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Sie beugte sich weiter vor und entdeckte des Rätsels Lösung: Etwa einen halben Meter unter dem Fenster verlief ein Mauervorsprung, gerade breit genug, dass sich eine Katze darauf fortbewegen konnte. Er war allerdings leicht abgerundet, sodass ein Einbrecher sich kaum daran würde festhalten können, um sich nach oben zu ziehen und ins Zimmer einzusteigen. Also konnte sie getrost das Fenster offen lassen, damit Kater Brown auch noch einen Weg ins Freie fand, nachdem sie das Zimmer verlassen hatte.

Doch diese Rechnung hatte sie ohne den Kater gemacht. Gerade als Alexandra die Tür schließen wollte, sprang er von der Fensterbank, hastete durchs Zimmer und zwängte sich durch den Türspalt. »Oh, du hast es dir also doch noch anders überlegt«, sagte sie und schloss ab.

Kater Brown strich um ihre Beine herum, dann legte er sich auf die Fensterbank am Ende des Korridors und schlug die Pfoten unter.

Alexandra kraulte ihn noch einen Moment und machte sich schließlich auf den Weg.

Kater Brown blieb liegen und sah der Frau mit den langen blonden Haaren nach, wie sie sich langsam entfernte. Er mochte sie, auch wenn sie sich zuerst vor ihm erschreckt hatte. Aber sie war nett und hatte ihn ausgiebig gekrault. Dazu hatte sie sich sogar extra neben ihn gehockt. Die meisten Menschen bückten sich nur kurz und tätschelten ihm den Kopf, blieben aber dabei diese großen Gestalten mit den langen Beinen, mit denen sie oft ziemlich unvorsichtig umgingen, wenn er ihren Weg kreuzte. Doch die blonde Frau war sehr umsichtig mit ihm gewesen.

Vielleicht würde er sie ja in den Keller führen können, um ihr seine Entdeckung zu zeigen. Mit ein bisschen Glück würde diese Frau verstehen, was er von ihr wollte.

Kater Brown kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und beschloss, erst einmal eine Weile zu dösen.

Jenseits der luxemburgischen Grenze entdeckte Alexandra am Rande des verschlafenen Dörfchens Vianden einen kleinen, aber gut sortierten Supermarkt, in dem sie sich zunächst mit Sandwiches, Kartoffelsalat und einigen Tüten Chips eindeckte, ehe sie zur angrenzenden Tankstelle fuhr, um den Wagen vollzutanken.

Der Mann an der Kasse legte die Zeitung zur Seite, in der er geblättert hatte, nahm ihre Kreditkarte entgegen und zog sie durch das Lesegerät. Doch es tat sich nichts. Nur die Anzeige Bitte warten blinkte immer wieder auf.

»Ist ja typisch«, murmelte der Tankwart und wiederholte die Prozedur. »Ab Freitagnachmittag schaltet das Rechenzentrum auf Wochenende um, und ich kann zusehen, wie ich hier mit meiner Kundschaft klarkomme.«

»Na ja, auf ein paar Minuten kommt es mir nicht an«, sagte sie und betrachtete weiter die blinkende Bitte warten-Anzeige.

»Und?«, fragte er. »Müssen Sie heute noch zurück nach Düsseldorf?« Mit einer Kopfbewegung deutete der Tankwart auf ihren Wagen. Offenbar hatte er das Kennzeichen gesehen.

»Nein, zum Glück nicht. Von dort bin ich heute Vormittag erst aufgebrochen, und die Fahrt bis zum Klosterhotel hat mir gereicht.«

Der Mann verzog die Mundwinkel. »Oh, Sie sind bei den Scheinheiligen abgestiegen.«

»Den Scheinheiligen?«, wiederholte sie neugierig. »Wie meinen Sie das?«

»Na, sehen Sie sich den Verein doch mal an!«, ereiferte er sich so plötzlich, als hätte er nur auf eine Gelegenheit gewartet, sich irgendeinen angestauten Frust von der Seele zu reden. »So fromm, wie die alle tun, sind die auch nicht.«

»Ich verstehe nicht …«

»Überlegen Sie doch mal. Da tun die ständig so, als hätten sie kein Geld, und dann macht sich deren Boss mit ein paar Millionen aus dem Staub. So viel Geld muss man erst mal haben! Möchte wissen, wie die diese Menge Kohle zusammengetragen haben. Ob da alles legal gelaufen ist, wage ich mal zu bezweifeln.«

Alexandra zuckte mit den Schultern. »Ich habe mich vorab über das Kloster erkundigt und bin nirgendwo auf Hinweise gestoßen, dass außer dem Abt noch irgendjemand gegen Gesetze verstoßen hat«, sagte sie, um dem Mann mehr zu entlocken.

