Calyxa hatte sich nach Mrs. Comstocks Ratschlägen gekleidet und trug nach Art einer sittsamen Aristokratin Bluse und Rock. Sie trug die Sachen nicht freiwillig, aber sie standen ihr, obwohl sie ständig am Gürtel herumzupfte, den ihre Taille als mittelalterliches Folterwerkzeug empfand. »Meine Flitterwochen hatte ich mir ein kleines bisschen anders vorgestellt«, sagte sie pikiert.
Ich fing an, mich zu entschuldigen, aber sie winkte ab. »Ist alles schön und gut, Adam, klingt aber nicht gerade harmlos. Ist Julian wirklich in Lebensgefahr?«
»Aber sicher. Sein Vater wurde von Deklan dem Eroberer genau wegen dieser Art von Berühmtheit getötet, die Julian jetzt schwarz auf weiß erlangt hat. Einem Präsidenten sind natürlich die Hände gebunden. Die kämpfende Truppe und das Dominion sind handfeste Beschränkungen, meint Sam — aber Deklan ist verschlagen und wartet womöglich nur auf eine passende Gelegenheit.«
»Können wir Julian irgendwie helfen?«
»Strategisch, nein — das sollen die machen, die sich mit so was auskennen. Was die Ausführung angeht, weiß Julian, dass er auf uns zählen kann.«
»Schuld ist eigentlich dieser Theodore Dornwood.«
»Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, dann wird er für seinen Diebstahl und seine Lügen bezahlen.«
»Gibt es denn eine? Gerechtigkeit, meine ich.«
Ich fasste das als eine praktische und nicht als eine philosophische Frage auf. »Wenn ich dazu beitragen kann, ich denke schon.«
»Heißt das, du willst ihn bestrafen?«
»Ja«, sagte ich und meinte, was ich sagte, obwohl ich noch keinen Gedanken darauf verwendet hatte. Vielleicht konnte man Deklan Comstock nicht zur Rechenschaft ziehen, es sei denn am Jüngsten Tag; aber Theodore Dornwood war kein Aristokrat und residierte nicht in einem befestigten Palast, und da lag es vielleicht in meiner Macht, ihn zu einer Art Wiedergutmachung zu zwingen.
Und genau das, schwor ich mir, würde ich früher oder später tun.
2
»Spiel und Sport im Freien«, sagte Julian, »macht nur Spaß, wenn die Aktivität drei Eigenschaften aufweist. Sie sollte schwierig, unpraktisch und ein bisschen albern sein.« Diese interessante Weisheit habe er von seinem Vater.
Es war die zweite Woche auf Edenvale. Bislang hatte sich Deklan Comstock bedeckt gehalten, und der Pressewirbel erlahmte, weil er keine neue Nahrung bekam. Der Grund, warum uns ein verfrühtes Gefühl von Sicherheit beschlich.
Gewiss, Edenvale war ein wohltuender Ort. Ich hatte noch nie einen Sommer auf einem aristokratischen Landsitz verbracht (Ställe ausmisten bei den Duncans und Crowleys nicht mitgezählt). Ich fühlte mich gleichzeitig abgestoßen und angezogen von Luxus und Faulenzerei auf Edenvale. Grund und Boden wurden nicht bestellt, sondern wild belassen; nur die malerischen Fuß- und Reitwege wurden in Schuss gehalten. Die Weite der Wildnis lud zum Jagen und Erkunden ein.
Das Edenvale-Haus selbst stand auf einem kurz getrimmten Rasen, der von Blumenrabatten gesäumt wurde. Bei heiterem Wetter frühstückten wir draußen, Speisen und Getränke wurden von Bediensteten serviert, während wir an zierlichen, weiß gestrichenen Tischen saßen. An regnerischen Tagen erforschten Calyxa und ich die unzähligen Zimmer oder ließen uns in der Bibliothek nieder, die mit Klassikern des 19. Jahrhunderts bestückt war und mit dominiongeprüften, leichten Unterhaltungsromanen. Abends brach Sam ein frisches Kartendeck auf, und wir spielten bis zum Schlafengehen Euchre oder Red Rose; oder wir begaben uns in den Musiksalon, wo Mrs. Comstock am Klavier saß und Las Ojos Criollos übte.[52] Das Haus, erklärte Julian, sei in seiner Glanzzeit von Aristokraten, Gutsbesitzern und Senatoren aufgesucht worden. Aber dann habe die Hinrichtung seines Vaters einen Schatten über die Familie geworfen, und seine Mutter sei aus der elitären Gesellschaft ausgeschlossen worden. Seit damals habe sie sich mit Menschen aus der Unterhaltungsbranche von Manhattan eingelassen und mit Emporkömmlingen und Neureichen; ein gesellschaftlicher Magnet sei Edenvale längst nicht mehr.
