Die Torwachen warfen einen Blick auf Sams Rangabzeichen und einen zweiten auf das gefälschte Schriftstück und ließen uns durch. Wir kamen in einen Vorraum, wo uns ein schläfriger Wachoffizier über seinen Schreibtisch hinweg in Augenschein nahm.
Er war überrascht, zu so später Stunde noch Besuch zu bekommen, und machte gute Miene zum bösen Spiel. »Um welche Angelegenheit handelt es sich?«
Sam nickte knapp und überließ ihm das Schriftstück, das Lymon auf der Schreibmaschine von Mr. Dornwood getippt hatte.
Der Wachoffizier überflog es. Er war hager, nicht viel älter als ich und ließ sich einen Bart stehen. Er gab Sam das Schreiben zurück und sagte: »Ich habe meine Brille verlegt, Colonel — am besten, Sie lesen mir vor.«
Sam las vor.
»Das ist eine ungewöhnliche Zeit für eine Übergabe«, sagte der Mann.
»Ob ungewöhnlich oder nicht, ist mir egal«, sagte Sam. »Ich mache nur meinen Job, und wenn Sie Ihren befehlshabenden Offizier wecken wollen, bevor ich es selbst tue, dann tun Sie es, und zwar schnell.«
»Ich weiß nicht, ob das nötig ist … solange Sie die Übergabe mit Ihrer Unterschrift bestätigen.«
»Selbstverständlich werde ich das! Wo ist die Gefangene?«
Der Wachoffizier blieb sitzen und rief einen seiner Untergebenen von der Außenwache herein: »Packard, bring die Männer in den Keller. Und nimm die Schlüssel mit.«
Wir folgten Packard treppab in das trüb erhellte und stinkende Kellergeschoss mit lauter vergitterten Zellen — eine Hölle von Menschenhand, mit dem Unterschied, dass es zu dieser Stunde hier unten eher kalt als heiß war. Ich sah mich nach Calyxa um, aber was ich fand, waren die unglücklichen Gesichter von Job und Utty Blake.
Die zwei Schurken teilten sich eine Zelle. Unsere Schritte hatten sie aufgeweckt, und sie starrten uns mit schläfrigem Argwohn an. Das mussten sie sein, die Blakebrüder — bis jetzt hatte ich zwar nur einen gesehen und von ihm auch nur die obere Stirnhälfte. Aber der da war Job; und sollte er mich erkennen — die Laterne des Wachmanns warf immerhin einen trüben Schein auf uns —, so zeigte er es nicht.
Beide Brüder hatten buschiges Kraushaar, das Wahrzeichen der Blakes; nur dass Jobs Wahrzeichen durch unsere flüchtige Begegnung über dem Thirsty Boot verändert worden war. Über der Stirn zog sich eine breite, vernarbte und verschrumpelte Schneise ins Haupthaar, wo die Kugel seine Schädeldecke gefurcht hatte. Ich kann nicht sagen, dass ich stolz auf die Verletzung war, die ich dem Mistkerl beigebracht hatte … aber ich zerfloss auch nicht vor Mitleid.
Nur keine falsche Reaktion, es wäre zu peinlich gewesen, wenn er mich erkannt hätte. Nach wenigen Metern kamen wir an eine viel größere Zelle, so groß wie ein mittleres Zimmer, in der mehrere Leute einsaßen — die »Parmentieristen«, unter denen auch Calyxa war. Sie sprang auf die Füße, als sie mich sah, doch ich machte eine warnende Geste, und sie sagte kein Wort.
»Da ist sie«, sagte der Wachmann und zeigte auf Calyxa.
»Schließen Sie auf«, verlangte Sam.
Im trüben Schein seiner Laterne fummelte der Mann mit dem Ring voller Schlüssel herum. Währenddessen trat Calyxa vor und stellte sich so, dass wir unbemerkt flüstern konnten.
»Was willst du, Adam?«, fragte sie unerwartet kühl.
»Was ich will! Hast du den Brief nicht bekommen?«
Ihre Kumpane — manche Gesichter kannte ich aus der Tischrunde im Thirsty Boot — machten keinen Hehl aus ihrer Neugier auf den mitternächtlichen Besuch, blieben aber auf Distanz, nachdem Calyxa sie angefunkelt hatte.
