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Job hatte alles über Calyxas Tändelei mit einem Soldaten gehört und hatte aus den Ereignissen des heutigen Abends geschlossen, dass ich die Person war, die ihm um ein Haar das Gehirn aus dem Schädel gepustet hätte. Er spuckte noch mehr nasse Flüche in meine Richtung, ehe er seinen Geierblick auf Calyxa richtete.

»Tu nous sers à rien, mais pire … tu nous déshonores! Dommage que tu sois pas morte dans l’utérus de ta mère!«

»Was sagt er?«, fragte ich.

»Er bedauert, dass ich überhaupt geboren bin.«

Ich sah Job Blake in die Augen. »Wir haben alle etwas zu bedauern in diesem Leben«, sagte ich philosophisch. »Sag ihm, dass ich bedaure, nicht tiefer gezielt zu haben.«

9

Die Trauung sollte am Samstag nach Ostern stattfinden; bis dahin würden Sam, Julian und ich wieder Zivilisten sein; und nach der Feier wollten wir alle in den Zug nach New York City steigen, um ein neues Leben zu beginnen.

Die Einzelheiten unserer Ausmusterung will ich dem geneigten Leser ersparen. Es genügt, wenn ich sage, dass wir wieder zu unserem Regiment zurückkehrten, um dort unsere Angelegenheiten zu regeln. Der Gefreite Langers hatte den Saguenay-Feldzug überlebt und betrieb, wann immer ein Scharmützel mit den Deutschen neue Leichen zum Fleddern lieferte, sein Glückstopf-Geschäft. Sam, der ihn für den Informanten von Major Lampret hielt, wartete, bis sich ein Pulk von Männern an Langers’ Zelt drängte. Dann verlangte er aufgrund seines neuen Rangs den Inhalt des Glückstopfs zu sehen und fertigte eine Bestandsliste an, um den versammelten Soldaten zu zeigen, dass die Nummern auf den Schnipseln immer nur solche von wertlosen Sachen waren. Diese Enthüllung erboste die Männer derart, dass es keiner disziplinarischen Maßnahme von Sam bedurfte. Wie ich später erfuhr, hat Langers die Züchtigung überlebt.

Wir trugen uns aus der Laurentischen Armee aus und bekamen ein Dokument, das unsere Entlassung bestätigte, und dazu noch eine sogenannte Rückrufnummer, anhand der man uns im nationalen Notfall wiedereinberufen konnte — eine Möglichkeit, die wir in den Wind schlugen. Sam, Julian und ich verabschiedeten uns von Lymon Pugh, der sich freiwillig weiterverpflichtet hatte; wir gelobten uns Freundschaft, und Lymon versprach, uns gelegentlich zu schreiben, was er jetzt ja konnte. Dann fuhren wir mit einem Gespann nach Montreal City, wo Calyxa auf mich wartete.

Bis zur Hochzeit blieben noch ein paar Tage. Sam nutzte die Zeit, um Freunden Lebewohl zu sagen, die er unter den Juden von Montreal gefunden hatte, auch wenn dieselben mit seinem Grad an Strenggläubigkeit unzufrieden waren. Sam hielt sich für einen waschechten Juden und war auch als Jude geboren, doch er hatte sich nie der ausgeklügelten Lehren und Rituale befleißigt, die charakteristisch waren für diesen Glauben — wie beispielsweise nicht am Samstag zu arbeiten (den sie irrtümlich für den Sabbat hielten) oder regelmäßig betteln zu gehen oder jeder Vorschrift der Thora zu gehorchen (einer röhrenförmigen Bibel, wie er meinte). »Ich bin zu früh von diesen Dingen fortgenommen worden«, bedauerte er mir gegenüber, »und jetzt sind sie mir fremd. Ich habe nie eine Bar-Mizwa erlebt. Ich kann kein Hebräisch. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich beschnitten bin.«[47] »Haben die Juden von Montreal Verständnis für deine Lage?« »Ja, aber sie haben keine Geduld mit mir. Zu Recht vielleicht.« Er schüttelt den Kopf. »Ich bin weder das eine noch das andere, Adam. Für Leute wie mich gibt es keinen passenden Glauben.«

»Kopf hoch«, sagte ich, er sei nicht der Einzige, der unter der Vielfalt der Religionen zu leiden habe, davor schütze selbst der großzügige Schirm des Dominion of Jesus Christ nicht. So gab es in Montreal keine Gemeinde der Church of Signs, was bedeutete, dass ich Calyxa nicht nach dem Ritus des väterlichen Glaubens heiraten konnte (worauf ich zugegebenermaßen auch keinen Wert legte). Wir hatten uns auf eine konfessionsübergreifende Dominion-Trauung geeinigt, und trauen sollte uns der hiesige Vertreter des Dominions, der die Diözesen genehmigte und den Zehnten für Colorado Springs einsammelte. Und wir würden in einer Kirche heiraten, allerdings einer katholischen, und die Nutzungsgebühren für Nichtkatholiken waren nicht von schlechten Eltern; sie zehrten ein gut Teil meiner Ersparnisse auf, die eigentlich für den Kauf einer Schreibmaschine gedacht waren; aber das war Calyxa mir wert.

