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Alexandra stellte noch einmal sicher, dass ihr Handy noch ausreichend aufgeladen war, dann kuschelte sie sich in ihre Kissen und schloss die Augen. Sie musste einfach versuchen, noch ein wenig zu schlafen, sonst würde sie sich morgen wie gerädert fühlen.

Ein Geräusch riss Alexandra aus dem Schlaf. Als sie die Augen aufschlug, herrschte um sie herum noch tiefe Dunkelheit. Sie schaute auf die Uhr. Halb vier. Wer war um diese Zeit denn schon auf den Beinen?

Verschlafen setzte sie sich auf und lauschte, aber das Geräusch war zu leise, zu weit entfernt, um es bestimmen zu können. Hastig stand sie auf und tappte zur Tür, um sie einen Spaltbreit zu öffnen. Der Korridor war in Dunkelheit getaucht, nur die wenigen winzigen grünen Leuchtdioden, die den Fluchtweg kennzeichneten, spendeten einen schwachen Lichtschein.

Das scharrende Geräusch war nun etwas deutlicher zu hören, aber noch immer konnte Alexandra sich nicht erklären, von welcher Quelle es verursacht wurde. Alexandra war versucht, dieser Sache sofort auf den Grund zu gehen, doch dann besann sie sich eines Besseren. In ihrem kurzen Nachthemd wollte sie nun doch niemandem begegnen. In aller Eile zog sie sich an, dann griff sie nach ihrem Handy, schaltete die integrierte Taschenlampe ein und verließ das Zimmer.

Einen Moment überlegte sie, ob sie Tobias wecken sollte, aber dann entschied sie sich dagegen. Er würde sie nur wieder necken, ein Angsthase zu sein.

Auf leisen Sohlen wandte sie sich nach links und huschte bis zum Ende des Korridors, bog dann nach rechts ab und kam schließlich zu der Stelle, von der aus es auf der einen Seite zum Foyer, auf der anderen Seite zu den Unterkünften der Mönche ging. Dort befand sich auch die Kellertür, zu der Kater Brown sie gelockt hatte! Sie war nur angelehnt! Wieder lauschte Alexandra ein paar Sekunden in die Dunkelheit. Kein Zweifel, das Geräusch kam aus dem Keller!

Vorsichtig, um keinen Laut zu verursachen, zog sie die Tür weiter auf und schlich die schmale steinerne Wendeltreppe nach unten. Der große Kellerraum, in dem sie am Vortag auf Bruder Dietmar und Bruder Siegmund gestoßen war, war in ein diffuses Licht getaucht, das von einer rötlich schimmernden Glühbirne über der Tür ausging, vor der Kater Brown gesessen hatte. Es dauerte nur einen Moment, dann hatten Alexandras Augen sich an das Licht gewöhnt, und sie ging zu der Tür, die einen Spaltbreit offen stand. Durch den schmalen Spalt drang das Geräusch nun viel lauter an ihre Ohren. Es war ein aufgeregtes, hastiges Kratzen über Holz.

Alexandra spürte, wie sich ihr die Nackenhaare aufstellten. Gebannt hielt sie den Atem an, nahm all ihren Mut zusammen und zog die Tür ein Stück weiter auf. Der angrenzende Raum war ebenfalls von rötlichem Licht erhellt, aber Alexandra konnte niemanden entdecken, der das Kratzen verursachte. Als sie den weitläufigen Gewölbekeller betrat, entfuhr ihr ein erschrecktes Keuchen. Zehn oder zwölf Steinsärge standen in Reih und Glied an einer der Wände! Alexandra fröstelte. Ruhten darin verstorbene Mitglieder der Bruderschaft?

Das Kratzen wurde lauter, und Alexandra fuhr herum. In einem Alkoven stand eine große Holzkiste … aus der das Kratzgeräusch kam! Fast lautlos schlich Alexandra näher und beugte sich ein wenig vor. Das Herz pochte ihr beinah schmerzhaft hart gegen die Rippen, doch sie zwang sich, die Hände auszustrecken und den Deckel vorsichtig anzuheben. Ein schreckliches Fauchen erklang – und etwas Dunkles schoss zischend auf Alexandra zu und über ihre Schulter hinweg tiefer in den Kellerraum hinein. Mit einem leisen Aufschrei ließ sie den schweren Deckel fallen.

Alexandra zitterte wie Espenlaub, als sie sich umdrehte und die schwarze Katze erkannte, deren gelbe Augen im Licht der getönten Glühbirne seltsam rötlich leuchteten. Wie ein Gesandter des Teufels, ging es Alexandra unwillkürlich durch den Sinn. Die Katze warf ihr noch einen rätselhaften Blick zu, dann jagte sie durch die offen stehende Tür in den Nebenraum und die Kellertreppe hinauf.

