Выбрать главу

Nun gab es für Alexandra kein Halten mehr. Wie sie war, stürmte sie auf den Flur hinaus und klopfte an Tobias’ Zimmertür. Nichts geschah. »Tobias, wach auf! Ich muss dir was zeigen.«

Endlich ertönte leises Gemurmel, Füße tappten auf dem Boden, und im nächsten Moment wurde die Tür aufgestoßen. »Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«, maulte Tobias, als er im Lichtschein ihres Handydisplays ihr Gesicht erkannte.

Alexandra hielt ihm strahlend Kater Browns Foto entgegen.

»Was ist …« Er verstummte und betrachtete das Bild. Sie konnte ihm ansehen, wie er zu verarbeiten versuchte, was er da gezeigt bekam. Dann begriff er, und mit einem Mal strahlte er über das ganze Gesicht.

»Gerade eben reingekommen«, flüsterte sie mit rauer Stimme. Ihre Kehle war auf einmal vor Freude wie zugeschnürt.

Ohne ein weiteres Wort schlang Tobias die Arme um sie und drückte sie an sich. In dem Moment verlor Alexandra endgültig die Beherrschung und ließ ihren Tränen freien Lauf. Dabei klammerte sie sich so fest an Tobias, als wären sie selbst soeben um Haaresbreite dem Tod entronnen.

Alexandra wusste nicht, wie lange sie so dastanden, aber irgendwann wurde ihr bewusst, dass sie lediglich ein kurzes Nachthemd und Tobias nichts als eine Boxershorts trug. Sie konnte seine nackte Haut unter ihren Händen spüren und löste sich verlegen von ihm. Fahrig wischte sie sich über das Gesicht. »Wir sollen ihn gegen Mittag abholen, hat Doktor Paressi geschrieben.«

Er nickte lächelnd. »Das war der beste Grund, den du haben konntest, um mich zu wecken.«

»Ja.« Kurz drückte sie ihre Wange an seine. »Er ist über den Berg! Ich bin so froh!«

»Ich auch«, antwortete er.

»Ja«, sagte sie noch einmal und spürte, wie sie errötete. Wieder fühlte sie sich so seltsam befangen! »Ich gehe dann mal zurück in mein Zimmer. Eine Stunde können wir ja noch schlafen.«

»Zwei Stunden«, korrigierte er sie. »Es ist Sonntag, und am Sonntagmorgen dürfen die Gäste ›ausschlafen‹ … bis sieben Uhr.«

»Was für ein Luxus!«, lachte sie und huschte schnell davon.

Es war kurz nach halb acht, als Alexandra und Tobias gemeinsam das Refektorium betraten. Die Mönche – darunter auch einige, die sie bislang noch nicht kennengelernt hatten – saßen an der Tischreihe auf der rechten Seite, die Hotelgäste an der auf der linken Seite. Leises Gemurmel und das Klirren von Geschirr und Besteck waren zu hören.

Alexandra nahm neben Tina Wittecker Platz, Tobias setzte sich ihr gegenüber hin. Die Leiterin des Mahlzeitendienstes machte wie ihre Kollegen noch einen recht verschlafenen Eindruck, aber als sie Alexandra sah, lächelte sie freundlich.

»Guten Morgen, Frau Berger«, sagte sie. »Hallo, Herr Rombach.« Obwohl es noch so früh am Tag war, war sie bereits perfekt geschminkt.

Sie erwiderten die Begrüßung, und Tina Wittecker stellte gleich darauf fest: »Sie beide sehen auch ziemlich geschafft aus, wenn ich das einmal so sagen darf. Dabei mussten Sie sich doch gestern Abend gar nicht den Vortrag unseres hochverehrten Herrn Assmann anhören.«

»Oh, hat er noch lange auf Sie eingeredet?«, erkundigte sich Alexandra.

»Ja, ich meine, es war Viertel vor elf, als wir uns endlich in unsere Zimmer zurückziehen durften. Der Gute konnte gar kein Ende finden. Und dann diese unterschwelligen Drohungen, weiteren Mitarbeitern zu kündigen.« Sie nahm eine Scheibe Brot, verteilte ein wenig Margarine darauf und zog sich dann den Käseteller heran. »Er versucht wirklich, Wilden in jeder Hinsicht zu übertreffen. Und ich glaube, dass der Vorstand ihm die kommissarische Leitung des Verbands übertragen wird.«

»Oh«, entfuhr es Alexandra. »Das dürfte aber einigen Leuten gar nicht gefallen.«

Tina Wittecker grinste sie an. »Sehen Sie mal ans Tischende, was da für eine Stimmung herrscht!«

Alexandra beugte sich vor, um nach der Kaffeekanne zu greifen, dabei warf sie einen unauffälligen Blick in die angegebene Richtung. Die Bereichsleiter saßen dort und starrten so finster vor sich hin, als hätten sie in der vergangenen Nacht die Kündigung erhalten. Sie schenkte sich Kaffee ein.

