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»Wieso?«

»Na ja, hier zum Beispiel. Du sagst: ›Wir gingen ins Gefecht, der Gefreite Commongold ging festen Schrittes vor mir.‹«

»Genau so war es. Ich habe mir jedes Wort überlegt.«

»Du hast zu viel überlegt. Kein Leser will wissen, ob jemand festen Schrittes vor dir hergeht. Das reißt niemanden vom Stuhl. Besser, du sagst: ›Der Gefreite Commongold kümmerte sich nicht um die Schrapnells und Granaten, die ringsherum mit solch verheerender Wirkung explodierten, und marschierte wild entschlossen in das tobende Zentrum der Schlacht.‹ Siehst du, wie das Leben in die Sache bringt?«

»Ja, schon — aber auf Kosten der Genauigkeit.«

»Genauigkeit und Spannung sind Skylla und Charybdis des Journalismus, Adam.[37] Mein Rat ist, laviere zwischen beiden hindurch, aber wenn du schwankst, dann zur Spannung hin, sonst fällt deine Karriere ins Wasser. Und ›Gefreiter Commongold‹, der Rang hört sich lau an, der Name ist gut — also peppen wir ihn auf. Captain Commongold! Na, wie klingt das?«

»Nicht übel.«

»Lass mir die Blätter hier«, sagte Dornwood mit einem Blick auf die Schreibmaschine; sie war in letzter Zeit stumm geblieben, was vielleicht mit seinem Konsum an Feuerwasser zu tun hatte. »Ich werde weiter darüber nachdenken, und du bekommst nächste Woche noch ein paar Ratschläge mehr. Und sollte sich inzwischen militärisch etwas tun, Adam, dann wiederhole die Übung und schreibe so dramatisch, wie es die Fakten zulassen, und bring es wieder her. Wenn du das tust, wäre ich vielleicht bereit, dir zu zeigen, wie diese Schreibmaschine funktioniert, in die du so vernarrt bist, denn du bist ein fleißiger und nicht unbegabter Schriftsteller. Wie hört sich das an?«

»Fabelhaft, Mr. Dornwood«, sagte ich ahnungslos.

6

Den Saguenay hinauf wurde weiter gekämpft, und rings um Montreal blieb es relativ still. Sicher gab es das eine oder andere Scharmützel, denn die mitteleuropäischen Streitkräfte blieben in den Laurentischen Bergen versprengt und suchten dann und wann ein bisschen Zeitvertreib. Gehorsam hielt ich jeden Schusswechsel für Theodore Dornwood fest, meine Gegenleistung für seine Ratschläge; doch viel kam da nicht zusammen. Währenddessen konnte Julian sich bewähren, als er eine wichtige Artilleriestellung hielt, die unter schweren deutschen Beschuss geriet; und sein Ruf unter den Männern wurde zusehends besser — während der von Major Lampret zusehends schlechter wurde.

Aber was wirklich zählte, war, dass Lampret die Sperre aufhob und dass an den Wochenenden, an denen wir Urlaub nehmen durften, der Sommer Einzug hielt in Montreal.

»So«, sagte Lymon Pugh, die Ärmel hochgekrempelt, um seine schrecklich zernarbten und muskulösen Unterarme zu zeigen, die Fremden nicht selten Angst machten und auf die er mächtig stolz war, »nur wir zwei sind noch übrig.«

Wir waren in Montreal und hatten eben eine Taverne in der Guy Street betreten, weil Lymon sich betrinken wollte; hier gab es aber nicht bloß Alkohol, sondern auch etwas zum Beißen, und statt meinen Kummer in einem Eimer Bier zu ertränken, wie Lymon sich anschickte, wollte ich meinen mit einem Beefsteak ersticken. Was meinen Durst betraf, so hatte ich mir eine Schöpfkelle voll einfachem Wasser aus dem Keramikkrug an der Eingangstür genommen. Es war brackig und schmeckte nach Tabak (vielleicht hatte ein früherer Kunde den Krug für einen Spucknapf gehalten).

Nur wir zwei seien noch übrig, wiederholte Lymon — womit er meinte, dass sich Sam und Julian von uns getrennt hatten, um an diesem Freitagabend ihrem eigenen Vergnügen nachzugehen.

Der Sommer in Montreal war fürchterlich heiß und feucht. Die Bremsen, die von den Einheimischen Schwarze Fliegen genannt wurden, mussten vor kurzem geschlüpft sein, denn sie flogen die Straßen in Brigadestärke ab, auf der Suche nach jedem Quadratzoll nackter Haut. Der Himmel war heute bedeckt gewesen und die Luft dick wie Butter, und obschon wir frisch aus dem Lager kamen, waren unsere Hemden bereits durchgeschwitzt. Wir trugen, was immer wir an Zivilklamotten zurückbehalten oder kürzlich gekauft hatten, damit man uns nicht für Soldaten auf Streifendienst hielt und wir uns leichter unter die Einheimischen mischen konnten.

