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Ach Polyxena. Wie du dich bewegtest. Hurtig und heftig, zugleich anmutig. Wie eine Priesterin sich nicht bewegen soll. - Warum denn nicht! sagte Panthoos, und er kehrte sein tiefer gegründetes Wissen über das Wesen seines Gottes Apollon heraus, dem er schließlich in seinem zentralen Heiligtum, in Delphi auf dem griechischen Festland, gedient hatte. Warum nicht anmutig, kleine Kassandra? Apollon ist auch der Gott der Musen, nicht wahr. - Er wußte mich zu beleidigen, der Grieche. Er konnte durchblicken lassen, daß er die roheren Umrisse, die wir kleinasiatischen Völker seinem Gotte gaben, recht eigentlich für barbarisch hielt.

Was nicht bedeutete, daß er mich zur Priesterin nicht geeignet fand. Zweifellos, sagte er, gebe es Züge in meinem Wesen, die der Priesterschaft entgegenkämen.

Welche? Nun - mein Wunsch, auf Menschen Einfluß auszuüben; wie anders sollte eine Frau sonst herrschen können? Ferner: mein inbrünstiges Verlangen, mich mit der Gottheit auf vertrauten Fuß zu stellen. Und, natürlich, meine Abneigung gegen die Annäherung irdischer Männer.

Panthoos der Grieche tat, als kenne er die Wunde in meinem Herzen nicht; als mache es ihm nichts aus, in dies Herz eine mir selbst fast nicht bewußte, sehr feine, sehr geheime Feindschaft gegen ihn, den Ersten Priester, einzupflanzen. Mein Griechisch hab ich ja bei ihm gelernt. Und die Kunst, einen Mann zu empfangen, auch. In einer der Nächte, da die frisch geweihte Priesterin beim Götterbild zu wachen hatte, ist er zu mir gekommen. Geschickt, fast ohne mir weh zu tun und beinah liebevoll tat er, wozu Aineias, an den ich dachte, nicht willens oder nicht fähig gewesen war. Daß ich unberührt war, schien ihn nicht zu überraschen, auch nicht, in welchem Maß ich körperlichen Schmerz zu fürchten schien. Zu niemandem, auch nicht zu mir, verlor er je ein Wort über jene Nacht. Ich aber wußte nicht, wie ich Haß und Dankbarkeit gegen ein und denselben Menschen mit mir herumtragen sollte.

Meine Erinnerung an jene Zeit ist blaß, ich hatte keine Gefühle. Polyxena sprach ein ganzes Jahr lang kein Wort mit mir. Priamos bereitete den Krieg vor. Ich hielt mich zurück. Ich spielte die Priesterin. Ich dachte, Erwachsensein bestehe aus diesem Spieclass="underline" sich selbst verlieren. Enttäuschung ließ ich nicht zu. Ich erlaubte mir nicht den mindesten Fehler, wenn ich die Prozession der Mädchen zur Statue des Gottes anführte - ich wurde, wie ich es erwartet hatte, zur Chorführerin ausgebildet; alles gelang mir. Hatte ich zuerst Strafe befürchtet, wenn mir beim Gebet anstelle der göttlichen Lichtgestalt mit der Leier ein Wolf oder gar eine Schar Mäuse vor die Augen kamen, fand ich bald heraus, daß rein gar nichts geschah, wenn ich mich lustvoll meinen Erscheinungen überließ. Auch wenn Panthoos zu mir kam, mußte ich, um aus Ekel Lust zu machen, den ändern Mann, Aineias, vor mir sehen. Getragen von der Achtung der Troer, lebte ich scheinhaft wie nie. Ich weiß noch, wie mein Leben mir entwich. Ich schaff es nicht, dachte ich oft, wenn ich, auf der Stadtmauer sitzend, blicklos vor mich hinstarrte, aber ich konnte mich nicht fragen, was mein leichtes Dasein derart überanstrengte.

Ich sah nichts. Mit der Sehergabe überfordert, war ich blind. Sah nur, was da war, so gut wie nichts. Durch den Jahreslauf des Gottes und die Forderungen des Palastes wurde mein Leben bestimmt. Man könnte auch sagen: erdrückt. Ich kannte es nicht anders. Lebte von Ereignis zu Ereignis, die, angeblich, die Geschichte des Königshauses ausmachten. Ereignisse, die süchtig machen, auf immer neue Ereignisse, zuletzt auf Krieg.

Ich glaube, das war das erste, was ich durchschaute.

Gerüchte über das ZWEITE SCHIFF drangen spät zu mir. Ich hatte mich, bitteren Herzens verzichtend, aus dem großen Kreis der Brüder und Schwestern, ihrer Freunde und jugendlichen Sklaven entfernt, in dem abends flüsternd oder laut beredet, bespöttelt und kritisiert wurde, was tagsüber im Rat beschlossen worden war.

