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das merkwürdigste von allem; beschämend, doch wußte ich nicht, wieso. Ihn wegschickte. Mich schlafen legte wie ein Kind, nachdem sie mir einen Trunk eingeflößt hatte, der mir wohltat und alle Fragen und alle Träume auflöste.

Es ist schwer in Worte zu fassen, durch welche Zeichen man untrüglich erfährt, wenn man über ein Geschehnis nicht weiter nachdenken darf. Aineias verschwand aus meinem Gesichtskreis, ein Muster erfüllte sich zum erstenmal. Aineias, das blieb ein glühender Punkt in meinem Innern, sein Name ein scharfer Stich, den brachte ich mir bei, sooft ich konnte. Aber ich verbot es mir, den rätselhaften Satz von Parthena der Amme verstehen zu wollen, die, als sie sich von mir verabschiedete, da ich nun erwachsen war, und ihre Tochter Marpessa meinem Dienst übergab, halb achtungsvoll, halb haßerfüllt vor sich hinmurmelte: Da habe die Alte also wieder ihren Kopf durchgesetzt, wenn auch diesmal, vielleicht, zu des Töchterchens Gutem.

Und dann fragte auch sie mich, ob alles in Ordnung sei. Und ich erzählte ihr meinen Traum, wie ich es immer getan hatte, und sah zum erstenmal einen Menschen vor meinen Worten erbleichen. (Wie war das doch: Erschreckend? Aufreizend? Zur Wiederholung verlockend? Ist es wahr, daß ich, wie man es mir vorwarf, dieses Erbleichen später gebraucht habe?)

Kybele hilf! flüsterte Parthena die Amme. Es war der gleiche Spruch, mit dem sie starb, kürzlich, glaube ich, ja, nach der Zerstörung Troias und vor der Überfahrt, als wir alle, wir Gefangenen, in den schrecklichen Herbstwettern, den bebenden Weltuntergangswettern auf dem nackten Strand zusammengetrieben wurden. Kybele hilf, stöhnte die alte Frau, aber es war ihre Tochter Marpessa, die ihr half, mit einem Trunk, den sie ihr reichte und von dem Parthena einschlief, um nicht mehr zu erwachen.

Wer war Kybele?

Da wich die Amme zurück. Es war ihr verboten, das sah ich, den Namen auszusprechen. Sie wußte, ich wußte es auch, daß man Hekabe zu gehorchen hatte.

Schier unglaublich scheint es mir heute, was ihre Befehle bewirkten, kaum kann ich es mir ins Gedächtnis zurückrufen, daß ich einstmals heiß empört gegen diese Befehle aufbegehrte. Sie habe mich immer nur schützen wollen, hat sie mir dann gesagt. Aber sie habe mich unterschätzt. Inzwischen hatte ich Kybele gesehen.

Wie oft ich später jenen Weg gegangen bin, allein und mit den anderen Frauen -

nie habe ich vergessen, wie mir zumute war, als Marpessa mich eines Abends in der Dämmerung zum Berg Ida führte, den ich immer vor Augen gehabt, insgeheim als meinen Berg geliebt, oft und oft begangen hatte und zu kennen glaubte; wie Marpessa mir voran in eine buschbewachsene Bodenfalte eingetaucht war. Auf Pfaden, die sonst nur Ziegen kletterten, ein Feigenwäldchen durchquert hatte, und wie wir plötzlich, von jungen Eichen umgeben, vor dem Heiligtum der unbekannten Göttin standen, dem eine Schar braunhäutiger, meist schmalgliedriger Frauen tanzend huldigte.

Sklavinnen aus dem Palast sah ich unter ihnen, Frauen aus den Ansiedlungen jenseits der Mauern der Zitadelle, auch Parthena die Amme, die vor dem Eingang der Höhle unter der Weide hockte, deren Wurzeln wie das Schamhaar einer Frau in die Höhlenöffnung hineinfielen, und mit den Bewegungen ihres massigen Körpers den Zug der Tänzerinnen zu dirigieren schien. Marpessa glitt in den Kreis, der meine Ankunft nicht einmal bemerkte - eine neue, eigentlich verletzende Erfahrung für mich -, der sein Tempo allmählich steigerte, seinen Rhythmus verstärkte, schneller, fordernder, ungestümer wurde, einzelne Tänzerinnen aus dem Kreis schleuderte, auch Marpessa, meine beherrschte Marpessa! - sie zu Gesten trieb, die mein Schamgefühl verletzten, bis sie außer sich gerieten, sich schüttelten, sich heulend verrenkten, in eine Ekstase verfielen, in der sie uns anderen unsichtbare Dinge sahen, und schließlich, eine nach der anderen, als eine der letzten Marpessa, in sich zusammensackten und erschöpft niedersanken.

Von Furcht und Schrecken erfüllt floh ich, irrte lange umher, kam tief in der Nacht nach Hause, fand mein Bett

bereitet, eine Mahlzeit gerichtet, Marpessa neben meinem Lager wartend. Und am nächsten Morgen, im Palast, wie immer die glatten Gesichter.

