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Stockdale bückte sich nieder und hielt das schwankende Dollbord mit einer Faust fest. Sein Blick ruhte auf den bewegungslos sitzenden Ruderern.»Ein feiner Tag für den neuen Anfang, Sir«, meinte er mit heiserer Stimme. Ein schlanker Fähnrich erhob sich im Kutter und zog weit ausholend seinen Hut. Er war ein gutaussehender, etwa achtzehnjähriger junger Mann, braungebrannt wie ein Eingeborener.

«Mein Name ist Heyward, Sir. «Er wand sich unter Bolithos kühlem Blick.»Ich — ich wurde geschickt, um Sie an Bord zu bringen.»

Bolitho nickte.»Danke, Mr. Heyward. Unterwegs können Sie mir über das Schiff berichten.»

Er wartete, bis Stockdale und der Fähnrich seine Seekiste und seine Taschen im Boot verstaut hatten, dann sprang er auf die Achterbank hinunter.

«Vorne abstoßen! Riemen bei!»

Heyward schien sich der Nähe seines neuen Kapitäns sehr bewußt zu sein.»Ruder an!»

Wie ausgebleichte Knochen hoben und senkten sich die Riemen mit regelmäßiger Genauigkeit. Bolitho blickte rasch über die beiden Reihen der Ruderer hin. Sie waren sauber in Paradehemden und weiße Hosen gekleidet und sahen kräftig und gesund aus. Manche Leute behaupteten, man könne ein Schiff immer nach seinen Booten beurteilen. Bolitho war anderer Meinung. Es gab Kapitäne, die ihre Boote wie Schaustücke pflegten, während an Bord ihrer Schiffe die Leute kaum besser als Tiere lebten.

Die Gesichter der Ruderer — die gewöhnlichen, bekannten Seemannsgesichter — blieben verschlossen und ausdruckslos, um Bolithos prüfendem Blick nicht aufzufallen. Sicherlich war jeder neugierig auf den neuen Kapitän. Für den Seemann war sein Kapitän kaum viel weniger als Gott. Er führte sie und konnte seine Geschicklichkeit im Kampf zu ihren Gunsten anwenden. Genausogut aber konnte er ihr Leben in eine tägliche Hölle verwandeln, und es gab niemand, der sich ihre Proteste und Beschwerden anhörte.

«Seit drei Tagen liegen wir hier vor Anker, Sir«, sagte der Fähnrich unsicher.

«Und vorher?»

«Patrouillendienst vor Guadeloupe. Wir sichteten eine französische Brigg, aber sie ist uns entkommen, Sir.«»Wie lange dienen Sie schon auf der Sparrow?«»Zwei Jahre, Sir, seitdem sie auf der Themse bei Greenwich in Dienst gestellt wurde.»

Stockdale straffte seinen Oberkörper.»Da liegt sie, Sir, genau backbord voraus.»

Bolitho saß aufrecht im Heck. Er wußte, daß ihn jedermann anstarren würde, sobald er seine Augen vom Kutter abwandte. Kaum konnte er seine Erregung verbergen, als er zu der Korvette hinüberspähte, die jetzt hinter einem schweren Transportschiff in Sicht kam. Sie lag fast bewegungslos über ihrem Spiegelbild in der See. Ihre Flagge tupfte einen roten Farbfleck auf die dunstverhangenen Hügel des Hinterlandes.

Bolitho hatte während seiner Dienstzeit viele Korvetten gesehen. Gleich den Fregatten waren sie überall und immer im Einsatz. Als Mädchen für alles, als die Augen der Flotte, waren sie in allen Marinestützpunkten üblich. Aber Bolitho bemerkte im ersten Augenblick, daß diese Korvette sich von allen anderen unterschied. Von den sanft kreisenden Masttopps bis zur Linie der geöffneten Geschützpforten war sie eine vollkommene Schönheit, eine hochgezüchtete Miniaturfregatte, ein Schiff, das sich nach der freien See zu sehnen schien.

«Steuern Sie rund ums Schiff«, hörte sich Bolitho sagen.

Als die Pinne herumschwang, war sich Bolitho der Stille bewußt, die nur durch das Spülen des Heckwassers und das rhythmische Knarren der Riemen gebrochen wurde. Er fühlte sich ganz allein, als ob er diesen Augenblick mit niemand teilte. Wie ein schräg geneigter schwarzer Finger glitt der lange Klüverbaum der Korvette über seinen Kopf hin, und ein paar Sekunden lang starrte er zur Gallionsfigur unter dem Bugspriet hinauf. Ein mannsgroßer Sperling mit zornig aufgerissenem Schnabel und kampfbereit ausgebreiteten Schwingen hielt in seinen Klauen ein vergoldetes Büschel von Eichenblättern und Eicheln. Bolitho vermochte seine Augen nicht von der Figur loszureißen, bis das Boot den Bug umrundet hatte und unter der Steuerbord- Ankerklüse vorbeiglitt. Nie hatte er geglaubt, daß e in Sperling so kriegerisch dargestellt werden könnte.

