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Eine schöne, magere, blasse Zigeunerin mit glänzenden, schwarzen Augen und schwarzem, bläulich schimmerndem, krausem Haar kam mit einer Zobelsaloppe über dem Arm herbeigelaufen.

»Schön, schön, ich gebe sie gern her, nimm sie!« sagte sie; es war deutlich, daß es ihr leid tat, die Saloppe hingeben zu sollen, daß sie aber vor ihrem Herrn Angst hatte.

Dolochow nahm, ohne ihr zu antworten, den Pelz hin, hing ihn ihr um und wickelte sie darin ein.

»Siehst du, so mußt du es machen!« sagte er zu Anatol. »Und dann so!« fuhr er fort, indem er ihr den Kragen rings um den Kopf in die Höhe schlug, so daß nur vor dem Gesicht eine kleine Stelle offenblieb. »Und dann so! Siehst du wohl?« Dabei schob er Anatols Kopf an die Öffnung im Kragen heran, aus welcher Matronas Gesicht mit strahlendem Lächeln hervorlugte.

»Na, leb wohl, Matrona«, sagte Anatol und küßte sie. »Ach, mein fideles Leben hier ist nun zu Ende! Grüße Stjoschka von mir. Na, leb wohl! Leb wohl, Matrona; wünsche mir Glück zu meinem Unternehmen.«

»Nun, Gott möge dir viel Glück geben, Fürst!« sagte Matrona mit ihrem zigeunerhaften Beiklang.

Vor der Haustür standen zwei dreispännige Schlitten; zwei junge Kutscher hielten die Pferde. Balaga setzte sich auf den vordersten Schlitten und begann, die Ellbogen hoch in die Höhe hebend, ohne Übereilung die Zügel zu ordnen. Anatol und Dolochow stiegen zu ihm ein. Makarin, Chwostikow und der Kammerdiener setzten sich in den andern Schlitten.

»Fertig? Ja?« fragte Balaga.

»Los!« rief er, indem er sich die Zügel um die Hand wickelte, und der Schlitten schoß den Nikitski-Boulevard hinunter.

»Brr! He, weg da …! Brr …!« riefen Balaga und der junge Gehilfe neben ihm auf dem Kutschersitz; weiter wurde nichts gesprochen. Auf dem Arbatskaja-Platz stieß der Schlitten an eine Equipage, ein Krachen ertönte, man hörte einen Schrei, und der Schlitten flog die Arbat-Straße entlang.

Balaga fuhr den Podnowinski-Boulevard entlang und wieder zurück, mäßigte dabei den Lauf der Pferde und hielt auf der Rückfahrt bei der Kreuzung der Staraja-Konjuschennaja-Straße an. Der Gehilfe sprang hinab, um die Pferde am Zaum zu halten; Anatol und Dolochow traten auf das Trottoir. Als sie sich dem Tor genähert hatten, pfiff Dolochow. Ein Pfiff antwortete ihm, und gleich darauf kam das Stubenmädchen herausgelaufen.

»Kommen Sie herein auf den Hof; hier könnten Sie gesehen werden. Sie wird gleich herauskommen«, sagte sie.

Dolochow blieb am Tor stehen. Anatol folgte dem Stubenmädchen auf den Hof, bog um eine Ecke und lief die Stufen zur Hintertür hinauf.

Gawriil, Marja Dmitrijewnas Wagenlakai, ein Mensch von gewaltigem Wuchs, trat ihm entgegen.

»Bitte, sich zur gnädigen Frau zu bemühen!« sagte der Diener mit tiefer Stimme und vertrat dem Eingetretenen den Rückweg nach der Tür.

»Zu welcher gnädigen Frau? Und wer bist du?« fragte Anatol flüsternd mit stockendem Atem.

»Bitte, kommen Sie; ich habe Befehl, Sie hinzuführen.«

»Kuragin! Zurück!« rief Dolochow. »Verrat! Zurück!«

Dolochow rang bei dem Pförtchen am Tor, wo er stehengeblieben war, mit dem Hausknecht, welcher hinter dem eingetretenen Anatol das Pförtchen zuzuschließen versuchte. Mit äußerster Anstrengung stieß Dolochow den Hausknecht zurück, faßte Anatol, der über den Hof gelaufen kam, am Arm, zog ihn durch das Pförtchen hindurch auf die Straße und lief mit ihm zum Schlitten zurück.

XVIII

Marja Dmitrijewna hatte die verweinte Sonja auf dem Korridor getroffen und sie gezwungen, ihr alles zu gestehen. Nachdem sie ein Billett Nataschas aufgefangen und gelesen hatte, ging sie mit dem Billett in der Hand zu Natascha in deren Zimmer.

»Schändliche, Schamlose!« sagte sie zu ihr. »Ich will gar nichts weiter hören!«

Sie stieß Natascha, die sie mit erschrockenen, aber tränenlosen Augen ansah, zurück, schloß sie ein, befahl dem Hausknecht, die Männer, die heute abend kommen würden, ins Tor herein-, aber nicht wieder hinauszulassen, und dem Diener, diese Männer zu ihr zu führen, und setzte sich dann im Salon hin und erwartete die Entführer.

