Выбрать главу

Landsleute zu schämen scheint, hat ihnen meinen Namen genannt. Da sah ich, was ich gewöhnt bin: ihren Schauder. Die Besten, sagt der Wagenlenker, seien es allemal nicht, die zu Hause blieben. Die Frauen nähern sich wieder. Ungeniert schätzen sie mich ab, spähen unter das Tuch, das ich mir über Kopf und Schultern gezogen habe.

Sie streiten sich, ob ich schön sei; die Alteren behaupten es, die Jüngeren leugnen es ab.

Schön? Ich, die Schreckliche. Ich, die wollte, daß Troia untergeht.

Das Gerücht, das Meere überwindet, wird mir auch in der Zeit vorauseilen.

Panthoos der Grieche wird recht behalten. Aber du lügst ja, meine Liebe, sagte er mir, wenn wir am Schrein des Apollon die vorgeschriebenen Handgriffe taten, die Zeremonie vorzubereiten: Du lügst, wenn du uns allen den Untergang prophezeist.

Aus unserm Untergang holst du dir, indem du ihn verkündest, deine Dauer. Die brauchst du dringlicher als das bißchen Nestglück jetzt. Dein Name wird bleiben. Und das weißt du auch.

Zum zweitenmal konnte ich ihm nicht ins Gesicht schlagen. Panthoos war eifersüchtig, und er war boshaft und scharfzüngig. Hatte er auch recht? Jedenfalls lehrte er mich das Unerhörte denken: Die Welt könnte nach unserem Untergange weitergehn. Ich zeigte ihm nicht, wie es mich erschütterte. Warum hatte ich nur die Vorstellung zugelassen, mit unserm Geschlecht lösche die Menschheit aus? Wußte ich denn nicht, wie immer die Sklavinnen des besiegten Stamms die Fruchtbarkeit der Sieger mehren mußten? Wars Überheblichkeit der Königstochter, daß ich nicht anders konnte, als sie alle, alle Troerinnen - die Troer sowieso - in unseres Hauses Tod hineinzuziehn? Erst spät, und mühsam, lernte ich die Eigenschaften, die man an sich kennt, von jenen unterscheiden, die angeboren

sind und fast nicht zu erkennen. Umgänglich, bescheiden, anspruchslos sein - das gehörte zu dem Bild, das ich mir von mir selber machte und das sich aus jeder Katastrophe beinah unversehrt erhob. Mehr noch: Wenn es sich erhoben, lag die Katastrophe hinter mir. Habe ich etwa, um mein Selbstgefühl zu retten - denn aufrecht, stolz und wahrheitsliebend sein gehörte auch zu diesem Bild von mir -, das Selbstgefühl der Meinen allzu stark verletzt? Habe ich ihnen, unbeugsam die Wahrheit sagend, Verletzungen heimgezahlt, die sie mir beigebracht? Dies, glaube ich, hat Panthoos der Grieche doch von mir gedacht. Er kannte sich, ertrug sich, wie ich spät bemerkte, schwer und suchte sich zu helfen, indem er für jede Handlung oder Unterlassung einen einzigen Grund nur zuließ: Eigenliebe. Zu tief war er von der Idee durchdrungen, die Einrichtung der Welt verbiete es, zugleich sich selbst und anderen zu nützen. Nie, niemals wurde seine Einsamkeit durchbrochen. Doch hatte er kein Recht, das weiß ich heute, mich ihm ähnlich oder gleich zu finden. Am Anfang, ja, mag sein, wenn auch nur in diesem einen Punkt, den Marpessa Hochmut nannte. Das Glück, ich selbst zu werden und dadurch den ändern nützlicher - ich hab es noch erlebt. Ich weiß auch, daß nur wenige es bemerken, wenn man sich verändert. Hekabe die Mutter hat mich früh erkannt und sich nicht weiter um mich gekümmert. Dies Kind braucht mich nicht, hat sie gesagt. Dafür hab ich sie bewundert und gehaßt.

Priamos der Vater brauchte mich. Wenn ich mich umdreh, seh ich Marpessa, die lächelt. Seit es ernst wird, seh ich sie fast nur noch lächeln. Die Kinder, Marpessa, werden nicht davonkommen, es sind die meinen. Du, denk ich, ja. - Ich weiß, sagt sie.

- Sie sagt nicht, ob sie davonkommen will oder nicht. Die Kinder wird man ihr wegreißen müssen. Vielleicht wird man ihr die Arme brechen müssen. Nicht, weil es meine - weil es

Kinder sind. - Zuerst bin ich dran, Marpessa. Gleich nach dem König. - Marpessa antwortet mir: Ich weiß. - Dein Hochmut, Marpessa, stellt noch den meinen in den Schatten. - Und sie, lächelnd, erwidert: So muß es sein, Herrin.

