in einem Lustschloß bin ich gewesen«, fuhr der junge Mann fort, »wo weder ihr beiden, noch Papa jemals waren; ihr erratet es doch nie - auf der Wache.«

»Auf der Wache!« riefen die Schwestern entsetzt.

»Das ist mir sehr unangenehm, Gustav«, setzte der Landschaftskonsulent hinzu; »meines Wissens bist du der erste Lanbek, den man auf die Wache setzte.«

»Mir ist es doppelt unangenehm«, antwortete sein Sohn, indem er den Vater fest anblickte, »weil es im Grunde eine Namensverwechslung zu sein scheint; denn meines Wissens bin nicht ich jener Lanbek, der die Szene an dem Tisch des Juden aufführte.«

Der Alte sah ihn bleich und betroffen an. »Gehet ins Nebenzimmer, Mädchen!« rief er, und als sich die Schwestern staunend, aber schnell und gehorsam zurückgezogen hatten, faßte er die Hand seines Sohnes, zog ihn auf einen Stuhl neben sich nieder und fragte hastig, aber mit leiser Stimme: »Was ist das? woher weißt du? wer sagte dir davon?«

»Er selbst«, antwortete der Sohn. »Der Jude?« fragte der Alte, »wie ist dies möglich?«

»Er war bei mir auf der Wache; ich sehe, wie Sie staunen, Vater, aber bereiten Sie sich auf noch wunderlichere Dinge vor.« Der junge Mann hielt es für das beste, seinem Vater so viel als möglich zu entdecken; er erzählte ihm also, wie aufgebracht der Minister auf den Konsulenten und seine Partei sei, wie der Sohn ihm widersprochen, wie der Minister, statt in heftigeren Zorn zu geraten, ihn plötzlich zum Expeditionsrat ernannt habe. Nur Leas erwähnte er mit keiner Silbe, der Kapitän hatte ihm dies geraten, und er beschloß davon zu schweigen, bis er seine Maßregeln getroffen hätte oder die Entdeckung des unglücklichen Verhältnisses unvermeidlich wäre.

»Ich sehe, was ich sehe«, sprach der Konsulent nach einigem Nachdenken. »Meinst du, wenn er uns nicht gefürchtet hätte, er würde mich geschont und dich dafür ergriffen haben, um mich gleichsam durch seine Gnade zu beschämen? Er hat mich gefürchtet, und er hat alle Ursache dazu. Ich bin ihm zu populär, und auch du wirst ihm nach und nach zu bekannt mit den hiesigen Bürgern weil du jetzt statt meiner die Armenprozesse führst. Der Expeditionsrat ist - eine Falle, die er uns beiden legen wollte, der kluge Fuchs.«

»Wie verstehen Sie dies, Papa?« fragte Gustav, dem es leichter ums Herz wurde, seit er ahnete, wie sein Vater die Sache aufnehme.

»Sieh Freund«, sprach der Alte zutraulicher, als er je getan, »du wirst das Opfer dieser Kabale, aber so wahr ich dein Vater bin, du sollst es nicht lange sein. Dieser Jude denkt aber also: Verwehre ich dir, diese Stelle anzunehmen, weil du dadurch in Übeln Geruch kommen könntest, so macht er es zu seiner Ehrensache, beklagt sich beim Herrn und ergreift die einzige Gelegenheit, die sich bot, mich zu zwingen auch mein Amt aufzugeben. Er kennt mich, er weiß, daß er sowenig als der Herzog mich absetzen kann, er weiß auch, wer der alte Lanbek ist, nämlich - sein Feind. Nehmen wir die Stelle an, kalkulierte er weiter, so werden wir verdächtig bei allen, die das Bessere wollen. Der Vater, Konsulent der Landschaft, würde man denken, der Sohn - Expeditionsrat; gekauft hat ihm der Alte die Stelle nicht, und der Süß gibt bekanntlich nichts ohne großen Gewinn an Geld oder geheimem Einfluß, folglich - sind wir übergetreten zu dem Gewaltigen. So glaubt er, werden die Leute urteilen, und er hat es recht klug gemacht, aber er kennt mich nicht ganz; noch weiß ich, gottlob! ein Mittel, uns das Vertrauen der Bessern zu erhalten, und du - wirst und bleibst Expeditionsrat; ändern sich die Verhältnisse, so wirst du wieder Aktuarius, und die Menschen erkennen dann deine Unschuld.«

