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Das alte Lied: Nicht die Untat, ihre Ankündigung macht die Menschen blaß, auch wütend, ich kenn es von mir selbst. Und daß wir lieber den bestrafen, der die Tat benennt, als den, der sie begeht: Da sind wir, wie in allem übrigen, alle gleich. Der Unterschied liegt darin, ob mans weiß.

Ich hab es schwer gelernt, weil ich, gewohnt, die Ausnahme zu sein, mich unter kein gemeinsames Dach mit allen zerren lassen wollte. Da schlug ic h Panthoos, als er am Abend jenes Tags, an dem er mich zur Priesterin geweiht, mir sagte: Dein Pech, kleine Kassandra, daß du deines Vaters Lieblingstochter bist. Geeigneter, das weißt du, wäre Polyxena: Sie hat sich vorbereitet, du verläßt dich auf deinen Rückhalt bei ihm. Und, wie es scheint - ich fand sein Lächeln unverschämt, als er das sagte -, auch auf deine Träume.

Dafür schlug ich ihm ins Gesicht. Sein Blick durchfuhr mich, doch er sagte nur: Und jetzt verläßt du dich darauf, daß ich zwar der erste Priester, aber doch bloß ein Grieche bin.

Er traf die Wahrheit, doch nicht ganz und gar, denn weniger, als er sich vorstellen konnte, ließ ich mich von Berechnung leiten. (Auch unsre Berechnung wird, uns unbewußt, geleitet, ja, ich weiß!) Der Traum die Nacht zuvor kam ungerufen, und er hat mich sehr verstört. Daß es Apollon war, der zu mir kam, das sah ich gleich, trotz der entfernten Ähnlichkeit mit Panthoos, von der ich kaum hätte sagen können, worin sie bestand. Am ehesten im Ausdruck seiner Augen, die ich damals noch »grausam«, später, bei Panthoos — nie wieder sah ich Apoll! - nur »nüchtern« nannte. Apollon im Strahlenglanz, wie Panthoos ihn mich sehen lehrte. Der Sonnengott mit der Leier, blau, wenn auch grausam, die Augen, bronzefarben die Haut. Apollon, der Gott der Seher. Der wußte, was ich heiß begehrte: die Sehergabe, die er mir durch eine eigentlich beiläufige, ich wagte nicht zu fühlen: enttäuschende Geste verlieh, nur um sich mir dann als Mann zu nähern, wobei er sich - ich glaubte, allein durch meinen grauenvollen Schrecken - in einen Wolf verwandelte, der von Mäusen umgeben war und der mir wütend in den Mund spuckte, als er mich nicht überwältigen konnte. So daß ich beim entsetzten Erwachen einen unsagbar widerwärtigen Geschmack auf der Zunge spürte und mitten in der Nacht aus dem Tempelbezirk, in dem zu schlafen ich zu jener Zeit verpflichtet war, in die Zitadelle, in den Palast, ins Zimmer, ins Bett der Mutter floh. Mir blieb der Augenblick kostbar, als Sorge um mich Hekabes Gesicht veränderte, aber sie hatte sich in der Gewalt. Ein Wolf, fragte sie kühl. Warum ein Wolf, wie kommst du darauf. Und woher die Mäuse. Wer sagt dir das.

Apollon Lykeios. Die Stimme Parthenas der Amme. Der Gott der Wölfe und der Mäuse, von dem sie dunkle Geschichten wußte, die sie mir zuraunte und die ich niemandem weitersagen durfte. Daß dieser zwiespältige Gott der gleiche sei wie unser unanfechtbarer Apoll im Tempel, das hätte ich nie gedacht. Nur Marpessa, Parthenas Tochter, mir gleichaltrig, wußte Bescheid und schwieg wie ich.

Die Mutter bestand nicht darauf, daß ich Namen nannte, denn mehr noch als des Sonnengottes Wolfsgestalt beunruhigte sie meine Angst, mich mit ihm zu vereinigen.

Wenn sich ein Gott zu ihr legen wollte: War das nicht ehrenvoll für eine Sterbliche! Das war es. Und daß der Gott, zu dessen Dienst ich mich bestimmt, mich ganz besitzen wollte - war es nicht natürlich? Doch. Also. Was fehlte? - Nie, niemals hätte ich diesen Traum der Hekabe erzählen sollen! Sie blieb dabei, mich auszuforschen.

Hatte ich denn nicht im Jahr zuvor, kaum daß ich zum erstenmal geblutet hatte, mit den anderen Mädchen im Tempelbezirk der Athene gesessen - sitzen müssen! dacht ich wie damals, und wie im Jahr zuvor zog meine Kopfhaut sich vor grauenvoller Scham zusammen -, und war nicht alles seinen vorbestimmten Gang gegangen? Die Zypresse, unter der ich saß, könnte ich noch bezeichnen, falls die Griechen sie nicht angezündet haben, die Form der Wolken könnte ich beschreiben, sie kamen vom Hellespont in lockerem Zug. »Lockerem Zug.« Es gibt diese sehr albernen Wörter, ich kann mich mit ihnen nicht mehr aufhalten. Ich denke einfach an den Geruch nach Oliven und Tamarisken. Die Augen schließen, ich kann es nicht mehr, konnte es aber.

