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»Was heißt das?«, fragte ich.

Major Ramsden zog die Stirn noch krauser und bedachte mich mit einem verdrießlichen Blick, bevor er sagte: »Es geht nur darum, wie sehr er unser Amerika hasst.«

»Er hasst Amerika?«

»Das tun sie doch alle — die Deutschen.«

»Weshalb hasst er uns?«

Major Ramsden schielte auf den Text.

»Wegen unserer Freiheiten«, sagte er.

Das war zufällig das Thema des heutigen Dominion-Gottesdienstes gewesen: unsere gottgegebenen Freiheiten, eine nach der anderen, und der instinktive Hass unserer Feinde auf sie. »Sagt er auch, welche Freiheiten ihn so aufregen? Die Freiheit der andächtigen Versammlung? Die Freiheit der hinnehmbaren Rede?« (Zur Zeit der Säkularen Alten hatte es nur »Versammlungsfreiheit« und »Redefreiheit« geheißen.)

»Alle, eine wie die andere.«

»Und was ist damit?«

Ich deutete auf das zweite Blatt, auf dem der Deutsche etwas gezeichnet hatte. Die Federskizze war unklar: Sie schien irgendein Tier darzustellen oder eine Süßkartoffel mit Flecken und einem Schwanz. Darunter stand:

Fikkie mis ik ook!

»Das heißt ›Alle Amerikaner sind Hunde‹«, erklärte der Major.

Ich konnte mich nur wundern, wie fanatisch die Mitteleuropäer waren, und was für einen verrückten Hass man ihnen eingeflößt hatte.

5

In den nächsten Monaten blieb unser Regiment vom Krieg verschont, aber nicht von seinen Konsequenzen. In einer Reihe allgemeiner Lagerversammlungen wurde uns erklärt, hinter dem Artilleriebeschuss von Montreal hätten nur ein paar deutsche Divisionen gestanden, und der Angriff sei kaum mehr als ein Ablenkungsmanöver gewesen. Der eigentliche Kriegsschauplatz liege östlich von Quebec City, dort, wo der Saguenay River in den Sankt Lorenz fließt. Dort kämpfe nämlich unsere Süßwasser-Flotte unter Admiral Bolen in einer offenen Schlacht gegen eine Flotte schwer bewaffneter Kanonenboote, die der Feind heimlich im Lake St. John zusammengezogen hätte. Wir hätten bereits etliche Schiffe bei dieser Begegnung verloren; und die brennenden Wracks, manche noch mit wehendem Sternenbanner (13 Streifen, 60 Sterne), wären den Sankt Lorenz hinuntergetrieben und hätten, Berichterstattern zufolge, an die mit brennenden Kerzen geschmückten Boote erinnert, die man in Japan zu Ehren der Toten aussetzte.[35] Der Feind baue seine den Sankt Lorenz überblickende Festung in der Nähe von Tadoussac weiter aus und schaffe seine beste Artillerie heran, darunter ein chinesisches Geschütz, um von dort aus den amerikanischen Schiffsverkehr zu zermürben und den amerikanischen Handel zu strangulieren. Es zeichne sich ab, dass der Feldzug von 2173 im Wesentlichen zwei Ziele habe: nämlich diese Festung zu schwächen und gleichzeitig je einen Verteidigungsgürtel um Montreal und Quebec City aufrechtzuerhalten.

Ein Großteil der Laurentischen Armee werde daher nach Osten verschifft, um die Landschlacht zu unterstützen. Doch eine Garnison müsse bei Montreal stationiert bleiben, und diese Verantwortung sollten Truppen mit weniger Fronterfahrung übernehmen, und dazu gehörte unser Regiment aus West-Rekruten.

Ich fand es schade, nicht an den Sommerkämpfen beteiligt zu werden. Aber Julian fand nur Spott für diese Regung und meinte, wir hätten noch mal Glück gehabt, und wenn diese Glückssträhne anhalte, könnten wir vielleicht aus dem Militärdienst entlassen werden, ohne noch mehr Blutvergießen zu erleben, als wir es schon in der Schlacht von Mascouche erlebt hätten, und das sei gut so. Doch mein Patriotismus (oder war es Naivität?) brannte mit hellerer Flamme als Julians, und bei dem Gedanken an all die Deutschen, die von anderen Soldaten getötet wurden, hatte ich gelegentlich das Gefühl, ich könnte zu kurz kommen.

Doch es gab nicht nur Schattenseiten, denn im Sommer würde man uns bestimmt manchen Urlaub in der City von Montreal gönnen, und ich war ziemlich gespannt, ob es mir gelingen würde, Calyxa wiederzusehen — und dann vielleicht auch ihren Nachnamen zu erfahren.

Dann traf uns eine Urlaubssperre, und zwar wegen eines Vorfalls, an dem Julian beteiligt war und der ein Leichentuch über das gesamt Lager breitete.

