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»Dann will ich Sie nicht weiter kränken mit …«

»Laster würden mich kränken, Diakon Hollingshead, aber nicht ihre Beschreibung. Wie soll man ein Problem aus der Welt schaffen, das man nicht beim Namen nennt?«

Sie köderte ihn; doch Hollingshead war zu rechtschaffen oder zu betrunken, um es zu bemerken. »Homosexualität«, sagte er verhalten. »Wissen Sie, was das Wort bedeutet, Mrs. Hazzard?«

»Die Rede von solchem Verhalten ist mir bisweilen zu Ohren gekommen. Ist Ihre Tochter …?«

»Gott bewahre! Nein. Marcy ist ein Musterkind. Einundzwanzig ist sie jetzt. Aber weil sie noch nicht verheiratet ist, zieht sie die Aufmerksamkeit einer Liga entarteter Frauen auf sich.«

»In Colorado Springs!«

»Ja, stellen Sie sich vor! Und das Problem ist einfach nicht auszurotten.«

»Was haben Sie denn unternommen?«

»Sowohl die Stadtpolizei als auch der investigative Arm des Dominions sind auf die Sache angesetzt. Unnötig zu sagen, dass ich Marcy auf Schritt und Tritt bewachen lasse — sie weiß natürlich nichts davon.«

»Halten Sie es wirklich für eine gute Idee, die eigene Tochter zu bespitzeln?«

»Sicher! Wenn es zu ihrem Besten ist.«

»Ist es das?«

»Die Überwachung hat Marcy mehr als einmal vor dem Verderben bewahrt. Marcy scheint nicht ausgehen zu können, ohne zufällig in irgendeine Lasterhöhle zu geraten. Sicher, wenn wir so ein Etablissement entdecken, wird es geschlossen. Mehr als eine von diesen entarteten Frauen hat versucht, sich bei Marcy anzubiedern. Sie wurden verhaftet und verhört.«

»Verhört — wozu?«

»Weil mehr dahintersteckt als Zufall«, sagte der beschwipste Diakon. »Bestimmt hat es irgendeine Gruppe von Abweichlern auf meine Tochter abgesehen. Die Verhöre sollten solche Verbindungen aufdecken.«

»Und — hat sich die Anstrengung gelohnt?«

»Leider nein. Nicht einmal unter extremen Bedingungen wollen diese Frauen zugeben, dass ihr Interesse an Marcy eine abgekartete Sache ist. Sie behaupten stur und steif, nichts von einer Verschwörung zu wissen.«

»Vernehmungen sind doch im Allgemeinen nicht so fruchtlos, oder?« Daran, wie Calyxa die Röte ins Gesicht stieg, konnte ich ablesen, wie sehr sie den Enthusiasmus des Diakons zu schätzen wusste, mit dem er sich des vertrackten Themas von Laster und Folter annahm.

»Nein, da haben Sie Recht. Unsere Ermittler wissen, wie man verstockten Individuen die Wahrheit entlockt — das Dominion schult sie intensiv darin.«

»Wie erklären Sie sich dann, dass Ihre Leute in diesem Fall versagen?«

»Die Wurzeln des Lasters reichen in ungeahnte Tiefen und bedienen sich aus mysteriösen Quellen — Licht schadet ihm, und es scheut instinktiv davor zurück«, sagte der Diakon verbittert.

»Und es keimt im eigenen Heim«, sagte Calyxa und fügte mit gesenkter Stimme hinzu: »On aurait peut-être de torturer votre fille, aussi.«

Ich erwartete, dass Diakon Hollingshead diese unverständliche Bemerkung übergehen würde. Tat er aber nicht. Stattdessen nahm er die Schultern zurück und straffte sich. Seine Miene hatte sich verhärtet.

»Je ne suis ni idiot ni inculte, Mrs. Hazzard«, sagte er. »Si vous vous moquez de moi, je me verrai dans l’obligation de lancer un mandat d’arrêt contre vous.«

Ich wusste nicht, was die Entgegnung bedeutete, sah aber, wie Calyxa die Farbe wechselte und einen Schritt zurückwich.

Der Kirchenmann sah mich an und lächelte wieder — nicht ganz ungezwungen, wie mir schien. »Noch einmal meine Anerkennung, Mr. Hazzard. Ihre Arbeit ehrt Sie. Sie werden Karriere machen. Hoffentlich kommt nichts dazwischen.« Er schlürfte einen Schluck aus seinem Glas und ging.

Ich möchte nicht, dass der Leser den Eindruck gewinnt, alle Eupatriden, denen wir auf dem präsidialen Empfang begegneten, seien Flegel oder Tyrannen gewesen. Viele, vielleicht die meisten, waren durchaus angenehme Zeitgenossen. Mehrere besaßen eine Jacht, und ihren lebhaften Gesprächen über nautische Dinge hörte ich mit Vergnügen zu — dabei hätte ich kein Großsegel reffen können, auch wenn mein Leben davon abgehangen hätte.