Alexandra wollte ihr eben folgen, als sie eine Bewegung zu ihrer Linken bemerkte. Erschrocken drehte sie sich um und richtete den Lichtkegel ihrer Handy-Taschenlampe auf den Schemen, der sich dort gerührt hatte.

»Da sind Sie ja, Frau Berger«, sagte eine vertraute, unangenehme Stimme. »Wir haben schon auf sie gewartet.«

»Herr Assmann, was … was machen Sie denn hier unten?«, flüsterte Alexandra, und namenlose Angst erfüllte sie.

»Du bist einfach zu neugierig«, vernahm sie eine andere Stimme, die sie kannte, aber ebenfalls nicht sofort zuordnen konnte. Aus der Dunkelheit löste sich eine Gestalt, die sich jedoch bewusst außerhalb des Lichtkegels der Handylampe hielt.

Alexandra blinzelte. Wer war der Mann?

Du bist einfach zu neugierig …

Plötzlich schossen Hände auf Alexandra zu und legten sich um ihren Hals. Sie drückten zu, sodass ihr die Luft wegblieb. Alexandra versuchte verzweifelt, sich zu wehren – doch es war vergebens! Sie spürte, wie alle Kraft ihren Körper verließ, und fürchtete schon, jeden Moment ohnmächtig zu werden. Doch ihre Sinne waren seltsam geschärft, und sie konnte alles um sich herum wahrnehmen.

Ein Mann schleifte sie zu der Holzkiste hinüber und öffnete den Deckel. Scheinbar mühelos hob er sie hoch und legte sie in die Kiste. Als er sich wieder aufrichtete und den Deckel über ihr schließen wollte, sah Alexandra endlich sein Gesicht. Es war …

… Bernd Wilden! Mit einem Aufschrei fuhr Alexandra aus dem Schlaf und riss entsetzt die Augen auf. Ihr Atem ging in schnellen, abgehackten Stößen, sie war schweißgebadet und zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub. Es war nur ein Traum, sagte sie sich, als sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Es war nur ein böser Traum … Sie saß in ihrem Bett, sie war nicht in einer Holzkiste gefangen.

Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte. »Mein Gott«, murmelte sie und stand auf, um sich mit ausgestreckten Armen ins Badezimmer vorzutasten. In der Dunkelheit drehte sie den Wasserhahn auf, hielt die Hände unter den Strahl und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, bis sie sich besser fühlte. Das war’s jetzt wohl, dachte sie. Nach diesem Albtraum würde es ihr sicher nicht gelingen, noch einmal einzuschlafen …

Ein wiederholtes Summen ließ Alexandra aufschrecken. Einen Moment sah sie sich ängstlich im Zimmer um, in das das erste schwache Licht des Morgens fiel. Dann lenkte das leuchtende Handydisplay ihren Blick auf das Gerät, das auf dem Nachttisch lag. Sie hatte eine SMS erhalten!

Assmann!, war ihr erster Gedanke. Endlich!

Hektisch tastete sie nach dem Mobiltelefon und drückte die Freigabetaste. Die Nummer des Absenders sagte ihr nichts; nicht einmal die Vorwahl konnte sie im ersten Moment zuordnen.

Mit klopfendem Herzen öffnete Alexandra die SMS … und spürte, wie ihr Freudentränen in die Augen traten. Ein Foto leuchtete ihr entgegen: Es zeigte Kater Brown, wie er auf dem Behandlungstisch in der Praxis von Dr. Paressi saß … Alexandra blinzelte. Er war wohlauf, er lebte! Kater Brown lebte!

Und er hatte offenbar eine Nachricht für sie.

Holt mich hier ab!, stand in einer Sprechblase über seinem Kopf geschrieben.

Mit zitternden Fingern blätterte Alexandra weiter, um zum Text der SMS zu gelangen.

Ich dachte, das sollten Sie sehen. Ein Smiley, das ein Auge zusammenkniff, folgte. Rufen Sie mich ab 9 Uhr an! Gegen Mittag können Sie den Kleinen dann abholen. Gruß, Paressi.

Alexandra spürte, wie sich auf ihrem Gesicht ein Strahlen ausbreitete. Sie blätterte zurück und betrachtete wieder das Foto. Zugegeben, Kater Brown schaute noch ein wenig verschlafen in die Kamera, so als wäre er gerade erst aufgewacht, aber … er lebte, er war gerettet! Nur das zählte!