Calyxa wies mich auch darauf hin, dass ich gar nicht mit der Schreibmaschine umgehen könne. Es gebe eine besondere Fingerfertigkeit, um damit schreiben zu können. Jeden Buchstaben zu suchen und die entsprechende Taste zu drücken sei viel mühseliger, als mit der Hand zu schreiben. Sie hätte aber bei Grogan’s ein Heftchen mit dem Titel Typewriting Self-Taught gesehen … Ich versprach ihr hoch und heilig, mir eines zu kaufen, selbst wenn es so teuer sei wie ein Roman von Charles Curtis Easton.
So skeptisch sie sich über meine Schreibmaschine ausließ, so sehr freute sie sich, als sie hörte, dass ich einen Vertrag für meinen Roman unterschrieben hatte und dass Dornwoods Tantiemen für Captain Commongold mir gehören würden. Mit anderen Worten, wir würden eigenes Geld haben, und es bestand begründete Hoffnung auf mehr.
»Dann brauchen wir nicht nach Buffalo auszureißen«, lachte sie.
»Wir können in New York City bleiben und alles aus eigener Tasche bezahlen. Du kannst in renommierten Lokalen singen oder nicht, ganz wie du Lust hast.«
»Vorausgesetzt, wir überleben den Vierten Juli.«
Ich wünschte, sie hätte das Datum nicht erwähnt. »Julian ist sich ziemlich sicher, dass wir beide nichts zu befürchten haben.«
»Ziemlich sicher«, sagte sie. »Das ist ziemlich beruhigend.«
Diese Nacht hörte es sich an, als fielen Schüsse auf der Straße.
Ich stand auf und ging zum Schlafzimmerfenster. Wir hatten es aufgelassen, weil sich die Wärme in den Obergeschossen staute. Draußen war es fast windstill.
Neugierig steckte ich meinen Kopf hinaus. Manhattan lag still in der mitternächtlichen Finsternis. Ich hörte das Rascheln von Fahnen an der Fassade und das Zirpen von Insekten. Die Skelette der Wolkenkratzer löschten steile Rechtecke aus dem Sternenhimmel, hier und da schimmerte der Lichthof einer fernen Gießerei. Unten, in den Pferdeställen am Haus, schnaubte ein schlafloses Pferd und trat mit einem beschlagenen Huf auf der Stelle.
Es fielen noch mehr Schüsse, dann ersticktes Gelächter. Eine Gruppe von fünf oder sechs Jungen stürmte zwischen zwei Reihenhäusern heraus, irgendetwas Glühendes in den Händen. Lauter erboste Stimmen aus den Fenstern.
Was ich für Schüsse gehalten hatte, waren explodierende Feuerwerkskörper von irgendwelchen Lausbuben gewesen, die den Vierten Juli nicht abwarten konnten. Julian und ich hatten früher den gleichen Unsinn in Williams Ford getrieben. Die Melker hatten uns verwünscht und behauptet, die Kühe würden vor Schreck keine Milch mehr geben.
Bei mir kam erst gar kein Ärger auf.
Die Nachtluft trug den Geruch von Schwarzpulver herein. Calyxa regte sich. »Riecht, als stünde die ganze Stadt in Flammen«, murmelte sie ins Kissen.
»Nur Dummejungenstreiche.«
Ich fröstelte, obwohl die Nacht lauwarm war, schloss die Fensterläden und ging wieder ins Bett.
4
In den Tagen vor dem Vierten Juli schrieb ich eine Einführung für die verbesserte Auflage der Abenteuer des Captain Commongold (alias Julian Comstock), eines jugendlichen Helden am Saguenay, und setzte bzw. versetzte alle von Mr. Theodore Dornwood veruntreuten Kommas. Was die Einführung betraf, so ließ ich mich von Sam Godwin beraten, der es für äußerst wichtig hielt, den amtierenden Präsidenten lobend zu erwähnen und keinesfalls zu beleidigen.
Ich hielt nicht mit meiner Meinung hinter dem Berg und sagte Sam, was ich davon hielt.
»Es ist geheuchelt«, erwiderte Sam. »Es ist gelogen, na und? Es geht um Julian. Die Heuchelei rettet ihm vielleicht das Leben oder verlängert es zumindest.«
Ich konnte mich schlecht weigern, denn dieser Text hatte Julian bereits in Gefahr gebracht, und da war es nur fair, wenn ich dazu beitrug, dass er die Situation wieder entschärfte. Also schrieb ich, dass Julian unter falschem Namen in die Laurentische Armee eingetreten sei, um jeder Sonderbehandlung zu entgehen, die einem Neffen des Präsidenten ansonsten zustand. Nicht dass Deklan Comstock sich jemals hergeben würde, Einfluss auf das Militär zu nehmen, nur um Julian einen besseren Start zu verschaffen: Der Präsident glaubt, wie auch Julian, dass sich ein Mann auf eigene Faust und aus eigener Kraft bewähren muss. Julian hegte nämlich die Befürchtung, irgendein Offizier könne versucht sein, sich durch Bevorzugung einzuschmeicheln. Sein Stolz und sein Patriotismus würden ihm solche Vorteilsnahme verbieten. Julian habe, schrieb ich, den Status eines Helden, wenn überhaupt, dann so wie Deklan der Eroberer erreicht, und zwar in eigener Sache und ohne schonende Hilfe.
