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Er wartete noch eine kleine Weile, dann trat er behutsam vor und klopfte mit einem dürren Zweig ans Küchenfenster. Die Magd achtete nicht darauf, er mußte noch zweimal klopfen. Da kam sie ans halboffene Fenster, tat es vollends auf und schaute heraus.

»Ja, was tut denn Ihr da?« rief sie halblaut. »Jetzt wär ich fast erschrocken.«

»Vor mir doch nicht!« meinte Knulp und lächelte. »Ich wollte bloß einmal Grüßgott sagen und sehen, wie’s geht. Und weil nämlich heut Samstag ist, möchte ich fragen, ob Ihr morgen nachmittag etwa frei habet, zu einem kleinen Spaziergang.«

Sie sah ihn an und schüttelte den Kopf, und da machte er ein so trostlos betrübtes Gesicht, daß es ihr ganz leid tat.

»Nein,« sagte sie freundlich, »morgen hab ich nicht frei, nur vormittags für die Kirche.«

»So, so,« brummte Knulp. »Ja, dann könntet Ihr aber gewiß heut abend mitkommen.«

»Heut abend? Ja, frei hätte ich schon, aber da will ich einen Brief schreiben, an meine Leute daheim.«

»O, den schreibt Ihr dann eben eine Stunde später, er geht heut nacht doch nimmer fort. Sehet Ihr, ich hab mich schon so gefreut, bis ich wieder ein bißchen mit Euch reden kann, und heut abend, wenn’s nicht gerade Katzen hagelt, hätten wir so schön spazieren gehen können. Gelt, seiet lieb, Ihr werdet doch vor mir keine Angst haben!«

»Angst hab ich gar keine, einmal vor Euch nicht. Aber es geht halt nicht. Wenn man sieht, daß ich mit einem Mannsbild spazieren geh –«

»Aber Bärbele, es kennt Euch ja hier kein Mensch. Und es ist doch wahrhaftig keine Sünde und geht niemand was an. Ihr seid doch kein Schulmädchen mehr, gelt? Also vergesset es nicht, ich bin um acht Uhr bei der Turnhalle drunten, da wo die Schranken für den Viehmarkt sind. Oder soll ich früher kommen? Ich kann es schon richten.«

»Nein, nein, nicht früher. Überhaupt – Ihr müsset gar nicht kommen, es geht nicht, und ich darf nicht ––«

Wieder zeigte er das knabenhaft betrübte Gesicht.

»Ja, wenn Ihr halt gar nicht möget!« sagte er traurig. »Ich habe gedacht, Ihr seid hier fremd und allein und habet manchmal das Heimweh, und ich auch, und da hätten wir einander ein bißchen erzählen können, von Achthausen hätt ich gern noch mehr gehört, weil ich doch einmal dort war. Ja nun, zwingen kann ich Euch nicht, und Ihr müsset mir’s auch nicht übelnehmen.«

»Ach was übelnehmen! Aber wenn ich doch nicht kann.«

»Ihr habt ja frei heut abend, Bärbele. Ihr möget bloß nicht. Aber vielleicht überlegt Ihr’s Euch noch. Ich muß jetzt gehen, und heut abend bin ich an der Turnhalle und warte, und wenn niemand kommt, dann geh ich allein spazieren und denk an Euch und daß Ihr jetzt nach Achthausen schreibet. Also adieu, und nichts für ungut!«

Er nickte kurz und war weg, ehe sie noch etwas sagen konnte. Sie sah ihn hinter den Bäumen verschwinden und machte ein ratloses Gesicht. Dann kehrte sie zur Arbeit zurück, und plötzlich begann sie – die Frau war ausgegangen – laut und schön dazu zu singen.

Knulp hörte es wohl. Er saß wieder auf dem Gerbersteg und machte kleine Kugeln aus einem Stückchen Brot, das er bei Tische zu sich gesteckt hatte. Die Brotkugeln ließ er sachte ins Wasser fallen, eine nach der andern, und schaute nachdenklich zu, wie sie untersanken, ein wenig von der Strömung abgetrieben, und wie sie unten auf dem dunklen Grunde von den stillen gespenstischen Fischen aufgeschnappt wurden.

* * * * *

»So,« sagte der Gerbermeister beim Nachtessen, »jetzt ist’s Samstag abend, und du weißt gar nicht, wie schön das ist, wenn man es die ganze Woche streng gehabt hat.«

»O, ich kann’s mir schon denken,« lächelte Knulp, und die Meisterin lächelte mit und sah ihm schalkhaft ins Gesicht.

»Heut abend,« fuhr Rothfuß im festlichen Tone fort, »heut abend trinken wir einen guten Krug Bier miteinander, meine Alte holt ihn gleich, gelt? Und morgen, wenn es gut Wetter gibt, machen wir alle drei einen Ausflug. Was meinst du, alter Freund?«

Knulp schlug ihn kräftig auf die Schulter.

