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Im Sommer darauf, vielleicht schon anfangs September. Der Vater einer Bekannten war gestorben, einer Stüssi-Moosi. Sie war vor etwa fünfzehn Jahren unsere Hausangestellte gewesen. Sie meldete mir, der Hof ihres Vaters sei zu verkaufen. Ich kannte den Hof. Er war alt und halb zerfallen. Ich war entschlossen, ihn zu kaufen. Die Aussicht beeindruckend. Unten das Stüssital mit Stüssikofen, dann Flötigen, die Hochalpen. Hinter dem Hof steil abfallend eine Fluh. Das Dorf ein Nest, noch nicht in den eigentlichen Alpen gelegen. Alte Häuser. Eine Kapelle. Hin und wieder predigt der Pfarrer von Flötigen. Ein Gasthof. Erstaunlich, daß es noch Dörfer ohne Fremdenverkehr gibt. Zu verhandeln hatte ich mit dem» Fürsprecher«, wie man dort einen Rechtsanwalt nennt. Er bewohnte ein Zimmer im Gasthof >Zum Leuenberger<, wickelte seine Geschäfte in der Gaststube ab. Zwischen Bauern als Zuhörer. Er schien mehr eine Art Dorfrichter zu sein, schlichtete, als ich ankam, eine Schlägerei. Ein Bauer mit verbundenem Kopf zog fluchend davon. Der Fürsprecher ist nachträglich schwer zu beschreiben. Etwa gegen Fünfzig. Er konnte auch wesentlich jünger sein. Schwerer Alkoholiker. Trank Bäzi, einen Schnaps, den man anderswo Obstler nennt. Er wirkte bucklig, ohne es zu sein. Griesgrämig. Das Gesicht aufgedunsen, nicht unedel. Die Augen wasserblau, rot unterlaufen. Meistens listig, oft verträumt. Er versuchte mich zu betrügen. Er verlangte den doppelten Preis, den mir die ehemalige Hausangestellte angedeutet hatte. Erzählte komplizierte Geschichten über Schwierigkeiten mit dem Gemeinderat von Stüssikofen. Er schwafelte über ungeschriebene Gesetze. Er nannte den Hof verhext, der Stüssi-Moosi-Bauer habe sich erhängt. Jeder Stüssi-Moosi-Bauer habe sich erhängt. Die Bauern hörten mit einer unverschämten Offenheit zu, mimten Sich-Erhängen, als er von den erhängten Bauern sprach, hoben die rechte Hand über den Kopf, als zögen sie an einem Strick, verdrehten die Augen, streckten ihre Zungen heraus. Ich begriff, daß der Fürsprecher mich nicht betrügen, sondern den Kauf des Hofs verhindern wollte — dafür betrog er später die Familie unserer ehemaligen Hausangestellten. Er verkaufte den Hof zu einem Spottpreis an einen Stüssi-Sütterlin. Als er spürte, daß mein Interesse am Hof nachließ, mehr durch die Feindseligkeit der Bauern als durch seine Ausflüchte, wurde er leutselig. Allerdings war er nun betrunken. Doch nicht unangenehm. Im Gegenteil. Er wurde witzig. Wenn auch auf eine bissige Weise. Er begann zu erzählen. Die Bauern rückten zusammen. Sie feuerten seine Erzählung an. Offenbar kannten sie seine Geschichten. Sie hörten ihm zu, wie man einem Märchenerzähler zuhört. Er behauptete, er sei in der größten Stadt unseres Landes ein berühmter Anwalt gewesen. Scheißberühmt, wie er sich ausdrückte. Er habe Geld wie Heu verdient. Mit den Großbanken, mit den reichen Familien der Stadt. Aber die liebsten Klienten seien ihm die Prostituierten gewesen.»Seine Huren«, wie er sich ausdrückte. Er erzählte unzählige Schnurren. Besonders über einen» Orchideen-Noldi«. Die meisten hielt ich für erfunden. Aber ich war gefesselt.