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Die Mühlknappen hasteten zwischen Haus und Planwagen hin und her, luden Säcke ab, schleppten sie in die Mahlstube, kamen aufs neue herbeigerannt. Stumm ging das alles vonstatten, in fiebernder Eile. Kein Zuruf, kein Fluch, nur das Keuchen der Müllerburschen - und dann und wann ließ der Fuhrmann die Peitsche knallen, knapp über ihren Köpfen, daß sie den Luftzug zu spüren bekamen: das spornte zu doppeltem Eifer an.

Eifer bezeugte sogar der Meister. Er, der sonst nie einen Handgriff tat in der Mühle, der nie einen Finger krümmte: heut nacht war er mit dabei. Er schuftete mit den anderen um die Wette, als ob er's bezahlt kriegte.

Zwischendurch setzte er einmal kurz mit der Arbeit aus und verschwand in der Dunkelheit - nicht zum Verschnaufen, wie Krabat argwöhnte, sondern er rannte zum Mühlenweiher hinauf, und nachdem er die Stützpfosten weggeräumt hatte, zog er die Schleuse.

Das Wasser schoß in den Mühlgraben ein, kam herangebraust und ergoß sich mit Schwall und Prall ins Gerinne. Ächzend begann sich das Rad zu drehen; es dauerte eine Weile, bis es in Fahrt kam, dann lief es ganz munter weiter. Nun hätten mit dumpfem Gepolter die Mahlgänge einsetzen müssen, aber nur einer lief an - und der eine mit einem Geräusch, das dem Jungen fremd war. Es schien aus dem hintersten Winkel der Mühle zu kommen, ein lärmendes Rattern und Schnarren, von häßlichem Quietschen begleitet, das bald in ein hohles, die Ohren marterndes Jaulen überging.

Krabat entsann sich des Toten Ganges, er spürte, wie ihm die Gänsehaut über den Rücken lief.

Einstweilen war unten die Arbeit weitergegangen. Der Planwagen wurde entladen, dann hatten die Mühlknappen eine Weile Pause - aber nicht lange, da ging es von neuem los mit der Plackerei, wenn auch diesmal die Säcke vom Haus zum Fuhrwerk zu schleppen waren. Was immer sie vorher enthalten hatten: nun wurde es in gemahlenem Zustand zurückgebracht.

Krabat wollte die Säcke zählen, aber er nickte darüber ein. Beim ersten Hahnenschrei weckte ihn das Gerumpel von Wagenrädern. Der Fremde, das sah er gerade noch, fuhr mit Peitschengeknall durch die nassen Wiesen davon, auf den Wald zu - und seltsam: der schwerbeladene Planwagen hinterließ keine Spur im Gras.

Einen Augenblick später wurde die Schleuse geschlossen, das Mühlrad lief aus. Krabat huschte an seinen Platz zurück und zog sich die Decke über den Kopf. Die Müllerburschen kamen die Treppe heraufgewankt, müde und abgerackert. Wortlos nahmen sie ihre Schlafplätze ein, nur Kito murmelte etwas von dreimal verfluchten Neumondnächten und höllischer Schinderei.

Am Morgen kam Krabat vor Müdigkeit kaum vom Strohsack hoch, ihm brummte der Schädel, er hatte ein flaues Gefühl im Bauch. Beim Frühstück musterte er die Müllerburschen: sie waren verschlafen und übernächtig. Mürrisch würgten sie ihre Grütze hinunter. Selbst Andrusch war nicht zum Spaßmachen aufgelegt; finster stierte er in die Schüssel und gab keinen Laut von sich.

Nach dem Essen nahm Tonda den Jungen beiseite.

»Du hast eine schlechte Nacht gehabt?«

»Wie man's nimmt«, sagte Krabat. »Ich brauchte ja nicht zu schuften, ich hab euch bloß zugeschaut. Aber ihr! - Warum habt ihr mich nicht geweckt, als der Fremde vorfuhr? Ihr wolltet es wohl vor mir geheimhalten - wie so vieles, was auf der Mühle vorgeht, von dem ich nichts wissen soll. Bloß: ich bin ja nicht blind und nicht taub - und vor allem nicht mit der Mütze gepocht, das schon gar nicht!«

»Niemand behauptet das«, wandte Tonda ein.

»Aber ihr tut so!« rief Krabat. »Ihr spielt Blindekuh mit mir - warum macht ihr nicht endlich Schluß damit?«

»Alles braucht seine vorgeschriebene Zeit«, sagte Tonda ruhig. »Bald wirst du erfahren, welche Bewandtnis es mit dem Meister und dieser Mühle hat. Der Tag und die Stunde sind näher, als du vermutest: bis dahin gedulde dich.«

Husch, auf die Stange!