Als Gawriil mit der Meldung zu ihr kam, daß die beiden angekommenen Männer entronnen seien, stand sie mit finster zusammengezogenen Brauen auf, ging, die Hände auf den Rücken gelegt, lange in den Zimmern auf und ab und überlegte, was nun zu tun sei. Um Mitternacht fühlte sie nach dem Schlüssel in ihrer Tasche und ging nach Nataschas Zimmer. Sonja saß schluchzend auf dem Korridor. »Marja Dmitrijewna«, bat sie, »um Gottes willen, lassen Sie mich zu ihr!« Marja Dmitrijewna schloß, ohne ihr zu antworten, die Tür auf. »Eine garstige, widerwärtige Geschichte!« dachte sie. »In meinem Haus … So eine schändliche Dirne …! Mir tut nur der Vater leid!« Aber sie gab sich Mühe, ihren Zorn zu mäßigen. »So schwer es auch ist, werde ich doch allen befehlen, davon zu schweigen, und dem Grafen die ganze Sache verheimlichen.« Maria Dmitrijewna trat mit festen Schritten ins Zimmer. Natascha lag auf dem Sofa, das Gesicht mit den Händen verbergend, und rührte sich nicht. Sie lag noch in derselben Haltung da, in welcher Marja Dmitrijewna sie verlassen hatte.

»Eine nette Person bist du ja, eine sehr nette Person!« sagte Marja Dmitrijewna. »Gibt sich in meinem Haus Rendezvous mit Liebhabern! Daß du dich verstellst, hat keinen Zweck. Hör zu, wenn ich mit dir rede.« Marja Dmitrijewna faßte sie an den Arm. »Hör zu, wenn ich rede. Du hast dich entehrt wie die niedrigste Dirne. Ich würde mit dir verfahren, wie du es verdienst, wenn mir nicht dein Vater leid täte. Ich werde die Sache nicht bekanntwerden lassen.«

Natascha änderte ihre Lage nicht; nur begann ihr ganzer Körper infolge eines lautlosen, krampfhaften Schluchzens zu zucken, das sie zu ersticken drohte. Marja Dmitrijewna blickte sich nach Sonja um und setzte sich neben Natascha auf das Sofa.

»Sein Glück, daß er mir entgangen ist; aber ich werde ihn schon noch zu finden wissen«, sagte sie mit ihrer derben, kräftigen Stimme. »Hörst du auch wohl, was ich sage?«

Sie schob ihre große Hand unter Nataschas Kopf und drehte ihn mit dem Gesicht zu sich hin. Sowohl Marja Dmitrijewna als auch Sonja erschraken, als sie Nataschas Gesicht erblickten. Ihre Augen waren glänzend und trocken, die Lippen zusammengepreßt, die Wangen eingefallen.

»Lassen Sie mich … was wollen Sie von mir … ich sterbe …«, murmelte sie, riß sich mit einer heftigen Anstrengung von Marja Dmitrijewna los und nahm wieder ihre frühere Lage ein.

»Natalja …!« sagte Marja Dmitrijewna. »Ich meine es gut mit dir. Bleib nur liegen; bleib meinetwegen so liegen, wie du liegst; ich will dich nicht anrühren; nur höre zu … Ich will dir nicht vorhalten, wie schwer du dich vergangen hast. Das weißt du selbst. Na, aber morgen kommt dein Vater zurück; was soll ich dem sagen? Wie?«

Nataschas Körper krümmte sich wieder vor Schluchzen.

»Na, wenn er es nun erfährt und dein Bruder und dein Bräutigam …«

»Ich habe keinen Bräutigam; ich habe ihm abgeschrieben«, rief Natascha.

»Ganz gleich«, fuhr Marja Dmitrijewna fort. »Na also, wenn die es erfahren, was meinst du, werden sie die Sache so hingehen lassen? Deinen Vater kenne ich ja; wenn der nun diesen Burschen zum Duell fordert, ist denn das schön und gut? Wie?«

»Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe; warum haben Sie uns gehindert! Ja, warum? warum? Wer hat Sie darum gebeten?« rief Natascha, indem sie sich auf dem Sofa aufrichtete und Marja Dmitrijewna zornig anblickte.

»Aber was wolltest du denn eigentlich?« rief Marja Dmitrijewna, die nun wieder hitzig wurde. »Hielten wir dich denn etwa eingesperrt? Na, wer hinderte ihn denn, in unserem Haus einen Besuch zu machen? Wozu brauchte er dich denn wie so eine Zigeunerin zu entführen …? Na, und wenn er dich nun entführt hätte, meinst du denn, daß sie ihn nicht gefunden hätten? Dein Vater oder dein Bruder oder dein Bräutigam. Aber er ist ein Schurke, ein Nichtswürdiger, das ist die Sache!«