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Die Schiffe, mit denen wir fuhren, verbrannten mehr Holz als Kohle, und ihr Qualm hing über dem Fluss und folgte uns im Wind, ein beißender, erdiger Geruch.

Ich war noch nie mit einem Schiff gefahren. Der River Pine zu Hause in Williams Ford war zu schnell und zu flach für größere Boote. Natürlich hatte ich schon Schiffe gesehen, besonders seit unserer Ankunft in Montreal, und mich hatte ihre plumpe Anmut fasziniert und wie sie mit dem launigen und oft stürmischen Sankt Lorenz zurechtkamen. Kein Wunder, dass ich viel Zeit an der Reling dieses kleinen Schiffes verbrachte, wo ich Julians »Relativistische Illusion« erfuhr, bei der das Schiff stillstand und sich das Land ringsherum bewegte, sich gen Westen windend wie eine Riesenschlange mit einem Krieg im Schwanz.

Wir hatten Wollmäntel bekommen, die uns vor der Witterung schützen sollten, doch der Tag war schön und sonnig, obwohl der Herbst die Landschaft im Sturm eroberte. Wir näherten uns den großen Befestigungsanlagen von Quebec City und ließen sie hinter uns und folgten der nördlichen Fahrrinne, vorbei an der Île d’Orleans, bis der Fluss viel breiter wurde und allmählich den Geruch von Salz annahm. Das Laubwerk entlang des Nordufers war erdbraun und scharlachrot; vom Wind entblätterte Bäume zeichneten filigrane Skelette an den graublauen Himmel, und über den Wald fegten dunkle Krähenschwärme. Der Herbst ist die einzige Jahreszeit, die einen Widerhaken im menschlichen Herzen hat, hatte Julian einmal gesagt (oder zitiert). Diese bizarre Metapher ging mir jetzt durch den Kopf — die einzige Jahreszeit mit einem Widerhaken im Herzen — und weil Herbst war und das Land so weit und verwaist, und weil die Luft so kalt war und nach Holzfeuer roch, schienen die poetischen Worte einen Sinn zu haben. Man konnte es spüren.

Dann tauchte Julian neben mir auf und packte mit beiden Händen die Reling; die anderen Soldaten irrten ziellos umher oder suchten unter Deck ihr Glück in der Messe. »Letzte Nacht habe ich geträumt«, sagte er, das Licht der tiefen Sonne im Gesicht, während der Wind in seinem Haar zauste, das unter der Mütze hervorquoll. »Ich war auf einem Schiff.«

»So eins?«

»Ein schöneres, Adam. Ein Dreimastschoner, wie sie die Narrows nach Manhattan heraufsegeln. Als ich ein Kind war, nahm meine Mutter mich immer wieder mit an die 42ste Straße, um diese Schiffe zu sehen. Ich stellte mir vor, sie kämen von weit her — von den Mittelmeer-Republiken oder von Japan oder Ecuador, wie es mir in den Sinn kam —, und behauptete, diesen Schiffen hafte etwas vom Flair dieser Länder an — ich machte mir vor, dieses Flair riechen zu können, einen Hauch von Gewürz über dem Gestank nach Kreosot und fauligem Fisch.«

»Das müssen sehr schöne Schiffe gewesen sein«, sagte ich.

»Aber in meinem Traum lief das Schiff aus und nicht ein. Es verließ den Hafen von New York. Die Segel blähten sich gerade — sie ›nahm den Knochen zwischen die Zähne‹, wie die Seeleute sagen, und passierte die alte Verrazano-Brücke. Ich wusste, dass ich irgendwohin fuhr … aber nicht an einen sicheren Ort, sondern irgendwohin, wo ich noch nicht gewesen war, wo ich mich vielleicht verwandeln würde, in jemand anderen.« Er lächelte einfältig, obwohl etwas Ruheloses in seinem Blick lag. »Siehst du einen Sinn darin?«

»Eher nicht«, sagte ich. Ich glaubte nicht an prophetische Träume, so wenig, wie Julian an Flaxies Himmel glaubte; aber er klang so schwermütig, dass mir der Gedanke kam, der Traum könne wieder eine poetische Metapher sein, wie die mit dem Haken im Herzen — diese Art Rätsel, die mit ihrem Unsinn nahe an den Tränenkanälen vorbeischrammen.

Bei Einbruch der Dunkelheit fuhren wir am deutschen Fort bei Tadoussac vorbei. Es war von amerikanischen Truppen erobert worden, und unter den Soldaten an Deck kam eine Hurra-Stimmung auf, als sie über den zernarbten und kaputten Mauern hoch oben auf der Landspitze die Dreizehn Streifen und Sechzig Sterne wehen sahen. Weniger erfreulich war der Schiffsfriedhof am schroffen Ufer. Halb gesunkene, vom Artilleriefeuer entkernte Rümpfe, bewachten Inseln aus verkohlten Trümmern, die von der Strömung umzingelt wurden. Hier war erbittert gekämpft worden, an Land und auf Wasser, ein schrecklicher und bedrückender Ort im schwindenden Tageslicht.

Kurz darauf erreichten wir die felsige Mündung des Saguenay River, und unsere Flottille von Truppentransportern dampfte den Fjord[42] hinauf; die holzbefeuerten Maschinen liefen auf Hochtouren, schafften aber nicht mehr als ein paar Knoten gegen die Strömung. Die meisten von uns versuchten in den schmalen Kojen zu schlafen, die man uns zugeteilt hatte. Aber wir hielten unsere Waffen am Körper und hörten gegen Morgen die fernen Geräusche des Krieges.