Julian zuckte zusammen, als er diesen Abschnitt las, und riet mir, fürs Dominion zu arbeiten, wenn mir Katzbuckeln und Lügen so leicht von der Hand gingen; doch Sam wies ihn zurecht und erklärte, ich hätte diesen Passus nur auf sein Drängen hin geschrieben.
»Ich habe mit Offizieren gesprochen, die auf Urlaub waren, laurentischen Armeeoffizieren«, sagte Sam. »In den höheren Rängen, vor allem bei den Männern um General Galligasken, herrscht beträchtliche Unzufriedenheit mit Deklan Comstock. Der Präsident versucht die Armee wie ein Tyrann zu lenken, er befiehlt eigenartige Angriffe und Strategien, die er sich selbst ausdenkt; und wenn sie fehlschlagen — was sie beinah zwangsläufig tun —, bestraft er irgendeinen glücklosen Generalmajor oder ersetzt ihn durch einen servileren seiner Wahl. Leider ist unser Erfolg bei Chicoutimi nicht typisch für den allgemeinen Kriegsverlauf. Die Laurentische Armee kann die gegenwärtigen Verluste nicht mehr verkraften — wenn der Präsident den totalen Zusammenbruch vermeiden will, muss er Veteranen zurückrufen oder neue Rekruten ausheben. Ich sage euch das unter dem Siegel äußerster Verschwiegenheit: Wenn es uns gelingt, Deklan den Eroberer zu besänftigen, eine Zeit lang wenigstens, werden wir ihn vielleicht überleben.«
Das waren alarmierende Neuigkeiten, auch wenn sie nicht nur schlecht waren, aber was hätte ich ändern können? Julian nickte und zog die Stirn kraus.
Später am Tag fragte ich Sam, ob er schon Kontakt zu den Juden von New York City aufgenommen hätte, denn es gab viele hier — ich hatte sie schwarz gekleidet in ihre Samstag-Gottesdienste gehen sehen, in einer Enklave in der Nähe des ägyptischen Stadtteils.[63]
»In Montreal konnte ich mir solchen Umgang erlauben«, meinte er. »Als Sam Godwin bin ich zu bekannt, um das Risiko einzugehen.«
»Welches Risiko? Der jüdische Glaube ist doch in diesem Staat erlaubt, oder?«
»Erlaubt, aber kaum anerkannt«, sagte Sam. Wir bummelten den Broadway hinunter, nicht um uns die Beine zu vertreten, sondern um uns zu unterhalten, ohne dass das Personal mithören konnte. Das Gerassel der Kutschen, der Hufschlag der Pferde und das Flattern der Fahnen zum Unabhängigkeitstag machten es unmöglich, dass uns jemand belauschte — wir verstanden ja kaum unser eigenes Wort.
»Was ist schon Anerkennung?« Da ich selbst nur wenig davon genoss, neigte ich dazu, ihren Wert zu unterschätzen.
»Mir persönlich bedeutet sie überhaupt nichts, aber gewissen Leuten, mit denen ich zu tun habe, umso mehr. Dem Militär natürlich. Dem Dominion selbstverständlich. Wenn sich herumspricht, dass ich ein praktizierender Jude bin, kann ich nicht mehr tun, was ich die ganze Zeit schon für Julian tue. Und selbst im privaten Bereich …«
»Hast du denn eins, Sam?«, fragte ich und bedauerte meine Frechheit sofort. Er sah mich verärgert an.
»Ich spreche nicht gerne darüber. Aber als frischgebackener Ehemann hast du vielleicht Verständnis. Vor Jahren — noch vor dem Tod von Julians Vater — hatte ich das Pech, mich in Emily Baines Comstock zu verlieben.«
Das warf mich nicht um. Mir war längst aufgefallen, wie er jedes Mal rot wurde, wenn Mrs. Comstock hereinkam, und umgekehrt, so dass es nahelag, eine beiderseitige Zuneigung zu unterstellen. Sam war nahezu fünfzig und Mrs. Comstock auch, aber für die Liebe war es wohl nie zu spät. Trotzdem war es schockierend, ihn laut darüber reden zu hören.
63
Zuerst hatte ich die ägyptischen Einwanderer auch für Juden gehalten, weil sie Gott in eigenen, ungewöhnlichen Tempeln verehrten; Sam hatte mich eines Besseren belehrt.