Выбрать главу

»Das war eine schöne Geschichte«, sagte sie endlich. »Sie gefällt mir — danke, Julian. Ich hoffe, du erzählst mir irgendwann noch eine.« Sie probte ein Lächeln. »Jetzt weiß ich ja, wie’s geht; vielleicht denk ich mir auch eine aus.«

Jetzt bekam Julian große Augen. Und als er ziemlich sicher war, dass sie meinte, was sie sagte, grinste er, wie ich ihn seit dem Saguenay-Feldzug nicht mehr hatte grinsen sehen.

»Willkommen im Klub!«, sagte er und schwenkte sein Grinsen in meine Richtung. »Du hast gut gewählt, Adam! Glückwunsch!«

»Oy«, sagte Sam in der kryptischen Sprache der Juden.

10

Die Zukunft kümmerte sich nicht um unsere Erwartungen. Das tue sie nie, würde Julian bestimmt sagen. »Es gibt keine absehbare Evolution«, waren seine Worte, »weder auf lange noch auf kurze Sicht.«

Dennoch, der Schock bei unserer Ankunft in New York City hätte schlimmer nicht sein können.

Es geschah Folgendes.

Unser »Schnellzug« hielt an jedem Rangierbahnhof, und die Reise dauerte die ganze Nacht. Calyxa und ich hatten ein Privatabteil. Wir schliefen erst spät in der Nacht ein und schliefen folglich bis nach Sonnenaufgang. Wir sahen nichts von New York City, bis der Schaffner an die Tür klopfte und die bevorstehende Ankunft meldete.

Rasch zogen wir uns an und gingen in den Personenwagen, wo Sam und Julian saßen.

Ich fand es schade, dass wir nicht früher aufgestanden waren, denn wir waren schon mitten in Manhattan. Was seine Wunder betrifft, so will ich hier nicht ins Detail gehen — sie haben ihren Auftritt im weiteren Verlauf der Geschichte. Doch als wir in den von Säulen getragenen Zentralbahnhof rollten, schwante mir, dass etwas Ungewöhnliches im Gange war. Durch die vom Regen gestreiften Scheiben des Personenwagens waren viele Bahnsteige und Depots zu sehen, wo Passagiere aus- und zustiegen, und an dem Bahnsteig, dem wir uns näherten, drängten sich Menschen in allerlei farbenfrohen Kostümen, viele trugen Schilder oder Spruchbänder. Man hatte eine hölzerne Tribüne errichtet, und eine Kapelle spielte patriotische Melodien. Was genau sich da abspielte, war durch das schlierige und verschmutzte Glas nicht zu erkennen, nur der Tenor der ganzen Aufregung war unverkennbar.

Wir fragten einen vorbeikommenden Schaffner, worum es da draußen gehe, aber er sagte nur über die Schulter: »Jemand Berühmtes, der von der Front kommt, wer weiß?«

Jemand Berühmtes! Zu komisch, wenn wir die ganze Zeit mit General Galligasken im selben Zug gesessen hätten; aber nichts deutete darauf hin. Wir hatten keine Ahnung, welcher Passagier hier geehrt werden sollte, bis wir auf den Bahnsteig hinaustraten. Ein Fahrkartenabreißer zeigte auf uns — eigentlich auf Julian —, und prompt stimmte die Kapelle einen Marsch an.

»Mein Gott!«, sagte Sam erblassend, als er die Schilder und Spruchbänder las, die von der Menge hochgehalten wurden — und ich las sie auch und muss wohl genauso entgeistert ausgesehen haben wie Sam.

WILLKOMMEN, HELD DES SAGUENAY-FELDZUGS!, hieß es da.

POLIZEI UND FEUERWEHR VON NYC SALUTIEREN DEM EROBERER DER CHINESISCHEN KANONE!, hieß es woanders.

Und da vorne einfach:

HURRA CAPTAIN COMMONGOLD!

Sam zitterte so heftig, als hätte sich die jubelnde Menge unter seinem Blick in ein Exekutionskommando verwandelt.

Julian war noch verwirrter. Er machte den Mund auf und fand nicht mehr die Kraft, ihn zu schließen.

