»Ich fand, ich müsste, ja. Ich spielte die Rolle des Pflichtbewussten.«
»Aber musstest du so gründlich vorgehen? Und Sie, Mr. Hazzard, Sie behaupten, geschrieben zu haben, was dieser Theodore Dornwood veröffentlicht hat?«
»Es war nie zur Veröffentlichung gedacht«, sagte ich und errötete bis zu den Haarwurzeln. »Ich finde das genauso schockierend wie Sie, Mrs. Comstock. Dornwood hat so getan, als ob er mich schriftstellerisch beraten wollte, und ich habe ihm meine Gehversuche im Schreiben gezeigt. Von Veröffentlichen war keine Rede, schon gar nicht unter seinem Namen. Das hätte ich nie erlaubt.«
»Warum er erst gar nicht gefragt hat. Sind Sie denn wirklich so naiv, Mr. Hazzard?«
Mir fiel keine Antwort auf diese demütigende Frage ein, obwohl ich Calyxa lebhaft nicken sah.
»Das wäre alles kein Problem gewesen«, rief Sam ihr in Erinnerung, »wenn niemand eine Verbindung zwischen Commongold und Comstock hergestellt hätte. Was hat dich an diesen Bahnsteig verschlagen, Emily?«
»Eine Gefälligkeit. Die Patriotische Frauenunion begrüßt häufig zurückkehrende Veteranen, die sich auf dem Schlachtfeld ausgezeichnet haben. Solche Gesten heben die Moral an der Heimatfront, und der Name ›Comstock‹ setzt dem Ereignis ein Glanzlicht auf. Ich hätte nicht so reagiert, aber … na ja, es ist lange her, seit ihr beiden vom Landsitz der Duncans und Crowleys verschwunden seid. Ihr hättet tot sein können. Ich habe diese abscheuliche Vorstellung natürlich verdrängt, aber ausgeschlossen wäre es nicht gewesen. Dann steht Julian plötzlich vor mir — tja.« Sie tupfte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
»Nur zu verständlich!«, rief Sam. »Mach dir keine Vorwürfe!«
»Das Glück war gegen uns. Morgen werden diese vulgären Blätter voll davon sein. Und dann weiß er natürlich Bescheid.«
Mit »er« war Präsident Deklan Comstock gemeint, oder Deklan der Eroberer, wie er auch genannt wurde. Eine verbissene Stille stellte sich ein.
»Auf jeden Fall«, sagte Mrs. Comstock, »können wir die Distanz zwischen uns und dem Regierungspalast vergrößern. Edenvale wird uns zwar nicht schützen, aber der Landsitz wird es ihm etwas schwerer machen, seiner Unbesonnenheit nachzugeben. Mehr kann ich nicht tun. Aber lasst uns nicht pessimistisch sein. Mein Sohn ist heil zurückgekommen — das muss gefeiert werden. Mr. und Mrs. Hazzard, werden Sie uns ein paar Tage Gesellschaft leisten auf Edenvale?«
Ich kam mir erbärmlich vor, denn ich hatte mir nicht Mrs. Comstocks Gastfreundschaft, sondern ihren Zorn verdient. Ich wollte schon ablehnen, als Julian für mich antwortete: »Natürlich kommen die beiden mit. Wir können sie schlecht hier aussetzen. Der Moloch würde sie lebendig verschlucken.«
Mrs. Comstock nickte. »Sie waren Julian ein treuer und zuverlässiger Freund, Adam Hazzard, und ich würde mich glücklich schätzen, wenn Sie mit uns kämen, besonders wenn Julian noch etwas mehr angemessene Kleidung für Sie und Ihre reizende Frau auftreiben kann. Betrachten Sie es als entschieden.«
Sie klatschte in die Hände. Wie aus heiterem Himmel erschien ein Dutzend Bedienstete, und der Haushalt wurde zu einem Wirbelwind an Vorbereitungen für die morgige Reise.
Calyxa und ich verbrachten die Nacht in einem der Gästezimmer — ich hatte noch nie in einem so sybaritischen Gemach geschlafen, das ausgestattet war mit einer Matratze so plüschig und weich, dass man eher darin als darauf lag. Das wäre nun eine einmalige Gelegenheit für eheliche Intimitäten[51] gewesen, wenn sich Calyxa nicht durch die Emsigkeit der Bediensteten im Flur und in den angrenzenden Zimmern gestört gefühlt hätte.
Ihr fiel wahrhaftig auf, dass in unserem Schlafzimmer wie auch in den anderen Zimmern, die wir gesehen hatten, eine gerahmte Fotografie von Julians Vater hing und dass Bryce Comstock die tadellos sitzende Uniform eines Generalmajors trug. »Besonders ähnlich sieht er aber dem amtierenden Präsidenten nicht«, bemerkte sie, »jedenfalls nicht dem Gesicht auf der Münze.«
Die Ähnlichkeit gab es, aber sie war rein strukturelclass="underline" die hohen Wangenknochen, die dünnen Lippen. Aber in dem, was ein Gesicht lebendig macht — das Spektrum der menschlichen Emotionen, das selbst in einer Fotografie zum Ausdruck kommt —, darin war Bryce das Gegenteil von Deklan. Bryce hatte viel von Julian (oder umgekehrt); die hellen Augen, das unterschwellige Lächeln. »Er war der bessere Bruder«, sagte ich. »Eine tapfere Seele, die keine Ränke schmiedete. Er war ein Held des Isthmischen Krieges, bevor Deklan ihn an den Galgen brachte.«
»Heldentum ist eine gefährliche Sache«, bemerkte Calyxa zu Recht.
