»Eigentlich wollte ich heute Nachmittag lesen.«
»Nicht an einem so schönen Tag!«
»Woher willst du wissen, was draußen für ein Tag ist? Ich wette, du hast noch nicht mal aus dem Fenster geschaut.«
»Die Schönheit des Tages sickert durch jede Ritze. Ich rieche die Sonne. Sei kein Spielverderber, Adam. Lass uns essen gehen.«
Ich hätte seine Einladung nicht ausschlagen können, ohne von meinem Reinfall zu erzählen, was ich aber nicht wollte. Wir speisten in einem nahe gelegenen Lokal, es gab zwei Leberpilzklöße und gegrilltes Schweinefilet, und ich gab mir Mühe zu lächeln und belangloses Zeug zu reden. Doch ich rührte das Essen kaum an; ich war derart sauertöpfisch, dass Julian sich wiederholt nach meinem Befinden erkundigte.
»Gar nichts«, sagte ich. »Vielleicht eine Magenverstimmung.«
»Oder ganz was anderes. Habt ihr euch gestritten?«
»Nein …«
»Macht dir der Vierte Juli Sorge?«
»Nein …«
»Was dann? Komm, Adam. Raus damit.«
Er ließ sich nicht abschütteln; also gab ich nach und schilderte ihm meinen Besuch bei Hungerford.
Julian unterbrach mich nicht. Der Kellner war so aufmerksam, uns Kaffee und Gebäck zu bringen. Ich rührte nichts an. Ich konnte Julian kaum in die Augen sehen. Doch als ich schließlich schwieg und Julian an der Reihe war, da sagte er nur: »Das Gebäck ist wirklich ausgezeichnet, Adam. Probier mal.«
»Es geht hier nicht ums Gebäck«, platzte ich heraus. »Willst du mir nicht meine Dämlichkeit um die Ohren hauen oder was?«
»Überhaupt nicht. Ich staune über dich. Ich meine, wie du dich zur Wehr setzt. Das Recht ist voll und ganz auf deiner Seite — keine Frage. Das Problem liegt in deiner Methode.«
»Ich weiß nicht mal, dass ich eine habe.«
»Wie solltest du? Ich sag dir was, Adam. Warum gehen wir nicht einfach zu Hungerford, heute Nachmittag, wie er vorgeschlagen hat?«
Ich wunderte mich über Julian. »Wozu? Damit sein Anwalt mich fertigmacht, am Boden zerstört und auf mir herumtrampelt?« Meine Drohung, Hungerford vor den Kadi zu zitieren, war eine leere gewesen, ein Bluff. Ich hatte einfach keinen Beweis, und die Gerichte von New York galten nicht gerade als unparteiisch. »Nein danke, das lasse ich lieber.«
»Und wenn es diesmal anders ausgeht?«
»Ich wüsste nicht, wieso. Hungerford weist jede Verantwortung zurück und Dornwood ist ein professioneller Lügner.«
»Vertrau mir«, sagte Julian.
Das alles war zwar sehr unangenehm, aber es gab kein Zurück mehr; und so machte ich mich wieder auf den Weg zu Hungerfords Büro, diesmal mit Verstärkung.
Falls Mr. Hungerford überrascht war, mich wiederzusehen, so ließ er sich nichts anmerken. Er hatte die Wahrheit gesagt, sein Anwalt war anwesend. Die drei hockten zusammen in Hungerfords Büro — Hungerford selbst, Theodore Dornwood und Buck Lingley, ein feister Mann mit geöltem Haar, der mir gleich als ich eintrat als der besagte Anwalt vorgestellt wurde.
Julian zog es zu meiner Bestürzung vor, im Vorzimmer zu warten. Ich solle ihn rufen, wenn der Verleger nicht einlenke.
Letzteres schien mir unausweichlich.
Mr. Hungerford bat mich, Platz zu nehmen. Noch ehe ich etwas sagen konnte, erkundigte sich sein Anwalt, ob ich rechtliche Schritte unternommen hätte, zum Beispiel eine Beschwerde eingereicht hätte oder dergleichen.
Hätte ich nicht, sagte ich.