Wie viele Jahre hat sie mich nicht mehr mit Herrin angeredet. Wohin sie mich geführt, bin ich nicht Herrin, nicht Priesterin gewesen. Daß ich dies erfahren durfte, macht mir das Sterben leichter. Leichter? Weiß ich, was ich sage?

Nie werde ich erfahren, ob diese Frau mich geliebt hat, um deren Neigung ich mich bewarb. Zuerst aus Gefallsucht, mag sein, etwas in mir hat früher danach verlangt zu gefallen. Später, weil ich sie kennen wollte. Da sie mir bis zur Selbstaufgabe diente, hat sie die Zurückhaltung wohl gebraucht.

Wenn die Angst abebbt, wie eben jetzt, fällt mir Fernliegendes ein. Warum haben die Gefangenen aus Mykenae ihr Löwentor noch gewaltiger beschrieben, als es mir erscheint? Warum schilderten sie die Zyklopenmauern ungeheurer, als sie sind, ihr Volk gewalttätiger und rachsüchtiger, als es ist? Gern und ausschweifend haben sie mir von ihrer Heimat erzählt, wie alle Gefangenen. Keiner hat mich je gefragt, warum ich so genaue Erkundigungen über das feindliche Land einzog. Und warum tat ich es denn, zu einer Zeit, als auch mir sicher schien, daß wir siegten? Da man den Feind schlagen, nicht aber kennen sollte? Was trieb mich, ihn zu kennen, da ich den Schock: Sie sind wie wir! für mich behalten mußte. Wollte ich wissen, wo ich sterben würde?

Dacht ich ans Sterben? War ich nicht triumphgeschwollen wie wir alle?

Wie schnell und gründlich man vergißt.

Der Krieg formt seine Leute. So, vom Krieg gemacht und zerschlagen, will ich sie nicht im Gedächtnis behalten. Dem Sänger, der noch bis zuletzt den Ruhm des Priamos sang, hab ich eins aufs Maul gegeben, würdeloser schmeichlerischer Wicht.

Nein. Vergessen will ich den zerrütteten, verwahrlosten Vater nicht. Doch auch den König nicht, den ich als Kind über alle Menschen liebte. Der es nicht ganz genau nahm mit der Wirklichkeit. Der in Phantasiewelten leben konnte; nicht ganz scharf die Bedingungen ins Auge faßte, die seinen Staat zusammenhielten, auch die nicht, die ihn bedrohten. Das machte ihn nicht zum idealen König, doch war er der Mann der idealen Königin, das gab ihm Sonderrechte. Abend für Abend, ich seh ihn noch, ist er zur Mutter gegangen, die, häufig schwanger, in ihrem Megaron saß, auf ihrem hölzernen Lehnstuhl, der einem Thron sehr ähnlich sah und an den der König sich, liebenswürdig lächelnd, einen Hocker heranzog. Dies ist mein frühestes Bild, denn ich, Liebling des Vaters und an Politik interessiert wie keines meiner zahlreichen Geschwister, ich durfte bei ihnen sitzen und hören, was sie redeten, oft auf Priamos'

Schoß, die Hand in seiner Schulterbeuge (die Stelle, die ich an Aineias am meisten liebe), die sehr verletzlich war und wo, ich sah es selbst, der Speer des Griechen ihn durchbohrte. Ich, der sich die Namen der fremden Fürsten, Könige und Städte, der Waren, mit denen wir handelten oder die wir auf unseren berühmten Schiffen durch den Hellespont beförderten, die Zahlen der Einnahmen und die Erörterung ihrer Verwendung mit dem strengen sauberen Geruch des Vaters für immer vermischten -

Fürsten, die gefallen, Städte, die verarmt oder zerstört, Waren, die verdorben oder geraubt sind: Ich bin es gewesen, von allen seinen Kindern ich, die, wie der Vater meinte, unsre Stadt und ihn verraten hat.

Für alles auf der Welt nur noch die Vergangenheitssprache. Die Gegenwartssprache ist auf Wörter für diese düstre Festung eingeschrumpft. Die Zukunftssprache hat für mich nur diesen einen Satz: Ich werde heute noch erschlagen werden.

Was will der Mann. Spricht er zu mir? - Ich müsse doch Hunger haben. - Ich nicht, er hat Hunger, er will die Pferde einstellen und endlich in sein Haus kommen, zu seinen Leuten, die ihn ungeduldig umstehn. - Ich solle doch seiner Königin folgen.

Ruhig in die Burg gehn, mit den beiden Wächtern, die zu meinem Schutz, nicht zur Bewachung auf mich warten. — Ich werde ihn erschrecken müssen. - Ja, sag ich ihm, ich geh. Nur jetzt noch nicht. Laß mich noch eine kleine Weile hier. Es ist nämlich, weißt du, sag ich ihm, und suche ihn zu schonen: Wenn ich durch dieses Tor gegangen bin, bin ich so gut wie tot.