Ich schlief unruhig und wachte auf, als das Haus lebendig wurde. Die Sterne verblassten, und die Luft war kühl, während wir mit unserem Gepäck in einer anderen geräumigen Karosse von Mrs. Comstock Platz fanden, um mit einem Tross von Bediensteten zum Hafen aufzubrechen.
Manhattan an einem heraufdämmernden Frühlingsmorgen! Ich hätte ehrfürchtig gestaunt, wären nicht Wolken anderer Art über uns aufgezogen. Ich will den Leser nicht auf die Folter spannen und auf all die Wunder eingehen, die an diesem Morgen an mir vorbeizogen; doch es gab vier- oder fünfgeschossige Ziegelsteingebäude, die in grellen Farben gestrichen waren, beeindruckend hoch, aber zusammengestaucht von den skelettierten Stahltürmen, derentwegen Manhattan weltberühmt ist, von denen einige sich wie beschwipste Riesen in die Richtung neigten, wo ihre Fundamente vom Wasser unterhöhlt wurden. Auf breiten Kanälen krochen Frachtkähne und Abfallschuten, die von kräftigen Zugpferden am Ufer geschleppt wurden. Es gab herrliche Alleen, wo sich auf hölzernen Gehsteigen reiche Aristokraten und zerlumpte Lohnarbeiter drängten, und direkt daneben stinkende Gassen mit Abfällen und vereinzelten Tierkadavern. Es roch nach Gebratenem, Kloake und faulendem Fisch, und alles war in den Rauchschleier der Kohleöfen gehüllt und wurde von der aufgehenden Sonne mit Rosarot übergossen. Als wir uns den Docks näherten, sah ich das Auf und Ab der Masten und Schornsteine vor dem Morgenhimmel, dann wuchsen die dazugehörigen Schoner und Dampfer heran. Unser Aufgebot folgte einem Kai bis zu einer Dampfbarkasse, die Mrs. Comstock gehörte. Die Sylvania war ein kleines, schmuckes Gefährt, blütenweiß lackiert und an manchen Stellen vergoldet; der Kapitän hatte den Dampfkessel bereits hochfahren lassen und war zur Abfahrt bereit.
Ehe wir an Bord gingen, ließ sich Mrs. Comstock von einem Schiffsjungen ein paar Morgenausgaben des Spark besorgen, und sobald die Privatkabinen verteilt und unsere Siebensachen verstaut waren, kamen wir in der vorderen Kajüte zusammen und griffen zur Zeitung.
Unsere schlimmsten Befürchtungen wurden rasch bestätigt. Die Überschrift auf der Titelseite lautete:
COMMONGOLD EIN Comstock!Heroischer »Junger Captain« entpuppt sich als Neffe des Präsidenten.
Diesmal stand nicht »Theodore Dornwood« darunter, aber seine Abenteuer des Captain Commongold wurden mehrmals erwähnt, was die Verkaufsziffern seiner Broschüre zweifellos in die Höhe trieb. Die Geschichte selbst gab recht genau Julians Ankunft in Manhattan wieder, den »großen Bahnhof«, den man ihm gemacht hatte, und die herzliche Begrüßung, die ihm von seiner Mutter zuteilwurde — kaum Pathos. Das Beunruhigendste war eine kurze Schlussbemerkung: Man habe den Regierungspalast um einen Kommentar gebeten, bis jetzt sei aber noch keine offizielle Stellungnahme erfolgt.
Während Julian, Sam und Mrs. Comstock die möglichen Folgen des Eklats besprachen, suchten Calyxa und ich in gedrückter Stimmung das Vordeck auf, um uns durch die vorbeiziehenden Sehenswürdigkeiten zu zerstreuen. Manhattan mit seinen skelettierten Türmen und seinem pausenlosen Handelsverkehr war schon hinter uns zurückgefallen, doch an beiden Ufern hatten die Säkularen Alten ihre Spuren hinterlassen — ausgeplünderte Ruinen, so weit das Auge reichte, ein Beleg, dass es hier nur so gewimmelt hatte von Menschen —, damals während der Blütezeit des Öls. Übrig geblieben war im Grunde nur eine Halde unvorstellbaren Ausmaßes, so riesig, dass selbst nach einem Jahrhundert nur die zugänglichsten Vorkommen an Kupfer, Stahl und Antiquitäten abgebaut waren. Am New-Jersey-Ufer zeugten die schwarzen Rauchfahnen von Walzwerken und Eisengießereien, dass diese Arbeit noch im vollen Gange war. Wir fuhren unter zwei gewaltigen Brücken hindurch — eine halb eingestürzt und von Klebkraut überwuchert, die andere noch in Reparatur und schon für den Industrieverkehr freigegeben —, während der Fluss selbst von Schaluppen, Dampfschiffen und jenen seltsam betakelten, langen, schmalen Booten bevölkert war, die Dahabije hießen und bei den zahlreichen ägyptischen Einwanderern beliebt waren.