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TracybekamBesuch von Otto Schmidt. Er schien in den Stunden, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte, um Jahre gealtert zu sein.

«Ich wollte Ihnen nur sagen, wie schrecklich leid es uns tut, meiner Frau und mir. Wir wissen genau, es war nicht Ihre Schuld.«

Wenn Charles das nur gesagt hätte!

«Wir werden morgen frühbei derBeerdigung von Mrs. Doris sein.«

«Vielen Dank, Otto.«

Morgen früh werden wirbeidebegraben, dachte Tracy. Sie tot, ich lebendig.

Tracy verbrachte die Nacht hellwach. Sie lag auf ihrer schmalen Pritsche und starrte gegen die Decke. Immer und immer wieder rief sie sich das Gespräch mit Charles in Erinnerung. Er hatte ihr nicht einmal die Chance gegeben zu

erklären, was passiert war.

Tracy dachte über das Kind nach. Sie hatte von Frauen gelesen, die im Gefängnis ein Kindbekamen. Aber diese Geschichten hatten mit ihrem Leben so wenig zu tun gehabt, daß es war, als seien esBerichte über Wesen von einem fremden Stern. Und nun geschah es ihr selbst. Mach mit deinem Kind, was du für richtig hältst, hatte Charles gesagt. Sie wollte das Kind haben. Aber sie werden es mir nicht lassen, dachte Tracy. Sie werden es mir wegnehmen, weil ich die nächsten fünfzehn Jahre im Gefängnisbin. Es istbesser, wenn das Kind nie erfährt, wer seine Mutter ist.

Und dann weinte sie.

Um sechs Uhr morgens traten ein Wärter und eine Aufseherin in Tracys Zelle.»Tracy Whitney?«

«Ja. «Es erstaunte sie, wie seltsam ihre Stimme klang.

«Auf Anordnung des Kriminalgerichts des Staates Louisiana in New Orleans werden Sie nunmehr in das Southern Louisiana Penitentiary for Women überführt. Dann wollen wir mal, Baby.«

Tracy wurde einen endlosen Korridor entlanggeführt, an überbelegten Zellen vorbei. Pfiffe gellten.

«Gute Reise, Süße…«

«He, Tracy, sagst du mir, wo du dasBild versteckt hast? Ich teil mir dann die Kohle mit dir…«

«Frag nach Ernestine Littlechap, wenn du in denBau kommst. Bei derbist du echt gut aufgehoben…«

Tracy ging an dem Telefon vorbei, von dem aus sie Charles angerufen hatte. Lebwohl, Charles.

Sie trat in einen Hof. Ein gelberBus mit vergitterten Fenstern stand wartend da. Ein halbes Dutzend Frauen saß, von zweibewaffneten Wärternbewacht, bereits imBus. Tracy schaute sich die Gesichter der Frauen an. Die einen hatten etwas Trotziges, die anderen trugen einen gelangweilten Ausdruck

zur Schau, wieder andere sahen verzweifelt aus. Ihrbisheriges Leben würdebald zu Ende sein. Sie waren Ausgestoßene, sollten in Käfige gesperrt werden wie wilde Tiere. Tracy fragte sich, welche Verbrechen siebegangen hatten, und obeine unter ihnen war, die so unschuldig war wie sie. Und sie überlegte sich, was diese Frauen in ihrem Gesicht sahen.

Die Fahrt zog sich endlos hin. Es war heiß und stickig imBus, aber Tracy merkte nichts davon. Sie hatte sich in sich selbst zurückgezogen und war in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort.

Sie war ein kleines Mädchen, am Strand mit ihren Eltern, und ihr Vater trug sie auf seinen Schultern ins Meer. Sie schrie, aber ihr Vater sagte: Dubist doch keinBaby mehr, Tracy. Er ließ sie ins kalte Wasser fallen. Sie ging unter, geriet in Panik und erstickte fast. Ihr Vater hobsie aus den Wellen und ließ sie wieder hineinfallen. Seit damals hatte sie schreckliche Angst vor Wasser…

Die Aula des Colleges war dichtbesetzt: Studenten, Eltern, Verwandte. Tracy hielt die Abschiedsrede. Sie sprach fünfzehn Minuten, und ihre Rede war voll von hochfliegendem Idealismus, klugen Verweisen auf die Vergangenheit und strahlenden Zukunftsträumen…

Ich gehe nach Philadelphia, Mutter. Meine Freundin Annie kann mir da einenBankjobvermitteln…

Charles schlief mit ihr. Siebeobachtete diebewegten Schatten an der Zimmerdecke und dachte: Wieviel Frauen würden sich danach sehnen, an meiner Stelle zu sein? Charles war eine erstklassige Partie. Und sie hatte sofort Schuldgefühle für diesen Gedanken. Sie liebte Charles. Sie spürte ihn in sich, erbewegte sich schneller, schneller und drängender, kurz vor dem Höhepunkt, und er keuchte: Bist du soweit? Und sie log und sagte ja. War es schön für dich? Ja, Charles. Und sie dachte: Ist das alles? Und wieder