Karfreitag, am frühen Abend, über dem Koselbruch hing ein fahler, aufgedunsener Mond. Die Mühlknappen saßen in der Gesindestube beisammen, Krabat lag müde auf seiner Pritsche und wollte schlafen. Auch heute hatten sie arbeiten müssen. Wie gut, daß es endlich Abend geworden war, daß er nun seine Ruhe hatte ...

Mit einemmal hörte er seinen Namen rufen, wie damals im Traum, in der Schmiede von Petershain - nur daß die Stimme, die heisere, die aus den Lüften zu kommen schien, ihm jetzt nicht mehr fremd war.

Er setzte sich auf und lauschte, zum zweitenmal rief es: »Krabat!« Da griff er nach seinen Kleidern und zog sich an.

Als er fertig war, rief ihn der Meister zum drittenmal.

Krabat beeilte sich, tappte zur Bodentür, öffnete. Licht drang von unten herauf, im Hausflur hörte er Stimmen, das Klappern von Holzschuhen. Unruhe überkam ihn, er zögerte, hielt den Atem an - doch dann gab er sich einen Ruck, und drei Stufen auf einmal nehmend, lief er hinunter.

Am Ende des Flures standen die elf Gesellen. Die Tür zu der Schwarzen Kammer stand offen, der Meister saß hinter dem Tisch. Wie damals, bei Krabats Ankunft, lag wieder das dicke, in Leder eingebundene Buch vor ihm; es fehlte auch nicht der Totenkopf mit der brennenden roten Kerze; nur daß der Meister jetzt nicht mehr bleich im Gesicht war, das hatte sich in der Zwischenzeit längst gegeben.

»Tritt näher, Krabat!«

Der Junge trat vor, an die Schwelle der Schwarzen Kammer. Er war nicht mehr müde, er spürte auch keine Benommenheit mehr im Kopf und kein Herzklopfen.

Eine Weile betrachtete ihn der Meister, dann hob er die Linke und wandte sich den Gesellen zu, die im Flur standen.

»Husch, auf die Stange!«

Mit Krächzen und Flügelschlagen strichen elf Raben an Krabat vorbei, durch die Kammertür. Als er sich umschaute, waren die Müllerburschen verschwunden. Die Raben ließen sich in der hinteren linken Ecke des Raumes auf einer Stange nieder und blickten ihn an.

Der Meister erhob sich, sein Schatten fiel auf den Jungen.

»Seit einem Vierteljahr«, sagte er, »bist du nun auf der Mühle, Krabat. Die Probezeit ist bestanden, du bist kein gewöhnlicher Lehrjunge mehr - du sollst fortan mein Schüler sein.«

Damit trat er auf Krabat zu und berührte ihn mit der linken Hand an der linken Schulter. Ein Schauder durchrieselte Krabat, er spürte, wie er zu schrumpfen anfing: sein Leib wurde klein und kleiner, es wuchsen ihm Rabenfedern, ein Schnabel und Krallen. Zu Füßen des Meisters hockte er auf der Schwelle, er wagte nicht aufzublicken.

Der Müller besah ihn sich eine Zeitlang, dann klatschte er in die Hände, rief: »Husch!« Krabat, der Rabe Krabat, breitete folgsam die Schwingen aus und erhob sich zum Flug. Ungelenk flatternd, durchmaß er die Kammer, umschwirrte den Tisch, streifte Buch und Totenschädel. Dann ließ er sich bei den anderen Raben nieder und krallte sich an der Stange fest.

Der Meister belehrte ihn: »Du mußt wissen, Krabat, daß du in einer Schwarzen Schule bist. Man lernt hier nicht Lesen und Schreiben und Rechnen - hier lernt man die Kunst der Künste. Das Buch, das da angekettet vor mir auf dem Tisch liegt, ist der Koraktor, der Höllenzwang. Wie du siehst, hat es schwarze Seiten, die Schrift ist weiß. Es enthält alle Zaubersprüche der Welt. Ich allein darf sie lesen, weil ich der Meister bin. Euch aber, dir und den anderen Schülern, ist es verboten, darin zu lesen, das merke dir! Und versuche nicht, mich zu hintergehen, das würde dir schlecht bekommen! Du hast mich verstanden, Krabat?«

»Verstanden«, krächzte der Junge, erstaunt, daß er sprechen konnte: mit heiserer Stimme zwar, aber deutlich, und ohne daß es ihn im geringsten anstrengte.

Krabat hatte von solchen Schwarzen Schulen schon munkeln hören: es gab, wie es hieß, deren mehrere in der Lausitz; aber er hatte das immer für Schauermärlein gehalten, wie man sie in den Rockenstuben erzählt, beim Spinnen und Federnschleißen. Und nun war er selber in eine von diesen Schulen geraten, die zwar als Mühle galt; doch es schien sich, zumindest im näheren Umkreis, herumgesprochen zu haben, daß hier nicht alles mit rechten Dingen zuging: was sonst hätte wohl die Leute vom Koselbruch ferngehalten?