»Ach, kommen Sie«, hielt der Tankwart dagegen. »Wie der Herr, so ’s Gescherr. So heißt das doch, nicht wahr? Als hätte sich da nur der Boss bedient! Und selbst wenn der als Einziger in die Kasse gegriffen hat, sind die anderen nicht besser. Ich habe von regelmäßigen Saufgelagen gehört, und die Chrissie, die Tochter vom Hausmeister des Landschulheims, soll von einem dieser Kuttenträger schwanger sein.«

»Na ja, Mönche sind auch nur Menschen.« Sie hörte selbst, wie abgedroschen ihre Bemerkung klang, doch sie wollte den Mann am Reden halten.

»Nee, nee. Das sind doch Kirchenleute. Die Kirche soll lieber den Armen helfen, anstatt dem Papst zig Weltreisen im Jahr zu spendieren.« Er schüttelte murrend den Kopf. »Ich wünschte, ich hätte ein paar Millionen, mit denen ich mich absetzen könnte.« Stirnrunzelnd sah er wieder auf das Display. »Ah, jetzt geht’s.« Er reichte ihr die Kreditkarte und den Kassenbon. »Gute Fahrt wünsche ich Ihnen.«

»Ja, danke«, sagte sie mit ein wenig Bedauern in der Stimme. Eigentlich hätte sie noch gern etwas mehr über die Gerüchte erfahren, die das Kloster zum Thema hatten, aber offenbar war der Tankwart nur so lange an Smalltalk mit einer Kundin interessiert, bis der Bezahlvorgang abgeschlossen war. Nicht, dass Alexandra viel auf dieses pauschalisierende Gerede gegeben hätte, doch es war immer interessant, dem »Volk aufs Maul zu schauen«, wie sie das in der Redaktion nannten.

Der Mann hatte bereits wieder die Zeitung aufgeschlagen. Mehr war ihm also nicht zu entlocken. Mit einem kurzen Gruß verließ Alexandra die Tankstelle und ging zu ihrem Wagen.

Es war gegen vier Uhr, als Alexandra ins Klosterhotel zurückkehrte. Nachdem sie die Einkäufe im Schrank verstaut hatte, verließ sie ihr Zimmer und lief dabei ausgerechnet wieder Bernd Wilden in die Arme. Er hatte soeben ein neues Opfer gefunden, einen Mönch, der damit beschäftigt war, den langen Korridor zu fegen.

»Können Sie dafür nicht einen nassen Aufnehmer benutzen, verdammt noch mal?«, zeterte er, als er den Mann mit dem Besen erreicht hatte. »Mit diesem Ding wirbeln Sie mehr Staub auf, als Sie überhaupt wegfegen können.«

»Tut mir leid, aber dann wird der Fußboden rutschig, und wir wollen nicht, dass jemand stürzt«, gab der ältere, etwas beleibte Mönch leise zurück. Er trug sein weißes Haar so kurz geschnitten, dass man fast meinen konnte, er hätte eine Glatze.

»Dann stellen Sie eben Schilder auf, dass der Boden rutschig ist«, entgegnete Wilden, der plötzlich bemerkte, dass Alexandra ein Stück von ihm entfernt vor ihrem Zimmer stand und sich das Schauspiel ansah. »In einem vernünftigen Hotel ist das Personal im Übrigen für die Gäste unsichtbar. Da wird gefegt und gewischt und sauber gemacht, wenn niemand da ist, der sich davon gestört fühlen könnte.«

Alexandra hatte von diesem Auftreten jetzt wirklich genug, auch wenn Wildens Unverschämtheiten diesmal nicht gegen sie gerichtet waren. Energisch ging sie auf die beiden Männer zu. »Sagen Sie, Herr Wilden, müssen Sie sich eigentlich immer und überall so aufblasen?«

Wilden drehte sich zu ihr um. »Reden Sie mit mir?«

»Mit wem denn sonst?«, konterte sie.

»Wenn Sie schon meinen, Sie müssten mich ansprechen, dann sparen Sie sich wenigstens Ihren Sarkasmus! Ein einfaches ›Ja‹ hätte ausgereicht und mich nicht so viel Zeit gekostet.«

»Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Müssen Sie sich immer so aufspielen? Ist das eine Art Zwang bei Ihnen?«

»Ich gebe Ihnen jetzt mal einen kostenlosen Ratschlag, den Sie sich zu Herzen nehmen sollten, junge Dame. Es gibt eine wichtige Regel, wie man sich als Untergebener in der Öffentlichkeit zu verhalten hat: Man soll sich nie mit einem Fremden anlegen. Es könnte ja sein, dass er schon morgen Ihr Vorgesetzter wird, und dann stehen Sie mit ganz, ganz schlechten Karten da.«