Выбрать главу

»… das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen – genau!« Ohne eine Miene zu verziehen, zerrte der Texaner eine russische Pistole vom Typ Makarow PM aus seinem Jackett und fuchtelte damit vor dem Gesicht des vermeintlichen Kollegen herum. Dass Letzterer nicht einmal mit der Wimper zuckte, fiel ihm im Eifer des Gefechts nicht auf. »Wie gut, dass Sie keinen Schaden mehr anrichten können.« Der Koloss lachte hämisch in sich hinein. »Diese Dokumente, meine ich. Und natürlich auch du, feiner Pinkel. Typen wie dich habe ich nämlich gefressen.«

»Ein Grund mehr, mich zu töten, nicht wahr?«

»Du hast es erfasst, Klugscheißer!«, bekräftigte der CIA-Agent, zielte auf seinen Gegenspieler und drückte mit einem schmierigen Lächeln im Gesicht so lange ab, bis sein Magazin komplett leergeschossen war.

»Reingefallen, was?«

Wie vom Donner gerührt, stand der Texaner einfach nur da und starrte das Objekt seiner Aversionen mit weit aufgerissenen Augen an. Seine Pistole hatte funktioniert, der Schalldämpfer auch. Das Magazin war voll gewesen, die verdammte Knarre so gut wie neu.

Irrtum ausgeschlossen!

Der Zweizentnermann verstand die Welt nicht mehr.

Alles hätte wie am Schnürchen geklappt. Er, Special Agent Dave Bradlee, 32, den sie zu Hause in Blackwell/Texas ›Beefeater‹ nannten, hätte seinen Job erledigt, samt Koffer und dazugehöriger Geheimdokumente die Fliege gemacht und sie am Bahnhof Zoo seinem Führungsoffizier übergeben, um sich anschließend Richtung Heimat zu verkrümeln.

Wenn, ja wenn sein Kontrahent, den er mit einer Mischung aus Wut, Verblüffung und lähmender Hilfslosigkeit anglotzte, nicht so verdammt clever gewesen wäre.

Dave Bradlee, aus dessen Mundwinkel der Speichel perlte, sein Flanellhemd bekleckerte und ihn wie den Trottel vom Dienst erscheinen ließ, stöhnte innerlich auf. Eine kugelsichere Weste. Eine gottverdammte, kugelsichere und allem Anschein nach funktionstüchtige Weste. So etwas konnte auch nur ihm passieren.

»Wie schön, dass Sie endlich auf den Trichter gekommen sind. Wurde auch langsam Zeit.« Der Zarewitsch, geboren in Leningrad, Ex-NKWDler20 und vor nunmehr acht Jahren von der CIA angeworbener Major des sowjetischen MGB, stand die Belustigung ins Gesicht geschrieben. Wie nicht anders zu erwarten, währte diese jedoch nur kurz. »Einen Rat unter Kollegen –«, amüsierte er sich, eine Smith & Wesson in der feingliedrigen Hand, während er sich mit der anderen einen kubanischen Zigarillo in den Mundwinkel klemmte und es scheinbar mühelos fertigbrachte, ihn auch noch zu entzünden, »an Ihrer – oder sollte ich sagen: An deiner Stelle? – würde ich mich umgehend nach einem neuen Arbeitgeber umsehen. So viel Dilettantismus auf einmal bringt nur Ärger.«

»Leck mich am Arsch, Dressman.«

»Was mich zu Ihren Manieren bringt, an denen es noch so manches zu verbessern gibt. Nichts schlimmer als ein Vertreter seines Landes, der sich nicht zu benehmen weiß oder in kritischen Situationen die Fassung verliert.« Der Zarewitsch lehnte sich zurück und paffte ungeniert vor sich hin. »Nicht weiter tragisch, wenn man bedenkt, was Sie sich sonst noch geleistet haben.«

»Halt endlich die Klappe, sonst …«

»Sie haben meinen Anzug ruiniert. Geradezu unverzeihlich, wenn Sie mich fragen. Genauso unverzeihlich wie Ihr Versuch, mich wie einen räudigen Köter zu liquidieren. So etwas tut man einfach nicht. Schon gar nicht unter Kollegen, finden Sie nicht auch?« Die Miene des ehemaligen NKWD-Offiziers erstarrte. »Nun gut, keine Antwort ist auch eine Antwort«, resümierte er, erhob sich und schlenderte auf seinen Widersacher zu, die Smith & Wesson immer noch in der Hand. »Sieht so aus, als müsste ich zu einer härteren Gangart übergehen. Machen wir es also kurz. Wer hat Sie auf mich angesetzt?«

»Vergiss es, Russki.«

»Wie ich sehe, sind Sie gut informiert.« Scheinbar teilnahmslos und ohne die Spur einer Gemütsregung blies der Zarewitsch seinem Widersacher den Rauch ins Gesicht, zielte auf Bradlees rechtes Bein und drückte ab.

