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Und ich wollte es mir nicht erlauben, über diesen Vorsatz nochmals nachzudenken.

Doch ist er nicht ein Hilfsmittel von der Art, die Übleres bewirkt als das Übel, gegen das man sie verwenden will? Hat es nicht jetzt schon, dies probate Mittel, mein altes, schon vergeßnes Übel wieder wahrgemacht: daß ich, gespalten in mir selbst, mir selber zuseh, mich sitzen seh auf diesem verfluchten Griechenwagen, unter meinem Tuch, von Angst geschüttelt. Werd ich, um mich nicht vor Angst zu winden, um nicht zu brüllen wie ein Tier - wer, wenn nicht ich, sollt das Gebrüll der Opfertiere kennen!

- werd ich denn bis zuletzt, bis jenes Beil. - Werd ich denn noch, wenn schon mein Kopf, mein Hals - werd ich um des Bewußtseins willen bis zuletzt mich selber spalten, eh das Beil mich spaltet, werd ich -

Warum will ich mir diesen Rückfall in die Kreatur bloß nicht gestatten. Was hält mich denn. Wer sieht mich noch. Bin ich, die Ungläubige, denn immer noch der Mittelpunkt der Blicke eines Gottes, wie als Kind, als Mädchen, Priesterin? Gibt sich das nie.

Wohin ich blicke oder denke, kein Gott, kein Urteil, nur ich selbst. Wer macht mein Urteil über mich bis in den Tod, bis über ihn hinaus, so streng.

Wär auch das vorgegeben. Liefe auch das an Schnüren, die nicht in meinen Händen liegen, wie die Bewegungen des Mädchens, das ich war, Wunsch- und Sehnsuchtsbild, die junge helle Gestalt im lichten Gelände, heiter, freimütig, hoffnungsvoll, sich selbst und anderen vertrauend, verdienend, was man ihr zuerkannte, frei, ach, frei. In Wirklichkeit: gefesselt. Gelenkt, geleitet und zum Ziel gestoßen, das andre setzen. Demütigend (ein Wort aus früheren Tagen): Alle wußten es. Auch Panthoos. Panthoos der Grieche war eingeweiht. Ohne mit der Wimper zu zucken überreichte er derjenigen Stab und Stirnbinde, die Hekabe ihm bezeichnete. So glaubte er nicht, daß ich von Apollon geträumt hatte? Aber doch. Dochdoch, kleine Kassandra. Das Dumme war: Er glaubte nicht an Träume.

Endlich! rief er an dem Tag, an dem ich ruhig sagte, Troia werde untergehn, und keinen Traum dafür als Beweis anführte. Er teilte mein Wissen, aber es ging ihn nichts an. Er, der Grieche, bangte nicht um Troia, nur um sein Leben. Dies, fand er, hatte sowieso genug gedauert. Das Mittel, es zu beenden, trug er lange schon bei sich.

Und wendete es nicht an. Starb qualvoll, um einen Tag länger zu leben. Panthoos.

Ganz haben wir ihn wohl nie gekannt.

Auch Parthena die Amme wußte natürlich, was gespielt wurde. Wie meine Wahl zur Priesterin zustande kam. Durch sie wußte es Marpessa. Aber sie ist es ja gewesen

- wie lange hab ich daran nicht gedacht -, die mir den Schlüssel für meinen Traum und für mein Leben in die Hand gab. Wenn Apollon dir in den Mund spuckt, sagte sie mir feierlich, bedeutet das: Du hast die Gabe, die Zukunft vorauszusagen. Doch niemand wird dir glauben.

Die Sehergabe. Das war sie. Ein heißer Schreck. Ich hatte sie mir erträumt. Mir glauben - nicht mir glauben - man würde sehn. Unmöglich war es doch, daß Menschen auf die Dauer einer, die ihr Recht beweist, nicht Glauben schenken sollten.

Selbst Hekabe hatte ich gewonnen, die zweiflerische Mutter. Jetzt entsann sie sich einer ganz frühen Geschichte, Parthena die Amme mußte sie in Umlauf bringen, keineswegs war man nur auf Träume angewiesen: An unserem zweiten Geburtstag seien wir Zwillinge, mein Bruder Helenos und ich, im Hain des Thymbraischen Apollon eingeschlafen, alleingelassen von unseren Eltern, schlecht gehütet von der Amme, die auch einschlief, ein wenig betäubt wohl vom Genuß des schweren süßen Weins. Hekabe aber, die uns suchte, habe zu ihrem Schrecken sehen müssen, wie die heiligen Tempelschlangen sich an uns herangemacht hatten und an unseren Ohren leckten. Durch heftiges Klatschen habe sie die Schlangen vertrieben, zugleich die Amme und die Kinder geweckt. Seitdem aber wußte sie: Diese ihre beiden Kinder besäßen von der Gottheit die Gabe der Prophezeiung. -Wirklich wahr, fragten die Leute, und Parthena die Amme hat, je häufiger sie die Geschichte erzählt, um so unerschütterlicher daran geglaubt. Ich weiß noch, mir machte Hekabes Eifer einen schalen Geschmack, ich empfand, daß sie um ein weniges zuviel tat, und trotzdem befestigte sie, was ich dringend glauben wollte: Ich, Kassandra, keine andre der zwölf Töchter des Priamos und der Hekabe, war vom Gott selbst zur Seherin bestimmt. Was war natürlicher, als daß ich ihm auch als Priesterin in seinem Heiligtume diente?

