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Julian sparte nicht mit Lob, während er durch die Menge schritt und uns vorstellte. Mich schimpfte er »Autor« oder »Schriftsteller« und Calyxa war »Mrs. Hazzard, eine Vokalistin«. Jene Angehörigen der Elite, mit denen wir sprachen, begrüßten uns knapp, aber mit auserlesener Höflichkeit. Während wir (ein wenig befangen, was Calyxa und mich betraf) durch diesen Mob aus fröhlichen Eupatriden schlenderten, zeigte sich zum ersten Mal der Präsident der Vereinigten Staaten.

Er betrat nicht die Empfangshalle, sondern begrüßte uns von einer Empore am Kopf einer Treppe, hinter sich eine Phalanx finsterer Gardisten, die den Eindruck machten, als würden sie sich am liebsten über die Etikette hinwegsetzen und ihre Waffen, die sie zweifellos bei sich trugen, auf die Menge richten. Jedes Wort erstarb, auch das letzte Gesicht wandte sich Deklan dem Eroberer zu.

Die Münzen, dachte ich, wurden ihm nicht gerecht. Oder umgekehrt. Er sah jedenfalls nicht so gut aus wie sein Abbild, aber irgendwie imponierender. Es stimmte, dass er ein bisschen so wie Julian aussah, wie Julian ohne den faserigen strohblonden Bart. Eigentlich sah er so aus wie ein um Jahre gealterter und nicht mehr ganz zurechnungsfähiger Julian.

Ich sage das nicht, um den Präsidenten herabzusetzen. Wahrscheinlich konnte er nichts dafür, dass er so aussah, wie er aussah. Seine Gesichtszüge waren nicht unregelmäßig; aber die schmalen Augen, die Hakennase und das ständige, gewinnende Grinsen hatten etwas von Wahnsinn. Wohlgemerkt, ich rede nicht von einer ausgeprägten Geistesstörung, sondern von jener tückischen Spielart des Wahnsinns, die am Rande geistiger Gesundheit herumtändelt und auf den richtigen Augenblick wartet.

Ich sah, wie Julian beim Anblick seines Onkels zusammenfuhr. Neben mir holte Mrs. Comstock stockend Luft.

Der Präsident trug den obligaten schwarzen Anzug, der an eine Uniform erinnerte, ohne eine zu sein. Die Medaillen an seiner Brust unterstrichen diese Wirkung. Er hob den Arm und bewegte die gespreizte Hand hin und her, immerzu lächelnd. Er hieß seine Gäste willkommen, dankte ihnen für ihr Erscheinen und bedauerte, sie nicht persönlich aufsuchen zu können, ermutigte sie aber, sich an den Erfrischungen gütlich zu tun. In Kürze werde das Dinner serviert, sagte er, anschließend würde in der Haupthalle zum Tanz aufgespielt, es gebe weitere Erfrischungen und schließlich ein Feuerwerk über der Great Lawn. Danach werde er eine Rede halten. Es sei ein stolzer Tag für die Nation, sagte er, und wir sollten ihn aufrichtig und nach Kräften feiern. Dann verschwand er hinter einem purpurroten Vorhang.

Er zeigte sich erst wieder nach dem Dinner.

Als wir in den Speisesaal geschleust wurden, fanden wir, dass uns an den langen Tischen bestimmte Plätze zugewiesen waren, kenntlich gemacht durch verspielte Namensschildchen. Calyxa und ich saßen zusammen, aber ziemlich abgeschieden von Sam, Mrs. Comstock und Julian. Wie das Pech es wollte, saßen wir ausgerechnet Nelson Wieland gegenüber, dem brutalen Industriellen, der draußen einen so widerlichen Eindruck auf Calyxa gemacht hatte. Neben ihm saß ein ähnlich alter Mann in Seide und Wollstoff, der uns als Mr. Billy Palumbo vorgestellt wurde.

Als Erstes wurde eine Kürbissuppe gereicht. Die Unterhaltung beim Essen ergab, dass Mr. Palumbo Landwirt war und einige Ländereien im oberen Bundesstaat New York besaß; dort bauten seine Abhängigen weiße Bohnen und Mais für den Absatz in der Stadt an.

Mr. Wieland kritisierte die Suppe und behauptete, sie sei zu dick.

»Ich kann mich nicht beschweren«, erwiderte Mr. Palumbo. »Ich mag eine gehaltvolle Suppe. Mögen Sie überhaupt Suppe, Mrs. Hazzard?«

»Ich finde, sie schmeckt gut«, sagte Calyxa gleichmütig.

