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»Mach den Mund zu«, sagte Calyxa, »du sabberst gleich.«

»Das muss fast alles sein, was Mr. Easton geschrieben hat!«

»Hoffentlich. Er hat schon viel zu viel geschrieben.«

Ich war mit dem Sold, den mir die Laurentische Armee nachgezahlt hatte, ziemlich knauserig umgegangen — ich hatte immer noch den Erwerb einer Schreibmaschine im Hinterkopf —, konnte aber nicht widerstehen, ein, zwei jüngere Romane von Mr. Easton zu kaufen.[56] Calyxa stöberte in den Notenblättern, während ich an der Kasse Comstock-Dollars auf die Theke zählte.

Wir verließen die Buchhandlung, und Calyxa zauderte vor dem Impfladen nebenan. Sie war bei all ihrer Verachtung für das Aristokratische nicht immun gegen gewisse Phänomene der hiesigen Lebensart. Das Fenster des Impfladens warb für ein frisch eingetroffenes Gelbfieberserum, die Reklame wandte sich an stilbewusste junge Städterinnen, die ihre Impfnarben zur Schau trugen, als seien es Juwelen. Eine einzige Dosis von diesem Serum kostete aber mehr als ein Dutzend Romane, und Julian hatte uns vor solchen Läden gewarnt, die mitunter mehr Krankheiten in Umlauf brachten, als sie verhindern konnten.

Ich freute mich einfach nur auf die Lektüre. Ich gestand Calyxa, wie sehr mich Mr. Eastons Werk inspiriert habe, und dass es seine Bücher seien, die meinen Ehrgeiz entflammt hätten, ein professioneller Schriftsteller zu werden, und ich sei weiter denn je von diesem Ziel entfernt.

»Unsinn«, sagte Calyxa. »Adam, du bist ein professioneller Schriftsteller.«

»Kein professioneller — und veröffentlicht habe ich auch noch nichts.«

»Du hast bereits einen Text veröffentlicht. Nicht gesehen? Bei Grogan’s liegen Die Abenteuer des Captain Commongold. Das Heft scheint sich gut zu verkaufen.«

»Dieser Schund. Der Text hat Julian in Lebensgefahr gebracht und ist obendrein von Theodore Dornwood total verhunzt worden. Er hat die Hälfte der Kommas verschlampt und die restlichen sinnlos verstreut.«

»Abgesehen von der Zeichensetzung ist es dein Text, und er ist immerhin so professionell, dass erstaunlich viele Bürger von Manhattan bereit sind, sich von einem Dollar fünfzig zu trennen, um ihn zu lesen.«

Das stimmte, auch wenn ich das so noch nicht gesehen hatte. Meine Empörung über Mr. Dornwood flammte wieder auf. Auf dem Weg zu Mrs. Comstocks Haus verlor ich kein Wort mehr über »meine Veröffentlichung«, nahm mir aber vor, die Redaktion des Spark aufzusuchen, um meinem Ärger Luft zu machen.

Ich hätte den Abend am liebsten mit Lesen verbracht, denn ich war auf die neuen Bücher gespannt; jedes Mal, wenn ich sie in die Hand nahm, musste ich die steifen Seiten und die gestochen scharfen Buchstaben und den sauberen weißen Faden bewundern, der die Bögen so ordentlich und fest zusammenhielt; aber Julian wollte uns partout mit ins Kino nehmen — eine Einladung, der ich schwerlich widerstehen konnte, nach allem, was Julian in Williams Ford über Filme gesagt hatte.

Wir drei nahmen eine Droschke zu dem Lichtspieltheater am Broadway, in dem Julian uns Plätze hatte reservieren lassen, und mischten uns im Foyer unter die vielen vornehm gekleideten Eupatriden beiderlei Geschlechts. Noch ehe wir den Zuschauerraum betraten, war mir klar, dass diese Vorführung viel, viel aufwendiger sein würde als die des Rekrutierungsfilms in der Dominion-Halle in Williams Ford. Der Film, der hier gezeigt werden sollte, hieß Eula’s Choice; auf den bunten Werbeplakaten im Foyer war eine antiquiert gekleidete Frau zu sehen und ein Mann mit Pistole; außerdem ein Pferd und eine amerikanische Fahne. Julian erklärte, es handle sich bei Eula’s Choice um eine patriotische Geschichte, deren Premiere nicht zufällig in die Zeit des Unabhängigkeitstages falle. Er erwarte keine große schauspielerische Leistung, der Film sei aber von einer hiesigen Gruppe produziert worden, die für ihre eigenwillige Kameraführung und ihre üppigen Bühneneffekte bekannt sei. »Wenn es ein herrliches Spektakel wird, bin ich vollauf zufrieden.«