Er war überrascht, als sein Blick auf die Geschützmündung in der ersten Stückpforte fiel.

«Wir führen einen Zweiunddreißigpfünder an jeder Seite des Bugs, Sir«, sagte Heyward respektvoll.»Dann haben wir auf dem Geschützdeck noch sechzehn Zwölfpfünder. «Er zog sich etwas zurück, als Bolitho sich nach ihm umwandte.»Verzeihung, Sir, ich wollte mich nicht aufdrängen.»

Bolitho lächelte und berührte seinen Arm.»Ich bin nur etwas überrascht. Für ein so kleines Schiff scheint die Sparrow recht schwere Artillerie an Bord zu haben. «Er schüttelte seinen Kopf.»Diese beiden Buggeschütze müssen schon so manchem Feind einen Schock versetzt haben. Auf Korvetten sind sonst doch eher Neunpfünder üblich.»

Der Fähnrich nickte, doch blieben seine Augen auf den Schiffsrumpf gerichtet. Mit gespannt zusammengekniffenen Lippen paßte er den rechten Augenblick zur Wende ab.

«Ruder Steuerbord!»

Der Kutter schwang in einem engen Bogen herum und glitt auf das Fallreep zu. Viele Köpfe waren über dem Schanzkleid aufgereiht, und Bolitho sah eine blauweiße Offiziersuniform neben der Einstiegspforte und eine Gruppe von Seeleuten beim Hauptmast.

«Riemen hoch!»

Das Boot trieb gegen das Fallreep, wo der Bugmann mit genau abgemessener Bewegung seinen Bootshaken ansetzte.

Bolitho erhob sich im Heck, er wußte, daß alle Augen auf ihn gerichtet waren, daß Stockdales erhobene Hand bereit war, ihn zu stützen, falls er das Gleichgewicht verlieren sollte. Er dachte an den neuen Degen an seiner Hüfte, aber er wollte nicht nach unten schauen, um sich zu vergewissern, daß er ihm beim Hinaufklettern über die lose schlackernde Jakobsleiter nicht zwischen die Beine geriet.

Mit einem raschen Atemzug griff er zu und zog sich aus dem Kutter hoch. Er war fast auf alles vorbereitet gewesen, doch als er mit Kopf und Schultern in der Schanzkleidpforte auftauchte, brachte ihn das durchdringende Schrillen der Bootsmannspfeifen beinahe aus der Fassung. Mehr als alles andere schien ihm dieser Salut des Schiffes an seinen Kapitän zeigen zu wollen, welch großen Schritt er mit seiner Beförderung vom Leutnant zum Kommandanten getan hatte.

Es fiel ihm sehr schwer, in diesen kurzen, gedrängten Augenblicken alles aufzufassen und zu begreifen. Die gezogenen Säbel, die Bootsmannsmaaten mit den Silberpfeifen an den Lippen, die halbnackten Seeleute auf den Planken und hoch oben in den Wanten. Er spürte, wie sich das Deck unter seinen Füßen leise hob und senkte. Die Veränderung, die dieses Schiff für ihn brachte, überwältigte ihn aufs neue. Nach der Schwerfälligkeit der Trojan mit ihrem gewaltigen Gewicht an Geschützen und Spieren schien diese Korvette lebendig zu sein.

Als Bolitho seinen Hut abnahm, trat ein Offizier auf ihn zu.

«Willkommen an Bord, Sir! Mein Name ist Graves, Zweiter Leutnant.»

Bolitho blickte ihn forschend an. Der Leutnant war jung und schlank, aber in seinen düsteren Gesichtszügen herrschte die Vorsicht eines viel älteren Mannes.

Mit einer halben Wendung wies er über das Deck hin.»Wir alle hoffen, daß Sie sich hier wohl fühlen.»

«Und der Erste Leutnant?«fragte Bolitho.

Graves blickte weg.»Auf dem Flaggschiff, Sir. Er hatte eine Verabredung. «Rasch wandte er sich wieder Bolitho zu.»Ich bin überzeugt, es soll keine Respektlosigkeit sein.»

Bolitho nickte. Graves' Erklärung war zu schnell, zu glatt. War es die Äußerung eines Mannes, der die Aufmerksamkeit des Kapitäns auf das Verhalten eines abwesenden Offiziers lenken wollte, indem er ihn entschuldigte?