Was ging vor. Wo lebte ich denn. Wie viele Wirklichkeiten gab es in Troia noch außer der meinen, die ich doch für die einzige gehalten hatte. Wer setzte die Grenze fest zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem. Und wer ließ nun zu, daß der Boden, auf dem ich so sicher gegangen war, erschüttert wurde. - Ich weiß, wer Kybele ist! schrie ich die Mutter an. So, sagte Hekabe. Dann ist es ja gut. Keine Frage, wer mich hingeführt. Keine Nachforschungen. Keine Bestrafung. Zeigte die Mutter einen Zug von Erleichterung, gar Schwäche? Was sollte mir eine Mutter, die Schwäche zeigte?

Mich vielleicht über ihre Bekümmernis ins Vertrauen ziehn wollte? Da wich ich zurück. Entzog mich, wie lange noch, den Berührungen der wirklichen Leute.

Brauchte und verlangte Unnahbarkeit. Wurde Priesterin. Und Hekabe unterstützte meinen Wunsch. Ja. Sie hat mich doch früher gekannt als ich sie.

Die Königin, sagte der Vater mir in einer unserer vertrauten Stunden, Hekabe herrscht nur über solche, die beherrschbar sind. Sie liebt die Unbeherrschbaren. - Mit einem Schlag sah ich den Vater in anderem Licht. Hekabe liebte ihn doch?

Zweifellos. Also war er unbeherrschbar? - Ach. Einst waren auch die Eltern jung. Als der Krieg fortschritt, jedermanns Eingeweide bloßlegte, änderte sich wiederum das Bild. Priamos wurde immer unzugänglicher, starrer, doch beherrschbar, nur nicht mehr durch Hekabe. Hekabe wurde weicher, dabei unbeugsam. Den Priamos tötete der Schmerz um seine Söhne, ehe noch der Feind ihn erstach. Hekabe, aufgerissen durch den Schmerz, wurde von einem Unglücksjahr zum anderen immer mitfühlender, lebendiger.

Wie auch ich. Nie war ich lebendiger als in der Stunde meines Todes, jetzt.

Was ich lebendig nenne? Was nenne ich lebendig. Das schwierigste nicht scheuen, das Bild von sich selbst ändern. Worte, sagte Panthoos, da war er noch ein Widerpart für mich. Nichts als Worte, Kassandra. Der Mensch ändert nichts, warum ausgerechnet sich selbst, warum ausgerechnet das Bild von sich.

Wenn ich mich heute an dem Faden meines Lebens zurücktaste, der in mir aufgerollt ist; den Krieg überspringe, ein schwarzer Block; langsam, sehnsuchtsvoll in die Vorkriegsjahre zurückgelange; die Zeit als Priesterin, ein weißer Block; weiter zurück: das Mädchen - dann bleibe ich an dem Wort schon hängen, das Mädchen, und um wieviel mehr noch hänge ich erst an seiner Gestalt. An dem schönen Bild. Ich habe immer mehr an Bildern gehangen als an Worten, es ist wohl merkwürdig und ein Widerspruch zu meinem Beruf, aber dem kann ich nicht mehr nachgehn. Das Letzte wird ein Bild sein, kein Wort. Vor den Bildern sterben die Wörter.

Todesangst.

Wie wird es sein. Wird die Schwäche übermächtig. Wird der Körper die Herrschaft über mein Denken übernehmen. Wird, in einem gewaltigen Schub, die Todesangst einfach wieder alle Positionen besetzen, die ich meiner Unwissenheit, meiner Bequemlichkeit, meinem Hochmut, meiner Feigheit, Faulheit, Scham abgerungen habe. Wird sie es fertigbringen, auch den Vorsatz einfach wegzuschwemmen, für den ich auf dem Weg hierher die Formel suchte und fand: Ich will die Bewußtheit nicht verlieren, bis zuletzt.

Als unsere — Dummheit! ihre Schiffe bei Windstille und spiegelglattem Wasser in der Bucht von Nauplion angelegt hatten und die Sonne, prall und schwer von Blut, hinter dem Bergzug versank; als meine Troerinnen, so als wären sie erst jetzt, beim Betreten des fremden Landes, wirklich in Gefangenschaft gekommen, Trost in trostlosem Weinen suchten; in den Tagen danach, auf dem staubigen, heißen, mühevollen Weg durch die Festung Tiryns und den schmutzigen Flecken Argos, empfangen und begleitet von den Schmähreden der zusammenlaufenden Greise und Frauen; besonders aber auf der letzten ansteigenden Strecke durch dürres Land, über welchem unheilvoll, aber immer noch weit entfernt dieser schreckliche Steinhaufen auftauchte, Mykenae, die Burg, unser Ziel; als sogar Marpessa aufstöhnte; als, merkwürdig genug, der König selbst, der unentschlossene Agamemnon, anstatt zur Eile zu treiben, eine Rast nach der anderen anordnete und sich jedesmal schweigend, Wein trinkend und mir Wein anbietend, in den Schatten eines Olivenbaumes zu mir setzte, woran niemand aus seinem Gefolge Anstoß nahm (Olive, zärtlichster Baum...); als mein Herz, das ich lange nicht mehr gespürt hatte, von Station zu Station kleiner, fester, härter wurde, ein schmerzender Stein, dem ich nichts mehr abpressen konnte: da war der Vorsatz fertig, geschmolzen, ausgeglüht, gehämmert und geformt wie eine Lanze. Ich will Zeugin bleiben, auch wenn es keinen einzigen Menschen mehr geben wird, der mir mein Zeugnis abverlangt.