Öffnete sie einen Spaltbreit und nahm die Beine der Männer in mich auf. Dutzende von Männerbeinen in Sandalen, man sollte nicht glauben, wie verschieden, alle widerlich. An einem Tag kriegte ich fürs Leben genug von Männerbeinen, keiner ahnte es. Ich spürte ihre Blicke im Gesicht, auf der Brust. Nicht einmal sah ich mich nach den anderen Mädchen um, die nicht nach mir. Wir hatten nichts miteinander zu tun, die Männer hatten uns auszusuchen und zu entjungfern. Ich hörte lange, eh ich einschlief, das Fingerschnipsen und, in wieviel verschiedenen Betonungen, das eine Wort: Komm. Um mich wurde es leer, nach und nach waren die ändern Mädchen abgeholt worden, die Töchter der Offiziere, Palastschreiber, Töpfer, Handwerker, Wagenlenker und Pächter. Die Leere kannte ich von klein auf. Ich erfuhr zwei Arten von Scham: die, gewählt zu werden, und die, sitzenzubleiben. Ja, ich würde Priesterin werden, um jeden Preis.

Mittags, als Aineias kam, fiel mir auf, daß ich ihn seit langem schon in jeder Menge sah. Er kam stracks auf mich zu, verzeih, sagte er, eher konnte ich nicht kommen. Als wären wir verabredet gewesen. Er hob mich auf - nein: Ich erhob mich, aber darüber stritten wir manchmal. Wir gingen in eine weit entfernte Ecke des Tempelbezirks und überschritten dabei, ohne es zu merken, die Grenze, hinter der die Sprache aufhört. Es ist ja nicht Hochmut, nicht nur Scheu, die auch, natürlich, wenn ich den Frauen, als wir allmählich auch über unsre Gefühle sprachen, nie ein Wort über Aineias sagte. Immer hielt ich mich zurück, niemals habe ich, was andre Frauen taten, mein Inneres nach außen gekehrt. Ich weiß, daß ich so die Schranke zwischen uns nie ganz einriß. Der unausgesprochene Name des Aineias stand zwischen mir und den Frauen, die, je länger der Krieg dauerte, vor ihren verwilderten Männern genausoviel Angst hatten wie vor dem Feind; die zweifeln konnten, auf wessen Seite ich wirklich war, wenn ich ihnen keine Einzelheiten lieferte, zum Beispiel über jenen Nachmittag an der Grenze des Tempelbezirks, da wir beide, Aineias und ich, wußten, was von uns erwartet wurde - beide durch Hekabe die Mutter. Da wir uns beide nicht imstande sahen, den Erwartungen zu entsprechen. Da jeder die Schuld für unser Versagen bei sich suchte. Die Amme und die Mutter und Herophile, die Priesterin, hatten mir die Pflichten des Beilagers eingeschärft, aber sie rechneten nicht damit, daß die Liebe, wenn sie plötzlich dazwischentrat, den Pflichten des Beilagers im Wege sein kann, so daß ich mir nicht zu helfen wußte und in Tränen ausbrach über seine Unsicherheit, die doch nur durch meine Ungeschicklichkeit verschuldet sein konnte.

Jung, jung sind wir gewesen. Wie. er mich küßte, mich streichelte und berührte, ich hätte getan, was er wollte, nur schien er nichts zu wollen, ich sollte ihm etwas verzeihen, aber ich verstand nicht, was. Gegen Abend schlief ich ein, ich weiß noch, ich träumte von einem Schiff, das den Aineias über glattes blaues Wasser von unserer Küste wegführte, und von einem ungeheuren Feuer, das sich, als das Schiff sich gegen den Horizont hin entfernte, zwischen die Wegfahrenden und uns, die Daheimgebliebenen, legte. Das Meer brannte. Dies Traumbild seh ich heute noch, so viele andre, schlimmere Wirklichkeitsbilder sich auch darübergelegt haben. Gern wüßte ich (was denk ich da! gern ? wüßte ? ich ? Doch. Die Worte stimmen.), gern wüßte ich, welche Art Unruhe, unbemerkt von mir, mitten im Frieden, mitten im Glück: so redeten wir doch! solche Träume schon herauf rief.

Schreiend erwachte ich, Aineias, aufgestört, konnte mich nicht beruhigen und trug mich zur Mutter. Später erst, wenn ich all diese Szenen Tag und Nacht bei mir wieder durchnehmen mußte, bis sie ganz allmählich ihre Schärfe verloren - später erst wunderte ich mich, daß die Mutter ihn fragte, ob alles in Ordnung sei, und daß er, Aineias, knapp mit »Ja« antwortete. Daß daraufhin Hekabe sich bei ihm bedankte -