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Die letzten Worte hatte der Kammerdiener dem Jäger mit vorgehaltener Hand ins Ohr gesprochen. Der Jäger fuhr zurück, schnitt ein bedenkliches Gesicht und rief: "Ist es möglich!" —

"Ja," fuhr der Kammerdiener fort, "es war unbezweifelt unsere gnädige Exzellenz, was mir auf dem Korridor durch die Beine fuhr. Ich vernahm nun deutlich, wie der Gnädige in den Zimmern die Stühle heranrückte und sich die Türe eines Zimmers nach dem andern öffnete, bis er in sein Schlafkabinett angekommen. Ich wagt' es nicht nachzugehen, aber ein paar Stündchen nachher schlich ich mich an die Türe des Schlafkabinetts und horchte. Da schnarchten die liebe Exzellenz ganz auf die Weise, wie es zu geschehen pflegt, wenn Großes im Werke. — Jäger! 'es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als unsere Weisheit sich träumt,' das hört' ich einmal auf dem Theater einen melancholischen Prinzen sagen, der ganz schwarz ging und sich vor einem ganz in grauen Pappendeckel gekleideten Mann sehr fürchtete. — Jäger! — es ist gestern irgend etwas Erstaunliches geschehen, das die Exzellenz nach Hause trieb. Der Fürst ist bei dem Professor gewesen, vielleicht äußerte er das und das — irgendein hübsches Reformchen — und da ist nun der Minister gleich drüber her, läuft aus der Verlobung heraus und fängt an zu arbeiten für das Wohl der Regierung. — Ich hört's gleich am Schnarchen; ja Großes, Entscheidendes wird geschehen! — O Jäger — vielleicht lassen wir alle über kurz oder lang uns wieder die Zöpfe wachsen! — Doch, teurer Freund, lassen Sie uns hinabgehen und als treue Diener an der Türe des Schlafzimmers lauschen, ob Se. Exzellenz auch noch ruhig im Bette liegen und die inneren Gedanken ausarbeiten."

Beide, der Kammerdiener und der Jäger, schlichen sich hin an die Türe und horchten. Zinnober schnurrte und orgelte und pfiff durch die wundersamsten Tonarten. Beide Diener standen in stummer Ehrfurcht, und der Kammerdiener sprach tiefgerührt: "Ein großer Mann ist doch unser gnädige Herr Minister!" -

Schon am frühsten Morgen entstand unten im Hause des Ministers ein gewaltiger Lärm. Ein altes, erbärmlich in längst verblichenen Sonntagsstaat gekleidetes Bauerweib hatte sich ins Haus gedrängt und dem Portier angelegen, sie sogleich zu ihrem Söhnlein, zu Klein Zaches zu führen. Der Portier hatte sie bedeutet, daß Se. Exzellenz der Herr Minister von Zinnober, Ritter des grüngefleckten Tigers mit zwanzig Knöpfen, im Hause wohne, und niemand von der Dienerschaft Klein Zaches hieße oder so genannt werde. Da hatte das Weib aber ganz tolljubelnd geschrien, der Herr Minister Zinnober mit zwanzig Knöpfen, das sei eben ihr liebes Söhnlein, der Klein Zaches. Auf das Geschrei des Weibes, auf die donnernden Flüche des Portiers war alles aus dem ganzen Hause zusammengelaufen, und das Getöse wurde ärger und ärger. Als der Kammerdiener hinabkam, um die Leute auseinander zu jagen, die Se. Exzellenz so unverschämt in der Morgenruhe störten, warf man eben das Weib, die alle für wahnsinnig hielten, zum Hause heraus.

Auf die steinernen Stufen des gegenüberstehenden Hauses setzte sich nun das Weib hin und schluchzte und lamentierte, daß das grobe Volk da drinnen sie nicht zu ihrem Herzenssöhnlein, zu dem Klein Zaches, der Minister geworden, lassen wolle. Viele Leute versammelten sich nach und nach um sie her, denen sie immer und immer wiederholte, daß der Minister Zinnober niemand anders sei, als ihr Sohn, den sie in der Jugend Klein Zaches geheißen; so daß die Leute zuletzt nicht wußten, ob sie die Frau für toll halten oder gar ahnen sollten, daß wirklich was an der Sache.