»Doch«, sagte sie. »Ich habe ihn bekommen und gelesen. Du willst mich heiraten, hast du gesagt.«
Ja, sicher, aber ich hätte mir nicht träumen lassen, etwas so Besonderes so schmucklos und offen durch die Gitterstäbe einer Zelle hindurch zu besprechen. »Es gibt nichts Irdisches, was ich mir sehnlicher wünsche, als dich zu heiraten«, sagte ich. »Wenn du meine Frau werden willst, Calyxa, dann gibt es auf der ganzen Welt keinen glücklicheren Mann als mich. Wenn du hier erst mal raus bist …«
»Und wenn ich nicht will?«
»Nicht will!« Das brachte mich aus dem Konzept. »Nun ja — das ist deine Entscheidung — ich kann nur fragen, Calyxa.«
»Um mich auf so etwas einzulassen, muss ich genauer Bescheid wissen. Meine Freunde trauen keinem Soldaten über den Weg, egal, welcher Rasse oder Nationalität — sie haben dich in Verdacht, Adam.«
»In Verdacht?«
»Dass du für meine Freiheit ein Eheversprechen willst.«
»Verstehe ich nicht!«
»Ich kann es nicht klarer ausdrücken. Komme ich frei, auch wenn ich dich nicht heiraten will? Oder muss ich in diesem Gefängnis verrotten, bis ich Ja sage?«
Ich war erstaunt. Dass sie mir eine solche Erpressung zutraute, schrieb ich dem schlechten Einfluss ihrer Gesinnungsgenossen zu. Immerhin kam in ihrem Gesicht mehr Hoffnung als Verzweiflung zum Ausdruck. Und so sagte ich: »Ich liebe dich, Calyxa Blake, und ich würde dich keine Stunde länger hier leiden lassen, selbst wenn du mich aus tiefster Seele hassen würdest. Jetzt geht es mir nur darum, dich zu befreien — alles andere können wir später besprechen.«
Ich hatte das laut gesagt, damit die zynischen Parmentieristen es mitbekamen, die mich prompt hochleben ließen, was vielleicht nicht nur ironisch gemeint war; und sie stimmten einen unverschämten Refrain von Piston, Loom, and Anvil an, als Calyxa sie mit einem strafenden Blick bedachte, der sinngemäß sagte: »Ich hab’s doch gleich gesagt!«
Leider hatte Packard auch mitgehört, sein Mund stand offen, und in seinem Gesicht arbeitete es. Er zog den Schlüssel vom Schlüsselloch zurück. »Was geht hier vor?«, fragte er und ließ nicht locker, bis Lymon Pugh sich gezwungen sah, den armen Mann mundtot zu machen.[46] Sam nahm den Schlüsselbund an sich, schloss die Zelle auf und sagte laut: »Jungs, ihr könnt meinetwegen die Gelegenheit nutzen — oben im Vorzimmer sind nur zwei Wachleute, sorgt dafür, dass sie keine Zeit haben, Alarm zu schlagen.«
Die Parmentieristen schienen beeindruckt von der Großzügigkeit amerikanischer Soldaten, und ich konnte nur hoffen, dass dieses Erlebnis ihre politischen Ansichten zurechtrücken würde. Sie drängten aus der Zelle, erpicht, die restlichen Wachen zu überwältigen, und Calyxa kam in meine Arme.
»Na, willst du?«, fragte ich, als wir wieder Luft zum Reden hatten.
»Was denn?«
»Mich heiraten!«
»Ich glaube ja«, sagte sie verdutzt.
Meine Freude war nicht zu überbieten, obwohl sie verebbte, als wir an dem Gitter vorbeikamen, hinter dem Job und Utty Blake gefangen saßen.
Utty saß an der Rückwand der Zelle, warf finstere Blicke und murmelte vor sich hin. Aber Job, auf den ich geschossen hatte, kam an die Eisenstäbe und rüttelte wild wie ein Gorilla daran und spuckte Gift und Galle, aber auf Französisch.
»Die beiden lassen wir doch sicher nicht frei«, meinte Sam, in dessen Hand immer noch der Schlüsselbund klimperte.
»Nein«, sagte Calyxa, »bitte nicht — meine Brüder sind Mörder und Buschläufer, die für die Deutschen spionieren, wenn der Preis stimmt — sie sind überführt und zum Tod durch den Strang verurteilt.«
Sie erklärte uns, in dem Tumult zwischen Blakebrüdern und Parmentieristen seien mehrere Schüsse gefallen, aber nur die von Job und Utty hätten getroffen. Job hatte einen jungen Parmentieristen getötet und Utty einen glücklosen Zuschauer niedergeschossen. Irgendein Colonel oder Major der hiesigen Garnison hatte sich sofort zum Richter ernannt und die beiden zum Tode durch den Strang verurteilt — das Urteil sollte öffentlich vollstreckt werden. Das sei vielleicht nicht ganz legal, nicht mal unter Besatzungsrecht; doch außer den Blakebrüdern hätte niemand Einspruch erhoben.
46
Im Hospital hatte Lymon sich zum Zeitvertreib einen