Mrs. Comstock kannte eine Reihe von Damen. Viele staunten, sie hier zu sehen, so lange nach dem Tod ihres Gatten. Doch sie waren die Launen präsidialer Gunst gewöhnt und nahmen die Schwägerin des Präsidenten geschwind wieder auf.

Sam verbrachte seine Zeit beim militärischen Kontingent, das heißt bei einer Handvoll angesehener Generäle und Generalmajore. Vermutlich taxierte er ihre Einstellung zum Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte und versuchte herauszufinden, was dieser Oberbefehlshaber mit Julian im Sinn hatte. Aber das alles ging über meinen Horizont. Julian selbst unterhielt sich mit einem, wie er mir sagte, echten Philosophen: einem Professor für Kosmologie an der neu reformierten Universität von New York. Dieser Mann, sagte Julian, habe sich viele interessante Theorien über die Lichtgeschwindigkeit, den Ursprung der Sterne und ähnlich gehaltvolle Dinge ausgedacht. Aber er stünde unter der Fuchtel des Dominions und könne den Diskurs nicht so frei führen, wie er es sich wünsche. Immerhin erfreue sich der Mann eines gewissen Zugangs zum Archiv des Dominions und ergehe sich in Andeutungen über die künstlerischen und wissenschaftlichen Schätze, die dort verborgen lägen.

Die allgemeine Ausgelassenheit, angefacht durch Traubenwein und Ähnliches, erreichte bald einen neuen Höhepunkt. Die Musiker hatten den Ballsaal verlassen; nach Calyxa waren sie draußen hinter den Stallungen und rauchten Hasch, kehrten aber relativ aufgeräumt und guter Dinge zurück, gerade als Deklan Comstock sich zum dritten Mal auf einem seiner marmorierten Balkone zeigte.

Diesmal hieß er namentlich die Erlauchtesten unter den Anwesenden willkommen, darunter den Senatssprecher Diakon Hollingshead, mehrere prominente Großgrundbesitzer und den Leiter der Bundesgesundheitsbehörde sowie den chinesischen und den japanischen Botschafter (die sich von entgegengesetzten Seiten des Saals beäugten). Dann lächelte er sein ungesundes Lächeln und sagte: »Unter uns ist auch mein geliebter Neffe Julian Comstock, heimgekehrt von seinen Abenteuern, die er bei der Verteidigung der Vereinigten Staaten in Labrador erlebt hat, sowie sein gefeierter Biograf, Mr. Adam Hazzard, und sein früherer Lehrer, Sam Godwin.«

Ein Schauder jagte mir den Rücken hoch. Meinen Namen aus dem Mund dieses Mannes zu hören ging mir an die Nieren.

»Mr. Hazzard«, fuhr der Präsident fort, »ist ein großes und scharfsinniges Talent der schreibenden Zunft, und neulich kam mir zu Ohren, dass auch seine Gattin talentiert ist. Mrs. Hazzard ist Sängerin, und da kommt mir in den Sinn, ob sie uns nicht mit einer Ballade oder Ähnlichem erfreuen könnte — jetzt, da die Kapelle sich aufgewärmt hat. Mrs. Hazzard!« Er tat so, als ob er die Augen beschatten müsse. »Mrs. Hazzard, wären Sie so freundlich, die anwesenden Herrschaften zu unterhalten?«

Calyxas Kinn stand grimmig vorgeschoben — jetzt wollte Deklan Comstock sie demütigen und indirekt Julian, indem er sie als Varietésängerin entlarvte — andererseits traute sie sich nicht, die präsidiale Bitte auszuschlagen. »Halt mein Glas, Adam«, sagte sie kategorisch[68]; dann kletterte sie auf das Podium, wo die Musiker in Positur standen.

Diese Entwicklung überraschte den Kapellmeister genauso. Er sah sie verdutzt an, erwartete vielleicht, dass sie ihm einen vertrauten Liedtitel nannte — Where the Sauquoit Meets the Mohawk oder ein ähnlich seriöses Stück.

Doch Calyxa tat nie, was man von ihr erwartete, besonders nicht auf Zuruf eines Tyrannen wie Deklan Comstock. Sie ließ ihren Blick über das Meer eupatridischer Gesichter schweifen. Es war ein hochnotpeinlicher Augenblick. Sie sagte nichts, lächelte auch nicht, lüftete nur ihren aufgebauschten Rock und begann mit dem rechten Fuß zu stampfen. Das amüsierte einige Aristokraten, und es enthüllte ihre unvorteilhaften Fesseln; aber es lieferte einen knappen, martialischen Takt, den der Schlagzeuger alsbald aufnahm.

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68

Calyxa hatte den Champagner nicht so konsequent gemieden wie ich.