Aus unerfindlichen Gründen jagte mir der vielhundertfache Ruf »Julian der Eroberer« einen schmerzlichen Schauder über den Rücken. Ich fror mit einem Mal. Doch Julian lächelte nur und nahm den Titel hin, als stünde er ihm zu.
2
Die Schlacht um Goose Bay ist schon oft beschrieben worden, und ich will den Leser nicht mit Einzelheiten unserer Manöver ermüden noch die Details jener tragischen Tage nachzeichnen.
Ich ritt in der vordersten Reihe. Nicht weit vor mir ritt Julian. Ein Vogel, der aus der kalten, niedrigen Morgensonne gekommen wäre, hätte unser Heer für einen gewaltigen Lindwurm gehalten. Julian ritt auf einem muskulösen, grau und weiß gesprenkelten Hengst an der Spitze, die Flagge des Feldzugs trug ein berittener Adjutant direkt hinter ihm.[77] Die Straße von Striver nach Goose Bay hätte nicht besser sein können; sie war nach Art der Deutschen gepflastert, so dass unsere Karren und Munitionswagen nicht stecken blieben, auch wenn das Land ringsum aus lauter vereisten Mooren, zerklüftetem Fels und Fichtengehölzen bestand. Wann immer der Weg etwas anstieg, blickte ich zurück auf die mächtige Schlange aus Männern, Maultieren und Planwagen. Der Anblick machte Mut; und sollten wir uns an diesem Morgen für unbesiegbar gehalten haben, so war dieser Irrtum (vielleicht) verständlich.
Die Kavallerie bildete die Vorhut, und in unregelmäßigen Abständen kehrte ein Reiter zurück und machte Meldung. Wir kamen gut voran, bis die Kavallerie am frühen Nachmittag erste Berührung mit feindlichen Vorposten hatte und es zu leichten Scharmützeln kam.
Fast gleichzeitig wurden wir von kleinen Gruppen deutscher Reiter angegriffen, die sich bestens in den Wäldern und Mooren auskannten. Das alles hielt sich in Grenzen — ein paar Schüsse aus sicherer Deckung, ein paar scheuende Pferde, ein paar Leichtverletzte. Das eine oder andere Regiment machte kurzen Prozess mit den Angreifern oder konnte sie verjagen. Wenn diese Flohbisse auch keinen großen Schaden anrichteten, so kosteten sie uns doch Zeit.
Julian und seine Kommandeure sorgten für Ruhe und Ordnung. Unser Operationsziel war eine niedrige Hügelkette; Julian nahm an, dass dort der Hauptteil des deutschen Heeres lagerte. Unsere Kundschafter konnten diese Vermutung schon bald bestätigen. In den Außenbezirken der Stadt Goose Bay nähmen die deutschen Schützengräben die Zugangsstraße in die Zange. Die Stellungen seien gut gewählt und die Deutschen daraus zu vertreiben sei sicher nicht einfach.
Knapp außer Reichweite ihrer Feuerstellungen schlugen wir unser Nachtlager auf. Die Infanteristen gruben Löcher, wo der Boden es erlaubte; und nach Einbruch der Dunkelheit, bei schwachem Mondschein, schleppten die Artilleristen ihre Geschütze nach vorn.
Sobald der Mond untergegangen war, zitterte ein zartes blaues Nordlicht am Himmel. Die Temperatur fiel, und der Atem der Schlafenden stieg empor wie leuchtender Rauch. Am Morgen begann die Schlacht.
Julian hatte sich eingehend mit den strategischen Feldmanövern von Armeen befasst und sich vergewissert, dass seine Regimentskommandeure der Aufgabe gewachsen waren, seine Befehle zu verstehen und in die Tat umzusetzen. Obwohl er nicht direkt am Kampfgeschehen teilnahm und in seinem Kommandozelt blieb — wie übrigens Sam und ich auch —, studierte er pausenlos Karten, während unentwegt Boten ein und aus gingen.
Den ganzen Morgen krachte die Artillerie, ihre und unsere.
Wir waren in der Minderheit; aber die Deutschen waren längst nicht so gut aufgestellt wie wir. Da sie nicht wussten, wie Julian angreifen würde, hatten sie ihre Flanken verstärkt und ihre Mitte vernachlässigt. Julian verwirrte sie durch Scheinangriffe auf beiden Seiten und sparte seine schweren Geschütze für einen Frontalangriff auf. Der begann mittags und war blutig. Wir verloren nahezu tausend Mann in der Schlacht, die später den Namen Goose Gap bekam, und weitere fünfhundert Verstümmelte und andere Schwerverletzte wurden mit Dominion-Wagen abtransportiert. Bei Einbruch der Dunkelheit ähnelte das Schlachtfeld dem Abfalleimer einer Förderklasse für unfähige Schlachter. Ich will die Gerüche nicht beschreiben, die um sich griffen.