Auch Julian hatte Freunde gefunden in Montreal und nutzte die Zeit bis zur anberaumten Hochzeit, um Abschied zu nehmen. Bei ihnen handelte es sich um die Philosophen und Ästheten, die sich im Dorothy’s trafen. Julian hatte mich noch mit keinem der Leute bekanntgemacht, und sie schienen aus der Entfernung genauso elastisch und dünnhäutig zu sein, wie Lymon sie beschrieben hatte; aber wer war ich, dass ich mich zum Richter über Philosophen machte? Immerhin zogen sie nicht mit unpatriotischen Spruchbändern durch die Straßen und landeten im Militärgefängnis.[48]

Was mich anging, so verbrachte ich meine Zeit mit Calyxa. Diese Zuwendung hatte zum Teil praktische Gründe, denn es mussten Vorbereitungen getroffen und Einladungen verschickt werden. Aber sie war auch eine Wonne; denn als Verlobte ersehnten wir jederzeit und in jeder Hinsicht die Gegenwart des anderen. Und sollten wir feierliche Versprechen vorzeitig eingelöst haben, so hoffe ich auf ein mildes Urteil des Lesers; und mehr will ich dazu nicht sagen, außer dass diese Tage eine glückliche Zeit für mich waren.

Selbstredend schrieb ich meiner Mutter, um sie über das bevorstehende Ereignis zu unterrichten; ich entschuldigte mich, dass ich ihr Calyxa jetzt nicht vorstellen konnte, versicherte ihr aber, das eher früher als später nachzuholen. Calyxa hatte nur zwei Verwandte, nämlich Job und Utty, die leider verhindert waren — sie sollten am Tag der Hochzeit gehängt werden; aber alle Parmentieristen würden kommen und das Personal vom Thirsty Boot sowie allerlei Straßenmusikanten und verschiedene Revoluzzer; und ich erwartete jede Menge Überlebende des Saguenay-Feldzuges und auf Einladung von Sam und Julian vielleicht noch ein paar Philosophen, Juden und Ästheten.

Am Ende war es eine Hochzeit wie jede andere — der Kern des Ganzen sowie das Drumherum waren so vertraut, dass sich eine Schilderung erübrigt. Kurz gesagt: Wir wurden getraut; wir küssten uns; man ließ uns hochleben; Getränke wurden serviert.

Für die Fahrt zum Bahnhof hatten wir eine Kutsche gemietet. Eine richtige Hochzeitskutsche war es nicht, da Sam und Julian mit an Bord waren. Wir hatten alle ein Ticket für den New-York-Express, der Montreal kurz nach Sonnenuntergang verlassen sollte. Ich hatte den Arm um Calyxa gelegt, und wir gurrten wie die Turteltauben und äußerten lustige Banalitäten, während Sam und Julian rote Ohren bekamen oder in die Hand husteten oder interessiert aus dem Fenster starrten, obwohl die Stadt im schwindenden Licht ihre Farben verlor und nur noch die grauen Fahnen auffielen, die weithin sichtbar hygienische Ratschläge wie Boil All Water erteilten.

Bevor wir den Bahnhof erreichten, bestand Calyxa auf einem Zwischenstopp, und zwar an dem Platz, wo die Laurentische Armee ihre Hinrichtungen vollstreckte.

Die beiden waren etwa um die Zeit gehängt worden, als Calyxa und ich uns feierlich die Ehe versprochen hatten. Ich wollte sie überreden, die Erinnerung an unsere Hochzeit nicht durch den Anblick von Erhängten zu besudeln; doch sie wollte sich unbedingt vergewissern, dass ihre Brüder ein für alle Mal tot waren und nicht wieder bei irgendeiner unpassenden Gelegenheit von den Toten auferstanden.

Also bat ich den Kutscher am Exekutionsort anzuhalten. Zur Abschreckung ließ die Laurentische Armee die Leichen noch ein, zwei Tage am Galgen baumeln. Diese Taktik hatte im Falle von Job und Utty nur zum Teil gegriffen: Zwei Seile baumelten von den kunstvoll gezimmerten Galgen, aber nur eines war auch straff. Ich fragte einen Alten, der dick eingemummelt auf einer Bank saß, und er erklärte mir, Utty Blake sei zuerst erhängt worden, aber der Galgen sei entweder zu hoch oder das Seil zu lang gewesen, so dass der Kopf im kritischen Augenblick »abgezwickt« worden sei; der Körper sei in zwei Teilen weggeschafft worden. Flecken am Boden bestätigten die Darstellung.

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47

Ein Brauch, dessen Beschreibung in ein medizinisches Lehrbuch gehört; ich konnte mich nach Sams Schilderung nur wundern, warum er sich deswegen »glücklich« schätzte.

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48

Sie würden manchmal aus anderen Gründen eingesperrt, sagte Julian, wechselte aber das Thema, als ich mehr darüber wissen wollte.