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Unser Weg wand sich nordwärts an Götterbaumhainen und weitläufigen Rasenflächen vorbei bis zur sogenannten Statuary Lawn, wo man große Skulpturen aus der Blütezeit des Öls bewahrt hatte. Links von uns stand ein Reiterstandbild, der Mann hieß Bolivar, und ein gewaltiger Obelisk, die sogenannte »Nadel der Kleopatra«. Rechts war ein riesiger Arm aus Metall zu sehen, der eine mit Grünspan bedeckte Fackel hielt, die so groß wie eine Athabaska-Kiefer war, und daneben lag in passender Größe ein zerbrochenes gekröntes Haupt.[65] Diese und andere Artefakte warfen Schatten, die aussahen wie die Gnomen monströser Sonnenuhren — sie wirkten verwegen und traurig zugleich.

Wir waren nicht die Einzigen, die hier unterwegs waren. Es herrschte ein bunter Betrieb im Park; von allen vier Gates kamen die Gäste in Ein- oder Zweispännern, in Kutschen oder hoch zu Ross — alle strebten zum Palast. Die Kutschen hatten vergoldete Beschläge, die Reiter waren herausgeputzt und die Frontlaternen angezündet und leuchteten bereits in der Abenddämmerung. Die Schönen und Reichen von Manhattan waren zu dieser alljährlichen Feier geladen; keine Einladung zu bekommen wurde als Ohrfeige empfunden und hieß nicht selten, dass der bedauernswerte Eupatride in Ungnade gefallen war; und sollte es sich dabei um einen Senator handeln, tat er gut daran, sich vorzusehen.

Das ganze Spektakel lag natürlich mit Calyxas parmentieristischen Prinzipien überkreuz. Ich hatte gehofft, sie würde mit ihrer Verachtung für die Eupatriden hinter dem Berg halten, zumindest für heute Abend. Doch es sollte anders kommen.

Wir hielten bei den weitläufigen Stallungen des Regierungspalasts, wo Burschen in Livree die laufend eintreffenden Gespanne empfingen. Wir stiegen aus und gingen auf den Palast zu, als wir auf einen verärgerten Aristokraten trafen, der mit dem Spazierstock seinen Kutscher verprügelte.

Der Aristokrat war ein beleibter Herr mittleren Alters. Sein Gefährt hatte ein Rad abgeworfen, und der Kutscher sollte wohl schuld sein. Der Kutscher war mindestens so alt wie sein Herr, war hohlwangig und hatte die Augenpartie eines Kettenhundes. Er ließ die Schläge über sich ergehen, während ihn der Aristokrat mit Worten beschimpfte, die ich hier nicht wiederhole.

»Was zur Hölle soll das?«, rief Calyxa, als wir dazukamen.

»Pst!«, machte Sam und flüsterte ihr zu: »Das ist Nelson Wieland. Ihm gehört jedes zweite Walzwerk in New Jersey, und er hat einen Sitz im Senat.«

»Meinetwegen kann er Krösus auf dem Fahrrad sein«, sagte Calyxa laut und deutlich. »Er sollte seinen Stock nicht so gebrauchen.«

»Das geht uns nichts an«, warf Mrs. Comstock ein.

Doch Calyxa war nicht davon abzuhalten, schnurstracks zu Mr. Wieland zu gehen und ihn bei der sicher anstrengenden Züchtigung seines Bediensteten zu unterbrechen.

»Was hat dieser Mann getan?«, fragte sie.

Wieland sah auf und blinzelte. Er kannte Calyxa nicht und konnte wohl ihren Rang nicht einschätzen. Nach ihrer Garderobe, wenn nicht gar nach ihrer Haltung zu urteilen, war sie eine wohlhabende Eupatridin — und immerhin zu einem Empfang des Präsidenten geladen —, so dass er entschied, ihre Einmischung hinzunehmen.

»Es tut mir leid, wenn ich Sie mit diesem unerfreulichen Anblick belästige«, sagte er. »Die Unachtsamkeit dieses Mannes hat mich ein Rad gekostet — und nicht bloß ein Rad, sondern auch eine Achse, wenn nicht die ganze Kutsche.«

»Inwiefern war er unachtsam?«

»Oh, ich weiß nicht genau — er behauptet, das Rad sei über einen Stein gefahren — dass die Aufhängung der Kutsche nicht in Ordnung war —, mit anderen Worten, er sucht die Schuld überall, nur nicht bei sich selbst. Mir kann er nichts vormachen. Der Mann drückt sich — das macht er immer.«

»Und deshalb schlagen Sie ihn blutig?«

Das war nicht übertrieben, denn auf dem gestärkten weißen Hemd des Kutschers zeichneten sich lauter Blutflecken ab.