Als Soldat fühlte man sich nie ganz zu Hause in Montreal, ein Gefühl, das ich schon von früheren Aufenthalten kannte. Nicht dass uns die Menschen buchstäblich gehasst hätten — einmal waren sie von Deutschen besetzt gewesen, und die Erinnerung an diese unglückliche Zeit hielt an, und die Laurentische Armee war unterm Strich eine deutlich angenehmere Besatzung. Aber wir hatten nun mal das Sagen, dem Namen nach zumindest, denn Montreal stand unter Besatzungsrecht, und viele Bürger ärgerten sich über die Beschränkungen, die ihnen auferlegt wurden. Die katholische Geistlichkeit war besonders launisch und wehrte sich immer noch gegen die Interventionen des Dominions; und die Bürger, die von den Cree abstammten, waren dafür bekannt, Soldaten auf offener Straße zu provozieren, aus einem Groll heraus, der sich mir bis heute nicht restlos erschließt.

Doch es fiel nicht schwer, den schlimmsten Unfreundlichkeiten aus dem Weg zu gehen, und die Kehrseite der Medaille war die großzügige Gastfreundlichkeit der weniger politischen Einwohner von Montreal, einschließlich der Gastwirte und Barbetreiber. Unsere Taverne hieß Thirsty Boot, man hatte uns einen guten Tisch zugewiesen, und wir bestellten, was wir haben wollten, bei einer gut gelaunten Frau mit Schürze und waren ansonsten uns selbst überlassen.

»Ich möchte mal gerne wissen, wie die beiden ihre Zeit totschlagen«, sagte Lymon Pugh gerade. »Zum Beispiel, was Sam um alles in der Welt bei diesen verdammten Amischen will?«

»Amischen?«

»Du weißt doch — diese Männer mit Bart und schwarzem Hut, die er immer aufsucht, wenn wir hier sind.«

Lymon unterlag einem Irrtum. Die jüdische Religion war in Montreal erlaubt, und es gab hier eine ansehnliche Gemeinde sehr frommer Juden, an deren Gottesdiensten Sam teilnahm. Es stimmte, dass viele Männer in diesem Stadtteil einen Bart und breitkrempige schwarze Hüte trugen oder auch ganz kleine Kopfbedeckungen, die wie aufgeklebt aussahen. Aber das waren keine Amischen. »Ich denke, die Amischen leben in Pennsylvania oder Ohio«, sagte ich.

»Willst du damit sagen, das sind gar keine Amischen? Die sehen aber genauso aus.«

»Ich glaube, es sind Juden.«

»Oh! Dann ist Sam ein Jude? Er ist aber nicht so angezogen.«

Sam hatte bislang nichts über seine Religionszugehörigkeit verlauten lassen (aber auch nichts getan, um seine enge Verbindung zu den Juden von Montreal zu verschleiern), und ich brachte es nicht übers Herz, ihn jetzt einfach an den Pranger zu stellen. »Vielleicht ist er nur scharf auf ihre Küche. Juden haben ihre eigene Speisekarte, genau wie Chinesen.«

»Bei so viel Bärten würde mir der Appetit vergehen«, sagte Lymon, der (bildlich gesprochen) fromm war, wenn es ums Rasieren ging, »egal, was es zum Dinner gibt. Aber jedem das seine.«

»Julian trägt einen Bart«, hob ich hervor.

»Was, diese Fransen? Blond wie’ne Frauenperücke und auch so lächerlich. Apropos Julian Commongold, seine Macken machen mich auch verrückt. Er ist schon wieder in dieses Café rein oder wie das heißt, unten in den engen Straßen am Fluss. Hast du dir mal die Klientel angesehn, Adam? So zerbrechliche, elastische Typen — ich weiß nicht, was er an denen findet. Die Bude heißt Dorothy’s, und ich schwöre, ich weiß nicht, wer Dorothy ist — vielleicht die einzige Frau, die in dem Laden verkehrt.«

»Philosophen«, sagte ich.

»Was?«

»Julian hat Anschluss bei den hiesigen Philosophen gesucht, so wie Sam Anschluss bei den Juden gesucht hat.«

»Das sind Philosophen? Heißt das, dass Philosophen auch eine eigene Speisekarte haben und dass Julian eine Schwäche für philosophische Mahlzeiten hat?«

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37

Damals hielt ich »Skylla und Charybdis« für zwei New Yorker Redakteure, mit denen Dornwood zu tun gehabt hatte (oder für einen Verlag). — Tatsächlich aber gab es nach der griechischen Mythologie in der Straße von Messina zwei große Klippen gleichen Namens, die sich aus eigener Kraft umherbewegten und Schiffe zerschellen ließen.