Sobald wir den Mitteleuropäern so nahe gekommen waren, dass unsere Grabenfeger zum Tragen kamen, flohen sie wie die Hasen aus ihren Stellungen. Wir machten Dutzende von Gefangenen, und nachdem wir vereinzelte Widerstandsnester ausgeschaltet hatten, gehörte der Tag uns. Wir hatten die niedrige Hügelkette genommen, das Einfallstor nach Goose Bay, und beeilten uns, die bislang deutschen Befestigungen zu besetzen und zu verstärken. Der deutsche Oberkommandierende bat unter der weißen Flagge, seine Toten und Verwundeten bergen zu dürfen. Es war traurig mit anzusehen, wie fremde Soldaten mit Handkarren zwischen den Leichen umherirrten, begleitet vom Stöhnen und Stammeln der Sterbenden. (Und sollte zufällig der Gefreite Langers zugegen sein, so sah er seine Felle davonschwimmen.)
Julian verlegte seinen Kommandostand samt Feldflagge auf eine Anhöhe, von der aus man die Hafenstadt und die Überlebenden des deutschen Heers im Blick hatte; Letztere spulten in Windeseile Stacheldraht ab und errichteten Drahtverhaue, um zu verhindern, dass wir Goose Bay im Handstreich besetzten. Julian nutzte den Überblick, um seine Karten zu bearbeiten, und noch zu vorgerückter Stunde brütete er im Laternenschein über ebendiesen Karten. Meine Schreibmaschine war in einem Planwagen hierher geschafft worden — zusammen mit Zelt und Zubehör des mobilen Hauptquartiers —, und ich saß in einer Ecke des geräumigen Zeltes und brachte die Ereignisse dieses denkwürdigen Tages zu Papier. Schließlich wollten mir die Augen zufallen; aber bevor ich ging, um mich aufs Ohr zu hauen, sagte ich noch zu Julian, dass wir einen großen Sieg errungen hätten und er endlich mal Pause machen solle.
»Ich kann mir keine Pause leisten«, meinte er und rieb sich die Augen. Er kam mir schmal vor, schmal und verstört. Er tat mir leid. Vielleicht ist es ungerecht, Mitleid mit einem Generalmajor zu haben, der nicht einen einzigen Schuss abgegeben hatte, an einem Tag, an dem weit über tausend Männer in seinem Namen Leib und Leben geopfert hatten. Doch ich hatte den Eindruck, als habe Julian die Ängste und Qualen jedes einzelnen seiner Soldaten durchlebt und jeden einzelnen Verlust, als hätten sich die Kugeln in seinen eigenen Körper gebohrt. Er identifizierte sich mit seinen Männern und war immer darauf bedacht, dass sie genug zu essen hatten und ausgeruht waren, und das hatte dazu beigetragen, ihn so beliebt zu machen unter den Männern; doch jetzt zahlte er mit Skrupel und Gram dafür.
»Natürlich kannst du dir eine Pause leisten«, sagte ich sanft. »Danach bist du ein besserer Offizier.«
Er erhob sich von seinem Klapptisch und reckte sich, und wir gingen zusammen ins Freie. Ohne die Wärme des tragbaren Ofens war es bitterkalt, und die feindlichen Feuerstellen in den Niederungen nahmen sich aus wie schwelende Kohlestücke.
»Das alles haben wir gewonnen«, sagte ich.
»Mit dem, was ich sehe, bin ich zufrieden«, sagte Julian. »Abgesehen von den vielen Toten. Sorge macht mir das, was ich nicht sehe.«
»Na ja, es ist immerhin dunkel … was siehst du nicht?«
»Zum Beispiel die Kavallerieabteilung, die ich losgeschickt habe, um hinter den feindlichen Linien Gleise zu zerstören. Nicht ein Mann hat sich zurückgemeldet. Wenn die Zugverbindung mit Goose Bay intakt bleibt, wird bald schon Verstärkung kommen, Verstärkung ohne Ende.«
»Es ist nicht so einfach, Schienen zu verbiegen oder Brücken zu sprengen. Die Kavallerie ist noch nicht so weit, das ist alles.«
77
Julian hatte die Flagge des Goose-Bay-Feldzugs selbst entworfen. Sie zeigte einen roten Stiefel vor einem gelben Himmelskörper mit einem gestirnten schwarzen Himmel. Der Leitspruch sagte: WE HAVE STEPPED UPON THE MOON. Die meisten Soldaten sahen darin eher eine Sage als eine historische Tatsache; aber es war eine erfrischende Parole, die dem Feind zu verstehen gab, dass wir Meister im Draufrumtrampeln waren und er der Nächste sein könnte, auf dem wir es taten.