Verboten war es mir nicht, an meinen freien Abenden das alte lässige Leben fortzusetzen, unter Bäumen und Gebüsch in den Innenhöfen der Zitadelle herumzuhocken, mich den gewohnten und geliebten Lauten durch offene Tonröhren plätschernden Wassers zu überlassen, mich der Stunde hinzugeben, in der der Himmel vergilbt und die Häuser das Licht des Tages, das sie aufgesogen haben, wieder aus-strahlen; das ewig gleiche Gemurmel, Gewisper und Geschwätz der Geschwister, Erzieher, Ammen und Haussklaven an mir vorbeigehn zu lassen. Ich verbot es mir selbst, nachdem ich Priesterin war; nachdem doch gewiß Polyxena mich bei den Geschwistern angeschwärzt hatte - woran sie nicht im Traum gedacht hat, das mußte ich ihr später glauben; nachdem diejenigen meiner müßigen Schwestern und Brüder, denen Klatsch und Familienzwist gelegen kamen, gewiß weidlich über mich hergezogen waren: Bevorzugt vor ihnen wollte ich sein, doch ihren Neid ertrug ich nicht.

Dies alles, das Troia meiner Kindheit, existiert nur noch in meinem Kopf. Da will ich es, solang ich Zeit hab, wieder aufbaun, will keinen Stein vergessen, keinen Lichteinfall, kein Gelächter, keinen Schrei. Treulich, wie kurz die Zeit auch sein mag, soll es in mir aufgehoben sein. Jetzt kann ich sehen, was nicht ist, wie schwer hab ichs gelernt.

Helenos. Ach Helenos, andersgearteter Gleichaussehender. Mein Ebenbild - war ich ein Mann geworden. War ichs doch! dacht ich verzweifelt, als sie dich - nicht mich! nicht mich! - zum Orakelsprecher machten. Ach sei froh, Schwester. Augur sein - was für ein undankbares Geschäft. Na, er werde sich pünktlichst an die Anweisungen des Kalchas halten. Helenos war kein Seher. Er hatte die Gabe nicht, er brauchte das Ritual. Aller Leichtsinn, der vielleicht uns beiden zugedacht gewesen, war auf ihn gekommen. Alle Schwermut lag auf mir. Wie ich mich an seine Stelle wünschte. Was war die Priesterin gegen den Haruspex! Wie ich ihm gierig zusah, wenn er sich die Frauenkleider anzog, um am Opferstein des Tieres Eingeweide zu beschaun. Wie er seinen Ekel herunterwürgte vor dem Blutgeruch, vor den dampfenden Innereien, an die ich, von früh auf gehalten, kleinere Tiere für die Küche auszunehmen, ganz und gar gewöhnt war. Wäre ich er. Könnt ich mein Geschlecht gegen das seine tauschen. Könnt ich es verleugnen, verbergen. Ja wirklich, so empfand ich. Ich, die ich kaum auf Därme, Leber, Magen des jungen Stieres sah, ich blickte auf die erregten aufgerissenen Gesichter der Menschen, die das Opfer und den Priester dicht umstanden und auf ein Wort warteten wie auf Speise und Trank. Lahme konventionelle Verlautbarungen gab der Bruder ab, über Sonne und Regen, Gedeihen und Mißlingen der Ernte, Vieh- und Kinderaufzucht. Wie anders hätte ich reden, mit welch andrer Tonart dreinfahren wollen; über ganz ganz andres hätte ich sie belehren mögen, die Ahnungslosen, Genügsamen; nämlich... Nämlich? Worüber denn?

Panthoos, der mich in jener Zeit im Auge behielt, fragte mich rundheraus. Immer seine kratzenden Fragen. Was sonst als Wetter, Bodenfruchtbarkeit, Viehseuchen, Krankheiten - wollte ich die Leute aus dem Kreis herausreißen, in den sie eingeflochten seien? In dem sie sich wohl fühlten, nach nichts anderem Ausschau hielten? Darauf ich, hochfahrend: Weil sie nichts andres kennen. Weil man ihnen nur diese Art Fragen läßt. Wer - man? Die Götter? Die Verhältnisse? Der König? Und wer bist du, ihnen andre Fragen aufzudrängen. Laß alles, wie es ist, Kassandra, ich rate dir gut. Wenn er länger nachts nicht zu mir kam, entbehrte ich ihn sehr. Nicht ihn, »es«.

Und wenn er auf mir lag - Aineias, nur Aineias. Das war selbstverständlich. Mochte der Grieche, der vieles merkte, weil er kühl blieb, dieses auch durchschaun, es war mir gleich. Doch das Mittel gibt es nicht zwischen Himmel und Erde, das mich hätte zwingen können, mein Geheimnis preiszugeben. Mein Neid auf Helenos hörte auf, wie alles aufhört, wann, weiß ich nicht. Mein Eifer, den Menschen neue Fragen einzugeben, ließ nach, ist ganz geschwunden. Mein Geheimnis habe ich behalten. Es gibt Geheimnisse, die einen Menschen auszehren, andre, die ihn fester machen. Dies war eins von der üblen Sorte, wer weiß, wozu es mich getrieben hätte, wäre nicht eines Tags Aineias wirklich dagewesen.