Tobias war ihrem Blick gefolgt. »Wo ist eigentlich Assmann?«, fragte er scheinbar ahnungslos und sah sich suchend im Refektorium um. Bevor Alexandra und er zum Frühstück gekommen waren, hatten sie noch einmal an Assmanns Zimmertür geklopft – ohne eine Antwort zu erhalten. Als sie ihn dann auf dem Handy angerufen hatten, war kein Telefonklingeln aus dem Zimmer zu hören gewesen, und Assmann hatte sich nicht gemeldet.

»Noch nicht aufgetaucht«, sagte die Angestellte. »Phh, vielleicht wartet er ja darauf, dass ihm das Frühstück auf dem Zimmer serviert wird. Soll er ruhig hungern, dann hat er wenigstens mal einen guten Grund für seine schlechte Laune.«

Alexandra nickte nur. Offenbar waren Tobias und sie die Einzigen, die von der geplanten Übergabe des Laptops an Kurt Assmann wussten. Sie beschlich ein ungutes Gefühl. Nicht, dass Assmann etwas zugestoßen war! Alexandra nahm sich vor, ihm gegen zehn Uhr noch einmal eine SMS zu schicken, in der sie ihn dringend aufforderte, sich baldmöglichst bei ihr zu melden. Notfalls mussten sie versuchen, seine Freundin zu erreichen, und sie fragen, ob sie in der vergangenen Nacht etwas von Assmann gehört hatte.

»Guten Morgen, Frau Berger«, riss eine leise Stimme Alexandra aus ihren düsteren Gedanken. Sie hob den Kopf und entdeckte Bruder Johannes neben ihrem Tisch. »Haben Sie Neuigkeiten von Kater Brown?«

Alexandra schüttelte den Kopf. Beim Anblick seiner besorgten Miene fiel es ihr zwar nicht leicht, den Mönch im Ungewissen zu lassen, aber sie konnte nicht riskieren, dass er etwas ausplauderte, was niemand wissen sollte. Vielleicht würde sich der Giftattentäter ja selbst verraten, solange er im Unklaren war, ob Kater Brown überlebt hatte. »Nein, leider nicht.«

»Sprechen Sie von dem schwarzen Kater, der Ihnen schon die ganze Zeit nachläuft?«, erkundigte sich Yvonne Tonger, die neben Tobias saß und die Frage des Mönchs mitbekommen hatte. »Ist er etwa entlaufen?«

»Nein«, antwortete Alexandra. »Offenbar wurde er vergiftet.«

Kaum hatte sie ausgesprochen, machte sich am Tisch erschrockenes Schweigen breit. Alle Angestellten sahen zu ihr herüber, und Alexandra nutzte genauso wie Tobias die Gelegenheit, um die Mienen der Leute genauer zu studieren. Einige waren sichtlich entsetzt, andere schauten ungläubig drein, und ein paar wenige – vor allem Groß, Dessing und Kramsch – demonstrierten völliges Desinteresse. Vielleicht lag es daran, dass die leitenden Angestellten zu sehr mit Wildens mutmaßlicher Nachfolge beschäftigt waren, dass das Schicksal einer Katze sie so kaltließ.

»Wussten Sie das nicht?«, fragte Alexandra verwundert in die Runde. »Ich dachte, das hätte sich längst herumgesprochen.«

»Das ist der Unterschied zwischen einem Kloster und einem Marktplatz«, warf Bruder Johannes ein und lächelte sanft. »Wenn Sie gefrühstückt haben, können wir wie verabredet in den Keller hinuntergehen. Sagen Sie einfach Bescheid, wenn Sie beide fertig sind.«

Als Bruder Johannes an seinen Tisch zurückkehrte, ließ Alexandra einen kritischen Blick über die versammelten Mönche wandern, die in ihr Frühstück vertieft waren und schwiegen. Keiner von ihnen sah in ihre Richtung.

Stattdessen bombardierten die Angestellten des Laurentius-Hilfswerks sie mit Fragen zu dem Giftanschlag, die Tobias und Alexandra so vage wie möglich beantworteten.

Nachdem sie zu Ende gefrühstückt hatten, gab Bruder Johannes ihnen ein Zeichen. »Kommen Sie bitte!«, sagte er, ging ihnen voran ins Foyer und nahm den Bund mit den Kellerschlüsseln vom Schlüsselbrett. Dann geleitete er sie zu der Kellertür.

Er schloss auf und betätigte einen Lichtschalter links neben dem Türrahmen. Eine Reihe von Deckenlampen flammten auf und sorgten in dem schmalen Treppenhaus für genügend Helligkeit.