Calyxa fühlte sich nicht wohl unter den hochnäsigen Eupatriden und schien erleichtert, als die Platzanweiser kamen, um uns in den Zuschauerraum zu scheuchen, wo wir die uns zugewiesenen Plätze einnahmen. »Mit dem Geld, das hier den Besitzer wechselt«, sagte Calyxa, »könnte man tausend Waisenkinder ernähren.«[57]

»Wenn man immer so dächte«, meinte Julian tadelnd, »gäbe es keine Kunst, keine Philosophie und auch keine Bücher. Das ist ein unabhängiges Kino, keine eupatridische Einrichtung. Von den Einnahmen werden die Gehälter der agierenden Schauspieler und Sänger bezahlt, die sonst hungern müssten.«

»Sänger auch? Wenn das so ist, will ich nichts gesagt haben.«

Den Strom für das ganze Theater lieferte ein Generator im Kellergeschoss, dessen gedämpftes Knattern an das Schnarchen eines Leviathans erinnerte. Die Lampen funktionierten elektrisch und trübten sich alle gleichzeitig ein, während das Orchester — eine komplette Blaskapelle und etliche Streicher — die Ouvertüre spielte. Der Vorhang ging hoch und enthüllte eine riesige weiße Leinwand und die verhangenen Kabinen für die Synchronstimmen und Geräuschemacher. Kaum war es finster, da warf der Lichtstrahl des Projektors einen reich verzierten Titel auf die Leinwand:

The New York Stage and Screen Alliance

Presents

EULA’S CHOICE

A Musical Story of Antiquity,

versehen mit dem Prüfsiegel des Dominion.

»Da wird geklotzt«, meinte Calyxa; die Kinos in Montreal betrieben lange nicht so viel Aufwand. »Sch!«, machte Julian, und die Musik schwoll an und flaute ab, als die Geschichte begann.

Ich will mein Staunen nicht lange beschreiben — der Leser kann es als gegeben betrachten. Nur so viel — diesmal erschien mir Julians Stolz auf die ostamerikanische Kultur gerechtfertigt und absolut entschuldbar. Das ist Kunst, dachte ich; Kunst im ganz großen Stil!

Die Geschichte spielte irgendwann während des Niedergangs der Städte. Die Protagonisten waren Boone, der geplagte Pfarrer einer städtischen Kirche; Eula, seine Verlobte, und Foster, ein erfolgreicher Industrieller.

Die Aufführung gliederte sich in drei Akte, die in einem Programmheft beschrieben waren, das die Platzanweiser verteilt hatten. Jeder Akt wartete mit drei Liedern oder »Arien« auf.

Zu Anfang wurde allerdings nicht gesungen — das Publikum kam in den Genuss flackernder Szenen, die eine Stadt der Säkularen Alten zeigten, die sich in der letzten Phase ihres Niedergangs befand. Wir sahen viele unvorstellbar hohe Gebäude, kunstvoll aus Papier und Holz gebaut, die aber täuschend echt wirkten; wir sahen Straßen, die mit Geschäftsleuten, Atheisten, Huren und Automobilen bevölkert waren.[58] Boone und Eula traten in Erscheinung, sie arbeiteten gemeinsam in der kleinen frommen Pfarrkirche und neckten sich auf eine Weise, die eine bevorstehende Trauung erahnen ließ; doch dann platzte ein Trupp Säkularer Polizisten herein und bezichtigte Boone, verbotene Begriffe wie »Glaube« und »Himmelreich« im Mund geführt zu haben. Boone wurde festgenommen und abgeführt, während Eula herzzerreißend weinte. Boone wurde in Ketten durch die Straßen gezerrt und sang — laut Programmheft — die Arie

The hand of God, not gentle …

Der Filmschauspieler war ausdrucksstark, und sein Part wurde von einem Tenor gesungen, der den Worten Leidenschaft und Disziplin verlieh. (The hand of God, not gentle but just / Descends upon the wicked by and by / und so weiter).

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56

Ich gestehe: Es waren vier.

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57

Waisenkinder gehörten zum Straßenbild von Manhattan; sie bettelten auf erfinderische und aggressive Weise um Hartgeld. Konkurrenz bot ihnen der ständige Nachschub an Veteranen, die Arme oder Beine verloren hatten (manchmal auch beides).

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58

Die Automobile waren nicht so gut gelungen, sie sahen merkwürdig eindimensional aus und tanzten auf und ab, während sie sich fortbewegten; doch das engagierte Team der Geräuschemacher kompensierte den Mangel mit Motorengeräuschen, die von einem Bariton ins Sprachrohr geknurrt wurden. Die Frage, wieso diese Automobile das Ende des Öls so lange überlebt hatten, wurde von den Filmemachern nicht angesprochen.