Schuldgefühle…

«He, du! Ich rede mit dir! Bist du taub? Es geht los. «Tracyblickte auf und fand sich in dem gelbenBus wieder, der auf einem Hof stand. Ringsum düsteres Gemäuer. Neun hintereinander gestaffelte, oben mit Stacheldraht versehene Zäune umgaben die fünfhundert Morgen Farmland und Wald, die zum Gelände des Southern Louisiana Penitentiary for Women gehörten.»Steig aus«, befahl der Wärter.»Wir sind da.«

5

Eine stämmige Aufseherin mit hartem Gesicht und rötlich gefärbten Haaren hielt eine kurze Ansprache an die neuen Häftlinge:»Einige von euch werden viele Jahrebei unsbleiben. Zu schaffen ist das nur, wenn ihr die Außenwelt total vergeßt. Ihr könnt's euch leichtmachen, und ihr könnt's euch schwermachen. Wir haben hier Vorschriften, und an die habt ihr euch zu halten. Wir sagen euch, wann ihr aufstehen, arbeiten, essen und auf die Toilette gehen sollt. Wenn ihr euch nicht an die Vorschriften haltet, werdet ihr esbitterbereuen. Wir haben hier gern unsere Ruhe, und wir wissen genau, wie man mit Leuten umgeht, die Ärger machen. «Ihre Augen wanderten mit einer ruckartigenBewegung zu Tracy.»Ihr werdet jetzt gleich vom Gefängnisarzt untersucht. Danach geht ihr unter die Dusche. Und dann werdet ihr in eure Zellen eingewiesen. Morgen früh teilen wir euch zur Arbeit ein. Das wär's. «Sie drehte sich um.

Einblasses, junges Mädchen, das neben Tracy stand, sagte:»Entschuldigung, könnte ichbitte…«

Die Aufseherin wirbelte herum. Ihr Gesicht war verzerrt vor Wut.»Halt dein dreckiges Maul. Du redest nur, wenn du gefragt wirst, ist das klar? Das gilt für euch alle, ihr Arschlöcher.«

Tracy war entsetzt über diesen Ton. Die Aufseherin winkte zwei Wärterinnen am anderen Ende des Raumes.»Bringt diese Nutten mal raus hier.«

Tracy wurde mit den anderen aus der Tür geführt. Dann ging es durch einen langen Korridor, und schließlich wurden die Frauen in einen großen, weiß gekachelten Raum geleitet, in dem ein Untersuchungstisch stand. Daneben ein dicker Mann

in mittleren Jahren, der einen dreckigen Arztkittel trug.

Eine Aufseherin rief:»Antreten!«Die Frauen stellten sich in einer Reihe auf.

Der Mann im Arztkittel sagte:»Ichbin Dr. Glasco, meine Damen. Ausziehen.«

Die Frauenblickten einander unsicher an. Dann fragte eine:»Wie weit sollen wir uns denn…«

«Wißt ihr nicht, was ausziehen heißt, verdammt noch mal? Kleider runter! Und zwar alle!«

Die Frauenbegannen langsam, sich auszuziehen. Einige waren geniert, einige empört, andere gleichgültig. Links von Tracy stand eine Frau Ende Vierzig, die am ganzen Leibzitterte, rechts von Tracy ein erbarmenswert mageres Mädchen, das so aussah, als sei es nicht älter als siebzehn Jahre. Ihre Haut war mit Pickeln übersät.

Der Arzt winkte der ersten Frau in der Reihe.»Legen Sie sich auf den Tisch und stecken Sie die Füße in diebeiden Schlaufen.«

Die Frau zögerte.

«Na, nun machen Sie schon. Sie halten den ganzenBetriebauf.«

Die Frau legte sich auf den Tisch, und der Arzt führte ihr ein Spekulum in die Vagina ein.»Sind Sie geschlechtskrank?«fragte er.

«Nein.«

«Wir werden'sbald wissen.«

Die nächste Frau legte sich auf den Tisch. Als ihr der Arzt das Spekulum einführen wollte, mit dem er die erste Frau untersucht hatte, rief Tracy:»Moment mal!«

Der Arztblickte verdutzt auf.»Was?«

Alle starrten jetzt Tracy an, die sagte:»Ich… Sie haben das Instrument nicht sterilisiert.«

Dr. Glascos Mundwinkel hoben sich. Er lächelte Tracy eiskalt an.»Wer hätte das gedacht! Wir haben eine Gynäkologin in

unserer Mitte. Sie sindbesorgt wegen Krankheitserregern, ja? Stellen Sie sich ganz hinten an.«