Im selben Augenblick löste sich eine weißhaarige Frau aus dem Pulk. Sie war nicht jung, auch nicht besonders dünn, aber ihr Auftreten war energisch und zielbewusst. Sie war offensichtlich eine Aristokratin — sie war teuer und auffällig bunt gekleidet, als sei sie durch eine Modeboutique und ein tropisches Vogelhaus marschiert und von beiden sei einiges an ihr kleben geblieben. Sie trug einen Blumenkranz mit einem Spruchband aus Papier: DIE PATRIOTISCHE FRAUENUNION VON NEW YORK CITY HEISST CAPTAIN COMMONGOLD WILLKOMMEN! Der Kranz war so verschwenderisch, dass ihr Gesicht beinahe ganz verdeckt wurde, bis sie ihn hochhob, um ihn Julian um den Hals zu legen.

Jetzt erst hatte sie freien Blick auf den Adressaten der ganzen Verehrung und erstarrte, als sei sie von einer Kugel getroffen.

»Julian?«, sagte sie heiser.

»Mutter!«, rief Julian.

Der Kranz fiel zu Boden. Julians Mutter umarmte ihren Jungen. Die Fotografen in der Menge merkten auf und hoben ihre Kameras, und die Reporter pflückten die Bleistifte von den Ohren.

DRITTER AKT

Patriotische und andere Ereignisse

(gipfelt im Unabhängigkeitstag 2174)

»Keep thy peaceful watch-fires burning, Angels stand at all thy doors, Washing from thy homes dissension As the oceans wash thy shores.«[50]
— Eine Hymne an Amerika

1

Jetzt ging alles sehr schnelclass="underline" Julian stellte mich als einen Freund aus der Armeezeit und Calyxa als meine Frau vor, Mrs. Comstock bestand darauf, unseren Aufenthaltsort in eine luxuriöse Kutsche zu verlegen, die so groß war, dass wir alle fünf Platz fanden, und dann trug uns ein Gespann edler Schimmel auf und davon.

Die Karosse war üppig gepolstert, die Stadt da draußen staunenswert … aber ich hatte keinen Blick für meine Umgebung. Mir war, als hätte mich jemand links und rechts geohrfeigt. Ich verstand noch nicht ganz, wie es zu diesem unerwünschten Empfang hatte kommen können, war mir aber bereits sicher, dass ich es war, der Julians Pläne über den Haufen geworfen hatte und der ihm womöglich zum Verhängnis wurde.

Calyxa war noch verwirrter durch die Wende, die alles genommen hatte, denn ihre Erfahrung gab ihr nicht den geringsten Anhaltspunkt für eine Erklärung. In der Kutsche wäre es vielleicht still gewesen, während jeder von uns seinen privaten Gedanken und Befürchtungen hätte nachhängen können, wenn Calyxa nicht in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen verlangt hätte, ihr doch endlich reinen Wein einzuschenken.

»Ich wünschte, ich könnte Ihnen den Gefallen tun, Mrs. Hazzard«, sagte Julians Mutter, die sich unsere Namen trotz der chaotischen Umstände gemerkt hatte. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich sehr viel mehr verstehe als Sie, mein Kind.«

Meines Erachtens zeigte Mrs. Comstock ein gerüttelt Maß an gesundem Menschenverstand. Sie war eine stabil gebaute Frau mittleren Alters, ihr frisiertes braunes Haar war an den Schläfen weiß durchschossen. Links von ihr brütete Julian, und Sam zu ihrer Rechten sah blass und niedergeschlagen aus (wenn er nicht gerade rasch zu ihr hersah und feuerrote Ohren bekam).

»Entschuldigung«, sagte Calyxa, »und vielleicht verletzt meine Frage eine Anstandsregel, auf die man mich nicht hingewiesen hat, aber wer sind Sie genau?«

»Emily Baines Comstock«, sagte die ältere Frau mit fester Stimme. »Julians Mutter, falls sich das eine nicht aus dem anderen ergibt.«

»Der Name ›Comstock‹ kommt überraschend«, sagte Calyxa und bedachte mich mit einem finsteren Blick.

Sofort gestand ich ihr, dass ich sie über Julians Herkunft im Unklaren gelassen hatte, und berief mich auf das Versprechen, das ich Julian und Sam gegeben hatte.

»Ich dachte, du wärst ein Pächterjunge aus dem Westen, Adam.«

»Bin ich auch! Nicht mehr und nicht weniger! Man hatte Julian Comstock nach Williams Ford geschickt, um ihn vor einer möglichen Verschwörung zu schützen, und genau da haben wir uns angefreundet.«

вернуться

50

»Lass deine friedfertigen Wachfeuer nicht verlöschen; mögen an all deinen Türen Engel stehen und den Zwiespalt aus deinen Häusern spülen, gerade so, wie die Meere es mit deinen Ufern tun.«