Nach zwei Wochen wurde diese Tändelei allmählich langweilig, und Julian schlug vor, mich auf eine Wanderung durch die wilderen Bereiche von Edenvale mitzunehmen — Landstriche, durch die er als Kind gestromert war, bevor er nach Williams Ford geschickt wurde. Ich war gleich einverstanden, und so brachen wir an einem heiteren, kühlen Morgen auf. Julian nahm ein ungewöhnliches Gepäckstück mit: ein schmales, über drei Fuß langes Segeltuchbündel. Ich fragte ihn danach; und das war der Moment, da er zum Besten gab, was sein Vater über Sport gesagt hatte.
»Also irgendwas mit Sport, hm?«
»Ja, aber ich behalte es noch für mich — ich glaube, du wirst angenehm überrascht sein.«
Wir trugen im Grunde die gleichen Sachen wie in Williams Ford, als wir Eichhörnchen gejagt hatten; und das war eine Erleichterung nach der komplizierten und beengenden Aristomode mit ihren Gürteln, Knöpfen, Schleifen und Spangen.
Wir wanderten unter den ausladenden Ästen von Götterbäumen und Birken, als eine Brise die Blätter kippte und das Grün des Laubs veränderte — es war, als seien wir wieder jung —, für ein paar Stunden wenigstens.
In Williams Ford hatte Julian auf solchen Ausflügen immer zu philosophieren begonnen. Daran hatte sich nichts geändert. In einem Korkeichenwäldchen machten wir Pause, um uns aus den Feldflaschen zu erfrischen, und Julian sagte: »Hier habe ich meine Liebe zur Vergangenheit gefunden, Adam — als Junge, hier war meine private Halde.«
»Mehr Bäume als Schätze, soweit ich das beurteilen kann.«
»So muss es sein. Der ganze Wald ist auf Schichten von Artefakten gewachsen, lauter Sachen der Säkularen Alten. Du kannst hier irgendwo buddeln und findest garantiert einen Löffel, einen Knopf oder einen Knochen. Hinter dem Weg da …«, er zeigte auf einen Hang, der üppig mit Birken und Brombeersträuchern bewachsen war, »… in der Böschung stößt du auf lauter Grundmauern und Hohlräume, die einstürzen können. Weißt du, was ich da gefunden habe, als Junge?«
»Käfer? Spinnen? Giftefeu?«
»Das ganze Programm; aber es kommt noch besser — Bücher!«
»Bist du schon so früh auf Bücher abgefahren?« »Selbst wenn ich nicht wusste, was sie zu bedeuten hatten. Die meisten waren verrottet, verdreckt und hatten Wasserschäden, aber hier und da war eine Seite leserlich geblieben. Ich habe diese Fragmente nicht einfach gelesen, Adam — ich habe sie fast auswendig gelernt. Sie nur in der Hand zu halten war schon ein besonderes, ein köstliches Gefühl — als hätte ich eine Möglichkeit gefunden, Gespräche mitzuhören, die der Wind schon vor hundert Jahren davongetragen hatte.«
»Was waren das für Bücher?«
Er zuckte die Achseln. »Hauptsächlich Romane. Geschichten von intimen Beziehungen oder Mord oder fantastische Berichte vom Flug zu den Sternen oder von Zeitreisen.«
52
Sie spielte ernsthaft, aber stockend, und Calyxa und ich zogen uns nicht selten unter einem Vorwand zurück. Bei Sam erntete sie dagegen helle Begeisterung, und er behauptete, ihr die ganze Nacht zuhören zu können, obwohl auch er erleichtert schien, wenn sie zu einfacheren Kompositionen überging wie