Sekundenbruchteile später, noch ehe sich der süßlich duftende Zigarillorauch verflüchtigt hatte, heulte der CIA-Agent vor Schmerzen auf, ließ seinen Koffer fallen und umklammerte seinen fettstrotzenden Oberschenkel, aus dem das Blut zunächst tropfenweise, danach aber wie aus einer üppig sprudelnden Quelle hervorsickerte. Eine Weile noch taumelte Dave Walker Bradlee, Kurier in Diensten der CIA, wie ein riesiges, zum Kippen gebrachtes Fass hin und her. Dann aber, einen obszönen Fluch auf den Lippen, verlor er das Gleichgewicht, schlingerte, wimmerte, geiferte – und brach zu Füßen des Zarewitsch zusammen.

»Etwas dagegen, wenn wir unsere freundschaftliche Unterredung fortsetzen?«, lautete seine Frage, bevor er den Zigarillo in einen Abfalleimer warf und seine Smith & Wesson auf die Stirn seines Widersachers richtete. »Nein? Freut mich zu hören, Herr Kollege – schießen Sie los!«

6

Berlin-Charlottenburg, Bahnhof Zoo | 04.56 Uhr

Jim Brannigan, Führungsoffizier in Diensten der CIA, verstand die Welt nicht mehr. Zuerst hatte es geheißen, der Zarewitsch sei vermutlich hopsgenommen und vom KGB exekutiert worden.

Und dann, wie aus heiterem Himmel, er sei noch am Leben.

Da sollte mal einer schlau daraus werden.

Egal, was dahintersteckte, sein Schicksal ließ Brannigan nicht kalt. Zum einen, weil er den Zarewitsch angeworben, unter seine Fittiche genommen und einen Agenten aus ihm gemacht hatte, der bei der CIA seinesgleichen suchte. Aber auch, weil ihm der smarte Halbrusse während der acht Jahre, in denen er mit ihm zusammengearbeitet hatte, ans Herz gewachsen war. Das war natürlich ein Fehler, namentlich in diesem Job. Für Dinge wie Loyalität, Rücksichtnahme oder gar persönliche Sympathie war bei der CIA kein Platz. Da war man auf sich allein gestellt, da fraß man, um nicht gefressen zu werden. Nur so konnte man in der Branche, welcher er seit knapp 30 Jahren angehörte, überleben. Nur so, und nicht, indem man wie er den großen Bruder spielte. Das hatte er nach dem Anruf von Calabrese, der ihn vor einer guten halben Stunde erreicht hatte, wieder einmal zu spüren bekommen.

An Deutlichkeit hatten die Worte von Flabby21 Luke, die er zunächst für einen Scherz gehalten hatte, nämlich nicht zu wünschen übrig gelassen. Konspirative Zusammenkunft am Lehrter Stadtbahnhof, Übergabe hochbrisanter Dokumente und umgehende Liquidierung des seit mehreren Monaten verschollenen CIA-Agenten durch einen Kurier. Genauso hatte sich Calabrese ausgedrückt. Der 49-jährige, auf einen Gehstock gestützte und dank Halbglatze, ergrauter Schläfen und zerfurchten Gesichtszügen wesentlich älter wirkende Führungsoffizier der CIA konnte es immer noch nicht fassen. So etwas musste man erst einmal verdauen, selbst, wenn man wie er jahrzehntelang für die Firma tätig gewesen war. Vor allen Dingen, weil sich Calabrese über den Grund für seine Order ausgeschwiegen und sein beharrliches Nachfragen mit den Worten abgewürgt hatte, dies sei ein Befehl. Und daran habe er sich zum Teufel noch mal zu halten. Kontaktaufnahme, Sicherstellung der Geheimunterlagen und anschließende Liquidierung. Einwände und Fragen unerwünscht.

Wie gesagt, da sollte mal einer schlau daraus werden.

Um sich abzulenken, nahm Jim Brannigan einen Schluck aus seinem Flachmann, steckte ihn wieder ein und ließ den Blick über den beinahe menschenleeren Bahnsteig wandern. Er war ein Mann, der nichts dem Zufall überließ, auch jetzt nicht, wo außer einer alten Frau, zwei einander lauthals zuprostenden Halbstarken und ihm selbst kein Mensch oder sonst etwas Verdächtiges zu sehen war. In ein, zwei Minuten würde die S-Bahn ankommen, Bradlee aussteigen und die Dokumente, an denen den Jungs in Langley offenbar so viel lag, auf diskrete Art und Weise in den dafür auserkorenen Abfalleimer werfen. Nach getaner Arbeit würde der Texaner, dem der Ruf des geborenen Killers vorauseilte, schleunigst das Weite suchen und er, Brannigan, besagte Unterlagen an sich nehmen, um sie unmittelbar danach einem Vertrauten von Calabrese auszuhändigen. Offenbar stand für die Herren in Virginia und Washington einiges auf dem Spiel, sonst hätte sich der Leiter von DECOP nicht die Mühe gemacht, höchstpersönlich auf der Bildfläche zu erscheinen. Brannigan hatte keine Ahnung, weshalb Calabrese einen derartigen Aufstand machte, aber da er sich abgewöhnt hatte, über Anweisungen von höchster Stelle nachzudenken, ließ er das Herumrätseln sein und wandte sich nach links, wo in der Ferne bereits die Lichter des Zuges auftauchten, in dem Bradlee vermutlich saß.