Man setzte uns zur Belagerung von Chicoutimi ab, und wir verbrachten drei Wochen in den Schützengräben.

Die Kompanien unseres Regiments wurden dicht beisammengehalten, damit wir nicht demoralisiert wurden von den Berufsinfanteristen, die sich im Laufe des Sommers unter schrecklichen Verlusten von Tadoussac nach hier durchgekämpft hatten. Es war ein schlecht vorbereiteter und mörderischer Feldzug gewesen, und der Führungsstab war nicht von den Auswirkungen seines »Worfelns«39 verschont geblieben. Man sah kaum einen Offizier vor Chicoutimi und so gut wie keinen in Sams Alter. Jungs in meinem Alter hatten Befehlsgewalt und wurden überstürzt befördert; Kommandeurszelte waren zu Kindergärten geworden, aus denen man ins Grab versetzt wurde.

Die »Belagerung« war in Wahrheit ein Patt. Unsere Schützengräben waren auf ihre Schützengräben gestoßen, und wir konnten nichts anderes tun, als die Bilanz des täglichen Tötens auszugleichen. Wir kontrollierten den Saguenay bis hinauf zum River-of-Rats, doch die Mitteleuropäer hatten Chicoutimi fest im Griff, und ihre Nachschublinien, die bis zum Schienenkopf am Lake Saint John reichten, waren uneinnehmbar. Dort hatten die Statthalter Farmen, Mühlen, Bergwerke, Raffinerien, kleine Werften und ein florierendes Gemeinwesen von Arbeitern und Besitzern geschaffen. Egal, was für ein Artilleriegeschütz wir flussauf schleppten, um sie damit anzugreifen, sie konnten eine gleichwertige Waffe flussab schicken, um uns zurückzuwerfen. Und da sie uns an Zahl überlegen waren, mussten wir ständig auf der Hut sein, dass sie uns nicht in den Rücken fielen.

Zu allem Überfluss brach der Winter herein. Die kalte Witterung hatte bereits die Schwarzen Fliegen vertrieben (das einzig Gute daran). Unsere Linien liefen durch Ödland, kein Baum, kein Strauch, kein Grashalm. Wir hatten unsere Gräben und Vortriebe ausgehoben, der Boden hier war voller Trümmer aus der Blütezeit des Öls — Backsteine, zerbrochene Fundamente und diese teerigen Krümel, mit denen die Alten ihre Straßen pflasterten. Unsere Grabwerkzeuge förderten von Zeit zu Zeit menschliche Knochen zutage. Die Knochen waren nicht zu gebrauchen[43], aber die Backsteine waren zum größten Teil noch intakt und konnten mit eingebaut werden. Ein paar Ehrgeizige mauerten daraus richtige Befestigungen mit Schlamm als Mörtel, aber solche Barrikaden waren ein zweischneidiges Schwert: Sie boten Schutz gegen Gewehrfeuer, konnten aber einstürzen, wenn in der Nähe eine Artilleriegranate einschlug. Handwerkliches Können war gefragt, und Männer, die sich aufs Mauern verstanden, standen hoch im Kurs, zumindest bis der Boden überfror und sowohl das Ausbuddeln von Steinen als auch das Mörteln unmöglich wurde. Solcherart sind die leiseren Kriegskünste.

Außer Marschverpflegung gab es nichts zu essen, und das war einfach zu wenig. Es fiel auch schwer, sich warm zu halten. Es gab Tage, an denen wir nichts zu verbrennen hatten als faulige Holzreste und Asphalt. Und nachts gab es keine Entspannung, denn die Deutschen liebten es, uns während der Dunkelheit mit Granaten zu beschießen, und unsere Artillerie-Kompanien waren genötigt, das Feuer zu erwidern. Nach drei Wochen hatten Schlafmangel, dauernde Kälte und unzureichende Rationen Automaten aus uns gemacht, die durch gefrorene oder matschige Gräben schlurften und Befehlen folgten, die von irgendwelchen entfernten Verrückten oder hiesigen Kommandeuren in unserem Alter ausgegeben wurden. Major Lampret war bei uns; hinter seinem Rücken der Drückebergerei bezichtigt, hatte er, um nicht alle Glaubwürdigkeit zu verlieren, wohl oder übel an die Front gemusst; er hielt an drei Sonntagen Gottesdienste ab, die jeden Sonntag weniger gut besucht waren als am Sonntag zuvor. Seine Rivalität mit Julian brodelte immer noch, und ich denke, dass er zutiefst bedauerte, den Gefreiten Commongold nicht bei der erstbesten Gelegenheit degradiert oder unter Arrest gestellt zu haben; doch Julian war gut gelitten bei den Männern, und Lampret konnte nichts gegen ihn unternehmen. Sam wusste, dass es unter uns jemanden gab, der für Lampret spionierte, und hatte den Gefreiten Langers in Verdacht, unseren rührigen Kolporteur, der bei verschiedenen Gelegenheiten gesehen worden war, wie er sich mit Lampret unterhielt; und Langers’ Charakter war nicht gerade angetan, den Verdacht zu entkräften. Doch Langers passte auf, und man sah weder Geld noch Sachwerte den Besitzer wechseln.

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42

Ich glaube, so sagten die Deutschen dazu. Worfeln: Das gedroschene Getreide wird mit der Schaufel gegen den Wind geworfen, sodass die Spreu zurückbleibt. Eine Arbeit, die von Abhängigen besorgt wird.

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43

Obwohl einige Männer aus den altehrwürdigen Fußknöcheln kunstvolle Schnitzereien fertigten oder knorrige alte Unterarme als Haken benutzten, an denen sie Decken zum Trocknen aufhängten.