Die Frau wandte nicht die Augen weg von Zinnobers Fenster. Da schlug sie mit einemmal eine helle Lache auf, klopfte die Hände zusammen und rief jubelnd überlaut: "Da ist er — da ist er, mein Herzensmännlein — mein kleines Koboldchen — Guten Morgen, Klein Zaches! — Guten Morgen, Klein Zaches!" — Alle Leute kuckten hin, und als sie den kleinen Zinnober gewahrten, der in seinem gestickten Scharlachkleide, das Ordensband des grüngefleckten Tigers umgehängt, vor dem Fenster stand, das hinabging bis an den Fußboden, so daß seine ganze Figur durch die großen Scheiben deutlich zu sehen, lachten sie ganz übermäßig und lärmten und schrien: "Klein Zaches — Klein Zaches! Ha, seht doch den kleinen geputzten Pavian — die tolle Mißgeburt — das Wurzelmännlein — Klein Zaches! Klein Zaches!" — Der Portier, alle Diener Zinnobers rannten heraus, um zu erschauen, worüber das Volk denn so unmäßig lache und jubiliere. Aber kaum erblickten sie ihren Herren, als sie noch ärger als das Volk im tollsten Gelächter schrien: "Klein Zaches — Klein Zaches — Wurzelmann — Däumling — Alraun!" -

Der Minister schien erst jetzt zu gewahren, daß der tolle Spuk auf der Straße niemand anderm gelte, als ihm selbst. Er riß das Fenster auf, schaute mit zornfunkelnden Augen herab, schrie, raste, machte seltsame Sprünge vor Wut — drohte mit Wache — Polizei — Stockhaus und Festung.

Aber je mehr die Exzellenz tobte im Zorn, desto ärger wurde Tumult und Gelächter, man fing an mit Steinen — Obst — Gemüse oder was man eben zur Hand bekam, nach dem unglücklichen Minister zu werfen — er mußte hinein! — "Gott im Himmel," rief der Kammerdiener entsetzt, "aus dem Fenster der gnädigen Exzellenz kuckte ja das kleine abscheuliche Ungetüm heraus — Was ist das? — wie ist der kleine Hexenkerl in die Zimmer gekommen?" — Damit rannte er hinauf, aber so wie vorher fand er das Schlafkabinett des Ministers fest verschlossen. Er wagte leise zu pochen! — Keine Antwort! -

Indessen war, der Himmel weiß, auf welche Weise, ein dumpfes Gemurmel im Volke entstanden, das kleine lächerliche Ungetüm dort oben sei wirklich Klein Zaches, der den stolzen Namen Zinnober angenommen und sich durch allerlei schändlichen Lug und Trug aufgeschwungen. Immer lauter und lauter erhoben sich die Stimmen. "Hinunter mit der kleinen Bestie — hinunter — klopft dem Klein Zaches die Ministerjacke aus — sperrt ihn in den Käficht — laßt ihn für Geld sehen auf dem Jahrmarkt! — Beklebt ihn mit Goldschaum und beschert ihn den Kindern zum Spielzeug! — Hinauf — hinauf!" — Und damit stürmte das Volk an gegen das Haus.

Der Kammerdiener rang verzweiflungsvoll die Hände. "Rebellion — Tumult — Exzellenz — machen Sie auf — retten Sie sich!" — so schrie er; aber keine Antwort, nur ein leises Stöhnen ließ sich vernehmen.

Die Haustüre wurde eingeschlagen, das Volk polterte unter wildem Gelächter die Treppe herauf.

"Nun gilt's," sprach der Kammerdiener und rannte mit aller Macht an gegen die Türe des Kabinetts, daß sie klirrend und rasselnd aus den Angeln sprang. — Keine Exzellenz — kein Zinnober zu finden! -

"Exzellenz — gnädigste Exzellenz — vernehmen Sie denn nicht die Rebellion? — Exzellenz — gnädigste Exzellenz, wo hat sie denn der — Gott verzeih' mir die Sünde, wo geruhen Sie sich denn zu befinden!"