»Man hat es gut bei dir, das muß ich sagen, und auf den Ausflug freu ich mich schon. Hingegen heut abend habe ich eine Besorgung, es ist ein Freund von mir hier, den muß ich treffen, er hat in der oberen Schmiede gearbeitet und reist morgen fort. – Ja, es tut mir leid, aber morgen sind wir ja den ganzen Tag beieinander, sonst hätt ich mich auch gar nicht darauf eingelassen.«

»Du wirst doch nicht jetzt in der Nacht herumlaufen wollen, wo du noch halb krank bist.«

»Ach was, zu arg darf man sich auch nicht verwöhnen. Ich komme nicht spät heim. Wo tust du den Schlüssel hin, daß ich dann herein kann?«

»Du bist ein Eigensinn, Knulp. Also dann geh halt, und den Schlüssel findest du hinterm Kellerladen. Du weißt doch, wo?«

»Jawohl. Dann geh ich jetzt. Leget Euch nur zeitig ins Bett! Gut Nacht. Gut Nacht, Frau Meisterin.«

Er ging, und als er schon unten beim Haustor war, kam ihm hastig die Meistersfrau nachgelaufen. Sie brachte einen Regenschirm, den mußte Knulp mitnehmen, er mochte wollen oder nicht.

»Sie müssen auch Sorge zu sich haben, Knulp,« sagte sie. »Und jetzt will ich Ihnen zeigen, wo Sie nachher den Schlüssel finden.«

Sie nahm ihn in der Dunkelheit bei der Hand und führte ihn um die Hausecke und machte vor einem Fensterchen halt, das mit Holzläden verschlossen war.

»Hinter den Laden legen wir den Schlüssel,« berichtete sie aufgeregt und flüsternd und streichelte Knulps Hand. »Sie müssen dann bloß durch den Ausschnitt langen, er liegt auf dem Simsen.«

»Ja, danke schön,« sagte Knulp verlegen und zog seine Hand zurück.

»Soll ich Ihnen ein Bier aufheben, bis Sie wiederkommen?« fing sie wieder an und drückte sich leise gegen ihn.

»Nein, danke, ich trinke selten eins. Gut Nacht, Frau Rothfuß, und danke schön.«

»Pressiert’s denn so?« flüsterte sie zärtlich und kniff ihn in den Arm. Ihr Gesicht stand dicht vor dem seinen, und in einer verlegenen Stille, da er sie nicht mit Gewalt zurückstoßen mochte, strich er mit der Hand über ihr Haar.

»Aber jetzt muß ich weiter,« rief er plötzlich überlaut und trat zurück.

Sie lächelte ihn mit halb geöffnetem Munde an, er konnte im Dunkeln ihre Zähne schimmern sehen. Und sie rief ganz leise: »Ich warte dann, bis du heimkommst. Du bist ein Lieber.«

Nun ging er rasch davon in die finstere Gasse hinein, den Schirm unterm Arme, und begann bei der nächsten Ecke, um der törichten Beklommenheit Herr zu werden, zu pfeifen. Es war das Lied:

Du meinst’, ich werd’ dich nehmen, Hab’s aber nicht im Sinn, Ich muß mich deiner schämen, Wenn ich in G’sellschaft bin.

Die Luft ging lau, und zuweilen traten Sterne am schwarzen Himmel heraus. In einem Wirtshaus lärmte junges Volk, dem Sonntag entgegen, und im Pfauen sah er hinter den Fenstern der neuen Kegelbahn eine bürgerliche Herrengesellschaft in Hemdärmeln beieinander stehen, Kegelkugeln in den Händen wägend und Zigarren im Munde.

Bei der Turnhalle machte Knulp halt und schaute sich um. In den kahlen Kastanienbäumen sang schwach der feuchte Wind, der Fluß strömte unhörbar in tiefer Schwärze und spiegelte ein paar erleuchtete Fenster wider. Die milde Nacht tat dem Landstreicher in allen Fibern wohl, er atmete spürend und ahnte Frühling, Wärme, trockene Straßen und Wanderschaft. Sein unerschöpfliches Gedächtnis überschaute die Stadt, das Flußtal und die ganze Gegend, er wußte überall Bescheid, er kannte Straßen und Fußwege, Dörfer, Weiler, Höfe, befreundete Nachtherbergen. Scharf dachte er nach und stellte den Plan für seine nächste Wanderung auf, da hier in Lächstetten seines Bleibens doch nimmer sein konnte. Er wollte nur, wenn es ihm die Frau nicht zu schwer machte, dem Freunde zulieb noch über diesen Sonntag bleiben.