»Ist auch besser für Sie«, sagte Lingley. »Sie bewegen sich auf dünnem Eis, Mr. Hazzard. Was wissen Sie über unser Rechtssystem?«
»Sehr wenig«, räumte ich ein.[62]
»Begreifen Sie, was für Sie auf dem Spiel steht, wenn Sie rechtliche Schritte gegen diesen Verlag oder gegen Mr. Dornwood persönlich unternehmen? Und begreifen Sie auch, dass sich Ihr Einsatz verdoppelt, wenn der Fall abgewiesen wird, wovon ich überzeugt bin? Es ist keine Kleinigkeit, die Rechtschaffenheit solcher Männer infrage zu stellen.«
»Diese Männer stellen ihre Rechtschaffenheit selbst infrage. Aber Sie haben bestimmt Recht.«
Rechtsanwalt Lingley schien kurz verwirrt. »Sie wollen sagen, Sie ziehen Ihre Behauptung zurück?«
»Ich nehme an, diese Formulierung hat irgendeine juristische Bedeutung, die ich nicht kenne. Was passiert ist, ist passiert — weder Sie noch ich können das ändern, Mr. Lingley. Und wenn die Gerichte in dieser Angelegenheit nicht urteilen wollen, der Himmel ist vielleicht nicht so oberflächlich.«
»Für den Himmel bin ich nicht zuständig. Sollten Sie zur Vernunft kommen, habe ich hier ein Schreiben aufgesetzt, das Sie bitte unterschreiben wollen.«
»Ein Schreiben, das was besagt?«
»Dass Sie keinerlei finanzielle Forderungen an den Verlag oder an Mr. Dornwood stellen, gleichgültig, ob irgendein kleiner Teil des Materials, das Sie geschrieben haben, Eingang in Mr. Dornwoods Veröffentlichungen gefunden hat oder nicht.«
»Von wegen kleiner Teil, Mr Lingley. Wir reden hier über einen Diebstahl, der so unverschämt ist, dass er selbst einem Aasgeier die Schamesröte ins Gesicht treiben würde.«
»Entscheiden Sie sich«, sagte Lingley. »Wollen Sie die Angelegenheit aus der Welt schaffen, oder beharren Sie auf Ihren Verunglimpfungen?«
Ich überflog das Schreiben. Es besagte, soweit ich den Verklausulierungen folgen konnte, dass ich alle meine bisherigen Vorwürfe zurückzog. Dafür würde der Verlag darauf verzichten, mich wegen Verleumdung zu belangen.
Es gab eine Stelle, die für meine Unterschrift vorbereitet war.
»Wenn ich das unterschreibe«, sagte ich bedächtig, »brauche ich vermutlich einen Zeugen.«
»Das besorgt meine Sekretärin«, meinte Hungerford.
»Nicht nötig — ich habe einen Zeugen mitgebracht«, und ich ging zur Tür und winkte Julian dazu.
Hungerford und sein Anwalt blinzelten bei dieser unerwarteten Wendung. Wenn sie Julian Comstock nicht erkannten, Theodore Dornwood erkannte ihn. Er saß kerzengerade, und ein nicht druckreifes Wort entfloh seinen Lippen.
»Was geht hier vor?«, wollte Hungerford wissen. »Wer ist dieser Mann?«
»Julian Comstock«, sagte ich. »Julian, das ist Mr. Hungerford, der Verleger des Spark.«
Julian bot ihm die Hand. Hungerford ergriff sie, ansonsten schien er zur Salzsäule erstarrt.
»Und das ist Mr. Hungerfords Anwalt, Mr. Buck Lingley.«
»Hallo, Mr. Lingley«, sagte Julian freundlich.
Lingleys bislang blühende Gesichtsfarbe wurde eischalenweiß, und sein parteiliches Gehabe verdunstete wie Morgentau, nur schneller. Er sagte nichts. Stattdessen langte er über den Schreibtisch und nahm das Schreiben an sich, das ich unterschreiben sollte, faltete es in Drittel und riss es entzwei. Dann schürzte er in der blassen Nachahmung eines Lächelns die Lippen. »Ich bin entzückt — nein — geehrt, Ihnen gegenüberzustehen, Captain Comstock. Unglücklicherweise ruft die Pflicht — ein dringender Termin —, ich kann nicht länger bleiben.« Er wandte sich an Hungerford. »Ich denke, wir machen Schluss für heute, John«, sagte er und verließ das Büro so überstürzt, dass ich mich nicht gewundert hätte, wenn der Luftzug die Tür hinter ihm ins Schloss gerissen hätte.
Mr. Hungerford musste noch seinen offenen Mund schließen.
»Und wen sehe ich da?«, sagte Julian. »Theodore Dornwood, unseren zivilen Regimentsschreiber! Ich habe einiges von Ihnen gelesen, Mr. Dornwood. Oder sagen wir — von dem, was unter Ihrem Namen erschienen ist.«
»Ja!«, sagte Dornwood mit erstickter Stimme. »Nein!«
»Halt den Mund, Theo«, sagte Mr. Hungerford. »Captain Comstock, können Sie einen klärenden Beitrag zu unserem Problem leisten?«
»Ganz und gar nicht. Es ist nur, dass es meinem Freund Adam offenbar nicht gelingen will, sich verständlich zu machen.«