Выбрать главу

Wieder der heiße Stich durch mein Inneres. Wieder die Schwäche für einen Menschen, ganz. Wie sie mich anging. Sie habe mir nicht gelegen, Penthesilea, die männermordende Kämpferin. Wie? Ob ich denn glaubte, sie, Myrine, hätte weniger Männer umgebracht als ihre Heerführerin? Nicht eher mehr, nach Penthesileas Tod, um sie zu rächen?

Ja, mein Pferdchen, aber das war etwas andres.

Das war dein geballter Trotz und deine flammende Trauer um Penthesilea, die ich, was denkst du denn, verstand. Da war ihre tief verkrochene Scheu, ihre Furcht vor Berührung, die ich niemals verletzte, bis ich ihre blonde Mähne um meine Hand wickeln durfte und so erfuhr, wie mächtig die Lust gewesen war, die ich lange schon darauf gehabt. Dein Lächeln in der Minute meines Todes, dacht ich, und hatte, da ich mich keiner Zärtlichkeit mehr enthielt, für lange den Schrecken hinter mir. Jetzt kommt er dunkel wieder auf mich zu.

Myrine ist mir ins Blut gegangen, im gleichen Augenblick, da ich sie sah, hell und kühn und in Leidenschaft brennend neben der dunklen sich selbst verzehrenden Penthesilea. Ob sie mir Freude oder Leid brachte, loslassen konnte ich sie nicht, aber sie jetzt neben mir zu haben, wünsch ich nicht. Freudig sah ich sie, ein Weib, als einzige sich bewaffnen, als die Männer von Troia gegen meinen Einspruch das Pferd der Griechen in die Stadt holten; bestärkte sie in ihrem Entschluß, bei dem Untier zu wachen, ich mit ihr, unbewaffnet. Freudig, wieder in diesem verkehrten Sinn, sah ich sie sich auf den ersten Griechen stützen, der dem hölzernen Roß gegen Mitternacht entstieg; freudig, ja: freudig! sie fallen und sterben unter einem einzigen Streich.

Mich, da ich lachte, schonte man, wie man den Wahnsinn schont.

Ich hatte noch nicht genug gesehn.

Ich will nicht mehr sprechen. Alle Eitelkeiten und Gewohnheiten sind ausgebrannt, verödet die Stellen in meinem Gemüt, von wo sie nachwachsen könnten. Mitleid mit mir hab ich nicht mehr als mit anderen. Beweisen will ich nichts mehr. Das Lachen dieser Königin, als Agamemnon auf den roten Teppich trat, ging über jeden Beweis.

Wer wird, und wann, die Sprache wiederfinden.

Einer, dem ein Schmerz den Schädel spaltet, wird es sein. Und bis dahin, bis zu ihm hin, nur das Gebrüll und der Befehl und das Gewinsel und das Jawohl der Gehorchenden. Die Ohnmacht der Sieger, die stumm, einander meinen Namen weitersagend, das Gefährt umstreichen. Greise, Frauen, Kinder. Über die Gräßlichkeit des Sieges. Über seine Folgen, die ich schon jetzt in ihren blinden Augen seh. Mit Blindheit geschlagen, ja. Alles, was sie wissen müssen, wird sich vor ihren Augen abspielen, und sie werden nichts sehen. So ist es eben.

Jetzt kann ich brauchen, was ich lebenslang geübt: meine Gefühle durch Denken besiegen. Die Liebe früher, jetzt die Angst. Die sprang mich an, als der Wagen, den die müden Pferde langsam den Berg heraufgeschleppt hatten, zwischen den düsteren Mauern zum Halten kam. Vor diesem letzten Tor. Als der Himmel aufriß und Sonne auf die steinernen Löwen fiel, die über mich und alles hinwegsahn und immer hinwegsehn werden. Angst kenn ich ja, doch dies ist etwas andres. Vielleicht kommt es in mir zum erstenmal vor, nur um gleich wieder erschlagen zu werden. Jetzt wird der Kern geschliffen.

Jetzt ist meine Neugier, auch auf mich gerichtet, gänzlich frei. Als ich dies erkannte, schrie ich laut, auf der Überfahrt, ich, wie alle, elend, vom Seegang durchgewalkt, naß bis auf die Haut vom überspritzenden Gischt, belästigt vom Geheul und den Ausdünstungen der anderen Troerinnen, mir nicht wohlgesonnen, denn immer wußten alle, wer ich bin. Nie war es mir vergönnt, in ihrer Menge unterzutauchen, zu spät hab ich es mir gewünscht, zu viel hab ich, in meinem früheren Leben, dazu getan, gekannt zu sein. Auch Selbstvorwürfe hindern die wichtigen Fragen, sich zu sammeln. Jetzt wuchs die Frage, wie die Frucht in der Schale, und als sie sich ablöste und vor mir stand, schrie ich laut, vor Schmerz oder Wonne.

Warum wollte ich die Sehergabe unbedingt?