»Nur so merkt er sich den Vorfall. Er ist ein Abhängiger und träge dazu.«

»De toute évidence, non seulement vous êtes un tyran, mais en plus, vous êtes bête«, sagte Calyxa.

Die fremde Sprache brachte Mr. Wieland kurz aus dem Konzept. Calyxa erntete wieder einen verblüfften Blick, als sei sie eine exotische Lebensform, ein Flusskrebs zum Beispiel, der unerwartet seinem Element entstiegen war. Vielleicht hielt er sie für die Gattin eines Botschafters.

»Danke«, sagte er schließlich. »Ich bin sicher, Sie schmeicheln mir; aber ich spreche Ihre Sprache nicht, und ich fürchte, ich komme zu spät zum Empfang.« Und eilte von dannen.

Calyxa blieb noch eine Weile bei dem Kutscher stehen und redete mit ihm — zu leise, als dass ich etwas verstanden hätte. Schließlich rief Sam sie zu uns zurück.

»War das nötig?«, fragte er.

»Der Mann, den du Wieland nennst, ist ein brutaler Kerl, egal wie viel er besitzt.«

Julian wollte wissen, was der verletzte Kutscher über sich erzählt hatte.

»Er hat den größten Teil seines Lebens für Wieland gearbeitet. Er ist der Sohn eines Hufschmieds und kommt aus einer Kleinstadt in Pennsylvania. Der Vater hat ihn an Wielands Fabrik verkauft, als die Schmiede nicht mehr lief. Jahrelang hat er Radnaben gegossen, bis ihn die Kohlendämpfe dumm gemacht hätten. Dann hat Wieland ihn zu seinem persönlichen Kutscher gemacht.«

»Dann ist Wieland berechtigt, ihn zu schlagen, wann immer er es für nötig hält. Der Mann ist sein Eigentum.«

»Nach dem Gesetz vielleicht«, sagte Calyxa.

»Gesetz ist Gesetz«, sagte Sam.

Der Regierungspalast war derart weitläufig und gewaltig, dass er gleichzeitig noch als Museum oder Bahnhof hätte dienen können. Wir gingen durch einen Portikus aus Marmorsäulen, auf denen das Deckengewölbe einer Kathedrale thronte, und betraten eine riesige Empfangshalle, wo Aristokraten in Gruppen beisammenstanden und sich unterhielten und Kellner mit Tabletts voller Getränke und Platten voller Leckerbissen die Runde machten. In manchen Häppchen steckten Zahnstocher. Ich fand das Essen mickrig für ein Präsidentendinner, bis Julian mir erklärte, dass es sich dabei nicht um den Hauptgang, sondern nur um eine appetitanregende Vorspeise handle, die Hunger machen und nicht stillen sollte. Wir pickten uns das eine oder andere heraus und bemühten uns, die schiere Größenordnung der Architektur, die kunstvolle Wandvertäfelung und die Historiengemälde aus der Zeit der Pius-Präsidenten zu würdigen.

Julians Ruf war ihm vorausgeeilt. Tatsächlich hatte sich die Geschichte seiner soldatischen Karriere und sein plötzliches Wiederauftauchen in Manhattan längst herumgesprochen. Als seine Anwesenheit bemerkt wurde, näherten sich mehrere Senatoren, um ihm zu seiner Tapferkeit zu gratulieren, und viele junge Aristokratinnen konnten nicht umhin, Julian ihre Aufwartung zu machen, ernteten aber lediglich ein paar unverbindliche Höflichkeiten.

Calyxa betrachtete diese modischen jungen Frauen mit Argwohn. Sie hielt sie wohl für frivol. Sie trugen ärmellose Kostüme, um ihre Impfnarben zur Schau zu stellen: je zahlreicher und je auffälliger die Narben, umso schicker. Mrs. Comstock meinte, sich mit solchen Narben zu schmücken sei ein Ausbund an Dummheit: Die Impfungen seien teuer, würden so gut wie gar nicht vor Krankheiten schützen und seien zudem nicht ungefährlich. Den zweiten und dritten Punkt fand ich bestätigt, denn mehrere der geimpften Frauen sahen blass aus oder fiebrig und schwankten beim Gehen. Na ja, Mode hat immer ihren Preis, pekuniär oder sonst wie.

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65

Kopf und Arm, sagte Julian, würden dem »Koloss der Freiheit« gehören. Der Legende nach solle die Göttin früher breitbeinig über den Verrezano Narrows gestanden haben, während Boote und Schleppkähne zwischen ihren Füßen hindurchgefahren seien. Schon bei oberflächlicher Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die Größenverhältnisse nicht stimmen und die »Freiheit« unmöglich imstande war, die Meerenge zu überbrücken, und wenn sie die Beine noch so breitgemacht hätte. Es muss trotz allem eine sehr große und weithin sichtbare Statue gewesen sein — ich will sie hier nicht kleinreden.