Polyxena... Daß ich meine Laufbahn auf deiner Zurücksetzung aufbaute; daß du nicht schlechter warst als ich, nicht weniger geeignet: Ich hab es dir sagen wollen, ehe sie dich wegschleppten, als Schlachtopfer, wie mich jetzt. Polyxena: Hätten wir unsre Leben getauscht: Unsre Tode wären die gleichen gewesen. Ist das ein Trost? Hast du Trost gebraucht? Brauch ich ihn? Du sahst mich an (sahst du mich noch?). Ich schwieg. Sie schleppten dich weg, zum Grabe des wüsten Achill. Achill das Vieh.

O wenn doch diese die Liebe nicht kennten.

O wenn ich doch, an jenem ersten Kriegstag, den, dessen Name verflucht und vergessen sein soll, mit meinen Händen erwürgt hätte, anstatt zuzusehn, wie er, Achill, den Bruder erwürgte, Troilos. Die Reue ätzt mich, sie läßt nicht nach, Polyxena. Panthoos der Grieche hat mich zurückgehalten, die sind dir über, sagte er, ich kenne sie. Er kannte sie. Und mich. Ich würgte keinen Mann. Ich, Polyxena - laß mir die Lust an meinen verspäteten Geständnissen - ich bin ihm zugefallen; war ihm schon zugefallen, als noch nicht entschieden war, wen er einweihn würde, dich, mich.

Nie, Liebe, sprachen wir davon. Alles über Blicke, halbe Wendungen. Wie hätte ich dir sagen solln, was ich kaum denken konnte: Laß mir das Amt. Du brauchst es nicht, so dachte ich, das schwör ich dir. Sah nicht, daß du es brauchtest, ebenso wie ich, nur aus entgegengesetztem Grund. Du hattest deine Liebhaber, so dacht ich. Ich war allein. Ich traf sie doch, wenn sie im Morgengrauen aus deinem Schlafraum kamen. Ich sah doch, wie du schön warst, schöner wurdest, du mit deinem dunkelblonden krausen Haar, als einzige nicht schwarz von den Töchtern der Hekabe. Wer, fragten die Ammen und Palastdiener sich, wer mochte dein Vater sein?

Nein - Priamos' Lieblingstochter zu werden, hattest du keine Aussicht. Du neidetest mir die Stellung nicht, das brachte mich auf. Warum du Priesterin werden wolltest, war ich nicht imstande mich zu fragen. Daß du womöglich ganz etwas andres mit dem Amt anstrebtest als ich. Nicht Würde, Abstand und Ersatz für Freuden, die mir versagt waren; sondern: Schutz vor dir selbst; vor der Überzahl der Liebhaber; vor dem Schicksal, das dir schon bereitet war. Du mit deinen grauen Augen. Du mit deinem schmalen Kopf, dem weißen Gesichtsoval, dem wie mit dem Messer scharf geschnittenen Haaransatz. Mit dieser Haarflut, in die jeder Mann hineingreifen mußte.

Du, in die jeder Mann, der dich sah, sich verlieben mußte, was sag ich, verlieben! Der er verfallen mußte, und nicht nur jeder Mann - auch manche Frau, Marpessa auch, glaub ich, als sie aus der Verbannung kam und keinen Mann mehr ansah. Und

»verfallen« ist noch ein schwaches Wort für die Liebeswut und Raserei, die manchen packte, wie Achill das Vieh, und ohne daß du etwas dazu tatest - das soll dir zugestanden sein... Polyxena: Ja, es ist wohl möglich, daß ich, nächtlich im dunklen Gang, Irrtümern unterlag, denn warum hättest du, die alles, was sie tat, ganz offen tat, viel später mir beteuern sollen, nie, niemals sei Aineias je bei dir gewesen, wenn der Schatten, den ich aus deiner Türe schleichen sah, des Aineias Schattenriß gewesen wäre? Wie töricht war ich doch. Wie hätte es Aineias sein können, der, von einer Frau kommend, einer ändern an die Brus t griff, und dann floh!