Es traf sich, daß der König Agamemnon, der »sehr Entschlossene« (Götter!), mich in jener Sturmnacht aus dem Knäuel der ändern Leiber riß, mein Schrei damit zusammenfiel, andere Deutung nicht brauchte. Ich, ich sei es gewesen, schrie er mich an, besinnungslos vor Angst, die Poseidon gegen ihn aufgehetzt habe. Habe er dem Gott nicht drei seiner besten Pferde vor der Überfahrt geopfert? Und Athene? sagte ich kalt. Was hast du ihr geopfert? Ich sah ihn blaß werden. Alle Männer sind ichbezogene Kinder. (Aineias? Unsinn. Aineias ist ein erwachsener Mensch.) Spott?

In den Augen einer Frau? Das ertragen sie nicht. Der Siegerkönig hätte mich erschlagen - und das war es, was ich wollte -, hätte er nicht auch vor mir noch Angst gehabt. Immer hat dieser Mensch mich für eine Zauberin gehalten. Ich sollte Poseidon beschwichtigen! Er stieß mich an den Bug, riß mir die Arme hoch zu der Gebärde, die er für passend hielt. Ich bewegte die Lippen. Du armer Wicht, was scherts dich, ob du hier ertrinkst oder zu Hause erschlagen wirst?

Wenn Klytaimnestra war, wie ich sie mir vorstellte, konnte sie mit diesem Nichts den Thron nicht teilen. - Sie ist, wie ich sie mir vorstellte. Dazu noch haßerfüllt. Als er sie noch beherrschte, mag es der Schwächling, wie sie es alle tun, wüst genug mit ihr getrieben haben. Da ich nicht nur die Männer, sondern, was schwieriger ist, auch die Frauen kenne, weiß ich, mich kann die Königin nicht schonen. Mit Blicken hat sie es mir vorhin gesagt.

Mein Haß kam mir abhanden, wann? Er fehlt mir doch, mein praller saftiger Haß. Ein Name, ich weiß es, könnte ihn wecken, aber ich laß den Namen lieber jetzt noch un-gedacht. Wenn ich das könnte. Wenn ich den Namen tilgen könnte, nicht nur aus meinem, aus dem Gedächtnis aller Menschen, die am Leben bleiben. Wenn ich ihn ausbrennen könnte aus unsren Köpfen - ich hätte nicht umsonst gelebt. Achill.

Die Mutter hätte mir jetzt nicht einfallen dürfen, Hekabe, auf anderen Schiffen zu anderen Ufern mit Odysseus unterwegs. Wer kann für seine Einfälle. Ihr irres Gesicht, als sie sie wegrissen. Ihr Mund. Der gräßlichste Fluch, der, seit es Menschen gibt, ausgestoßen wurde, gilt den Griechen, und meine Mutter Hekabe hat ihn über sie verhängt. Sie wird recht behalten, man muß nur warten können. Ihr Fluch werde sich erfüllen, rief ich ihr zu. Da war mein Name, ein Triumphschrei, ihr letztes Wort. Als ich das Schiff betrat, war alles in mir stumm.

Nachts hat der Sturm sich, als ich ihn »beschworen«, bald gelegt, nicht nur die Mitgefangenen, auch die Griechen, selbst die rohen gierigen Ruderknechte rückten scheu und ehrerbietig von mir ab. Dem Agamemnon sagt ich, ich verlöre meine Kraft, wenn er mich in sein Bett zwänge. Er ließ mich. Seine Kraft war lange schon dahin, das Mädchen, das das letzte Jahr mit ihm im Zelt gewohnt, verriet es mir. Für diesen Fall - Verrat seines unsagbaren Geheimnisses - hatte er ihr angedroht, sie unter Vorwand von den Truppen steinigen zu lassen. Da begriff ich auf einmal seine ausgesuchte Grausamkeit im Kampf, wie ich begriff, daß er um so tiefer verstummte, je näher wir, von Nauplion her, auf der langen staubigen Straße durch die Ebene über Argos schließlich seiner Zitadelle kamen: Mykenae. Zu seinem Weib, dem er nie Grund gegeben, mit ihm Erbarmen zu haben, falls er Schwäche zeigte. Wer weiß, aus welcher Not sie ihn, wenn sie ihn mordet, reißt.

O daß sie nicht zu leben verstehn. Daß dies das wirkliche Unglück, die eigentlich tödliche Gefahr ist - nur ganz allmählich hab ich es verstanden. Ich Seherin!

Priamostochter. Wie lange blind gegen das Naheliegende: daß ich zu wählen hatte zwischen meiner Herkunft und dem Amt. Wie lange voll Furcht vor dem Schauder, den ich, wenn ich unbedingt war, bei meinen Leuten wachrufen mußte. Der ist mir nun über das Meer vorausgeeilt. Die Leute hier - naiv, wenn ich sie mit den Troern vergleiche; sie haben den Krieg nicht erlebt - zeigen ihre Gefühle, betasten den Wagen; die fremden Gegenstände; Beutewaffen; auch die Pferde. Mich nicht. Der Wagenlenker, der sich seiner