»Aber Vater!« sagte der junge Mann zaudernd, »Ihr Ruf ist felsenfest, aber der meinige? wie lange wird es noch anstehen, bis die Verhältnisse sich ändern!«

»Sohn!« erwiderte der Alte nicht ohne Rührung, »du siehst, wie dieses schöne Land bis in sein innerstes Mark zerrüttet ist; meinst du, es könne immer so fortgehen? - Glaube mir, ehe der Frühling ins Land kommt, muß es anders werden; schlechter kann es nimmer werden, aber besser. Darum glaube mir und vertraue auf Gott!«

8

Während der alte Lanbek noch so sprach und seinem Sohn Mut einzureden suchte, wurde die Hausglocke heftig angezogen, und bald darauf trat ein Offizier in das Zimmer, dem der Konsulent freundlich entgegeneilte. Wenn man das dunkelrote Gesicht, die freien, mutigen Züge und das kleine, aber scharfblickende Auge dieses Mannes sah, so konnte man die Sage von kühner Entschlossenheit und beinahe fabelhafter Tapferkeit, die er unter dem Herzog Alexander und dem Prinzen Eugenius bewiesen haben sollte, glaublich finden.

»Mein Sohn, der vormalige Aktuarius Lanbek«, sprach der Alte, »der Obrist von Röder, den du wenigstens dem Namen nach kennen wirst.«

»Wie sollte ich nicht«, erwiderte Gustav, indem er sich verbeugte; »wenn unsere Truppen von Malplaquet und Peterwardein erzählen, so hört man diesen Namen immer unter die ersten und glänzendsten zählen.«

»Zuviel Ehre für einen alten Mann, der nur seine Schuldigkeit getan«, antwortete der Obrist; »aber Konsulent, was sagt Ihr dazu, daß der Jude jetzt auch uns ins Handwerk greift? Ich komme zu Euch eigentlich nur, um zu fragen: soll ich, oder soll ich nicht?«

»Wie soll ich das verstehen?« fragte der Konsulent staunend; »Röder, nur jetzt keinen übereilten Streich!«

»Das ist es eben!« rief jener, auf den Boden stampfend, »meine Ehre und die Ehre des ganzen Korps ist gekränkt; einen meiner talentvollsten Offiziere sollte ich nach Fug und Recht kassieren lassen um dieses Hundes willen, und tu ich's, so bin ich morgen selbst außer Dienst.«

»Aber so sprecht doch, Obrist!« sagte der Alte, indem er seinem Sohn winkte, Stühle zu setzen, »setzt Euch, Ihr seid noch in der ersten Hitze.«

»Mein Regiment hat gestern und heute den Dienst«, fuhr jener eifrig fort; »da bringt man nun gestern nacht von der Redoute weg einen Menschen auf unsere Wache mit dem ausdrücklichen Befehl vom Juden, ihn wohl zu bewachen, aber keinen weitern Rapport abzustatten; heute früh zieht der Kapitän Reelzingen auf, findet einen Gefangenen im Offizierszimmer, von welchem nichts im Rapport steht, und denkt Euch - nach einer halben Stunde kömmt der Minister selbst, schickt den Kapitän aus dem Zimmer, verhört auf unserer Wache den Gefangenen insgeheim, entläßt ihn dann und befiehlt dem Kapitän noch einmal, keinen Rapport abzustatten und - nimmt ihm das Ehrenwort ab - er einem Offizier auf der Wache - nimmt ihm das Wort ab, den Namen des Gefangenen nicht zu nennen; dahin also ist es gekommen, daß jeder Schreiber oder gar ein hergelaufener Jude uns kommandiert? Nach Kriegsrecht muß ich den Kapitän kassieren lassen; meine Ehre fordert, daß ich es nicht dulde, denn ich hatte den Dienst, und ich muß mich rühren, sollte es mich auch meine Stelle kosten.«

Die beiden Lanbek hatten sich während der heftigen Rede des Obristen bedeutungsvolle Blicke zugeworfen. »Der Jude ist listiger als wir dachten«, sagte, als jener geendet hatte, der Vater; »also auch auf den Obrist war es abgesehen, auch für ihn war die Falle aufgestellt! Wer meint Ihr wohl, daß der Gefangene war? da, seht ihn, mein leiblicher Sohn saß heute nacht auf Eurer Wache!«