Ein fortschrittlicher Colonel, neulich aus New York City zugeteilt, hatte entschieden, unser Feldlager reiche zu nahe an die Brustwehr heran, und ich wurde eingeteilt, bei der Verlegung der betroffenen Zelte zu helfen. Nun hatten die Zelte inzwischen alle Eigenschaften von Heimstätten angenommen, als da waren: eine primitive Kochstelle, ein Rauchabzug aus getrocknetem Schlamm, Wäscheleinen und alle diese verwinkelten und verwickelten Kleinigkeiten, die zum Leben und Wohnen gehörten; folglich hatten wir bis spät in die Nacht gearbeitet, und ich hatte noch nicht viel geschlafen, als Sam mich am nächsten Morgen wachrüttelte.

»Steh auf, Adam«, sagte er. »Julian braucht deine Hilfe.«

»Was hat er jetzt wieder angestellt?«, fragte ich und rieb mir die Augen mit Händen, die noch sandig waren von der späten Arbeit.

»Nur das übliche leichtfertige Gerede. Aber Lampret hat Wind davon bekommen und Julian zu einer ›Unterredung‹ in sein Hauptquartier beordert.«

»Mit so was wird Julian doch alleine fertig. Ich möchte noch schlafen, wenn du nichts dagegen hast, und dann noch zum Fluss runter und mich waschen.«

»Waschen kannst du dich später! Du sollst nicht mit reingehen und Julian die Hand halten. Du sollst dich draußen verstecken und sie belauschen. Mach dir Notizen, wenn nötig, oder benutz einfach dein Gedächtnis. Dann kommst du zurück und erzählst mir, was los war.«

»Kannst du Julian nicht einfach fragen, wenn er zurückkommt?«

»Major Lampret ist ein Dominion-Offizier. Er hat die Befugnis, Julian jederzeit in eine andere Kompanie zu versetzen oder sogar an die Front zu schicken. Je nachdem, wie wütend Lampret ist, lässt er Julian nicht mal Zeit zum Packen — im schlimmsten Fall sehen wir Julian gar nicht wieder und wissen nicht mal, wohin man ihn geschickt hat.«

Das machte Sinn und war zum Fürchten. Ich sagte (als letzte sehnsüchtige Ausflucht): »Kannst du sie denn nicht genauso belauschen wie ich?«

»Einem dreckigen jungen Gefreiten, der die halbe Nacht zur Arbeit abkommandiert war, wird man es vermutlich nachsehen, wenn er zwischen Seilen und Fässern draußen an Lamprets Zelt eingedöst ist. Ich habe keine solche Entschuldigung, und mein Alter macht mich verdächtig. Komm hoch, Adam. Wir haben keine Zeit zu verlieren!«

Also raffte ich mich auf und erfrischte mich mit einem lauwarmen Schluck aus der Feldflasche, bevor ich hinüber zu Major Lamprets Hauptquartier pilgerte; das große viereckige Zelt stand ungefähr da, wo der Quartiermeister seine frischen Vorräte stapelte. Und in diesem Labyrinth aus Fässern, Kisten, Seilen und losem Zubehör sollte ich mich verstecken. Gestern erst hatten drei Konvois hier abgeladen, und der Quartiermeister hatte mehr als alle Hände voll zu tun, seine Schätze zu ordnen, zu lagern und zu verteilen. Mit dem Ergebnis, dass ich in dieses Tohuwabohu hineinschlendern konnte, um mich dann bis zu einem Proviantstapel vorzuarbeiten, das zufällig an Major Lamprets Zelt grenzte. Durch ein paar leise und wohlüberlegte Umbauten schuf ich mir eine Deckung unmittelbar an Lamprets Zeltwand, rollte mich zusammen und wartete …

Sam hatte mir allerdings nicht gesagt, wann die Unterredung zwischen Julian und Lampret anberaumt war, und mir wollten schon wieder die Augen zufallen, denn der Tag war warm und meine Uniform auch, und ein Fass mit gepökeltem Schweinefleisch zog einen Schwarm Fliegen an, die mich in Schlaf summen wollten, und die harzigen Kartonagen, die in der Sonne schwitzten, verströmten quälende Düfte. Meine Lippen klafften von Zeit zu Zeit auseinander, und ich hatte Angst, Stunden später hier gefunden zu werden, zufrieden träumend, während Julian längst nach Schefferville oder nach irgendwo weiter nördlich verschifft wurde. Ich benutzte diese unerfreuliche Aussicht als Folterinstrument, um ja nicht einzunicken; mir fiel jedenfalls ein Stein vom Herzen, als ich Julian über den Exerzierplatz kommen sah, mit erhobenem Kopf und tadelloser Uniform.

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35

Mr. Easton beschreibt diesen ergreifenden Brauch in seinem Roman von 2168 A Union Sailor in the Orient.