»Mehr als gut«, setzte ich hinzu. »Ich wusste nicht, dass man einen gewöhnlichen Kürbis so köstlich zubereiten kann — dass es überhaupt welche gibt in dieser Jahreszeit.«

»Ich habe bessere Kürbissuppe gegessen«, sagte Wieland.

Einmal in Gang, hielt die kulinarische Diskussion während des ganzen Dinners an. Gedünstete Zwiebeln wurden serviert — nicht gar oder zu gar? Medaillons vom Lamm — für Palumbo waren sie zu blutig. Die Kartoffeln: ausgesucht jung. Der Kaffee: zu stark für Mr. Wieland. Und so fort.

Als das Dessert serviert wurde — wintergrünes Eis, für mich etwas Neues —, schien Calyxa so weit zu sein, ihre Portion über den Tisch zu schleudern, falls Palumbo und Wieland nicht endlich das Thema wechselten. Stattdessen katapultierte sie eine andere Art von Geschoss über den Tisch. »Essen Ihre Abhängigen auch so gut, Mr. Palumbo?«, fragte sie unvermittelt.

Die Frage überraschte Palumbo. »Na ja, wohl kaum«, sagte er. Er lächelte. »Man stelle sich vor, sie bekämen Eis zum Nachtisch! Da wären sie ja bald zu dick zum Arbeiten.«[66]

»Und wenn sie nun fleißiger wären, weil sie sich den ganzen Tag auf das gute Essen freuen könnten?«

»Das bezweifle ich sehr. Sind Sie eine Radikale, Mrs. Hazzard?«

»Ich würde mich nicht so nennen.«

»Freut mich zu hören. Mitgefühl ist eine gute Sache, aber gefährlich, wenn es unangebracht ist. In den vielen Jahren, da ich die Abhängigen beobachten konnte, habe ich eines gelernt: Man muss sie hart anfassen, und zwar immer. Freundlichkeit halten sie für Schwäche. Und Schwäche wird sofort ausgenutzt. Sie sind berüchtigt für ihre Faulheit und erfinderisch, wenn es darum geht, ihr Raum zu verschaffen.«

»Meine Rede!«, warf Mr. Wieland ein. »Der Diener zum Beispiel, den ich vor Ihren Augen gezüchtigt habe. ›Was ist schon ein gebrochenes Rad‹, werden Sie denken. Aber lässt man es durchgehen, sind es morgen zwei gebrochene Räder oder zehn.«

»Ja, das ist die Logik dahinter«, sagte Palumbo.

»Logik«, erwiderte Calyxa, »wenn Sie das zu Ende denken, heißt das doch, dass Menschen, die gegen ihren Willen arbeiten, nicht die besten Arbeiter sind.«

»Mrs. Hazzard! Menschenskind!«, rief Palumbo. »Wenn die Abhängigen träge sind, dann nur, weil sie ihr Glück nicht zu schätzen wissen. Haben Sie den beliebten Film Eula’s Choice gesehen?«

»Ja, aber ich sehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat.«

»Der Film erhellt knapp und präzise den Ursprung dieses Arbeitsverhältnisses. Gegen Ende der Falschen Drangsal wurde ein Pakt geschlossen, und die Modalitäten gelten bis auf den heutigen Tag.«

»Sie glauben an die Erbschuld, Mr. Palumbo?«

»Erbschuld ist ein Begriff der Radikalen. Sie sollten vorsichtiger sein in der Auswahl Ihrer Lektüre, Mrs. Hazzard.«

»Es ist eine Frage des Eigentums«, warf Wieland dazwischen.

»Ja«, sagte Calyxa, »denn die Abhängigen haben nicht nur keines — sie sind selbst Eigentum.«

»Aber nicht doch. Sie diffamieren ja die Menschen, die Sie verteidigen wollen. Selbstverständlich haben die Abhängigen Eigentum. Sie besitzen ihren Leib, ihre Fertigkeiten, wenn sie denn welche haben, und ihre Arbeitsfähigkeit. Wenn es so aussieht, als würden sie diese Dinge nicht besitzen, dann nur, weil sie diese Dinge bereits verkauft haben. Wie in dem Film, den Mr. Palumbo erwähnte. Flüchtlinge aus den zugrunde gegangenen Städten tauschten in einer schwierigen Zeit ihr einziges Hab und Gut — Hand, Herz und Stimme — gegen Nahrung und gegen ein Dach über dem Kopf.«

»Ein Mensch sollte sich nicht verkaufen dürfen«, sagte Calyxa, »schon gar nicht sein Stimmrecht.«

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66

Das war Palumbo schon lange — wobei ich niemandem seinen Leibesumfang vorwerfe.