Выбрать главу

Pierre begab sich in den Salon und ging, als er Anatol erblickte, auf diesen zu, ohne seine Frau zu begrüßen, die er nach seiner Rückkehr aus Twer noch nicht wieder gesehen hatte (sie war ihm in diesem Augenblick verhaßter als je zuvor).

»Ah, Pierre«, sagte die Gräfin, zu ihrem Mann herankommend. »Du ahnst nicht, in welcher Gemütsverfassung sich unser Anatol befindet …«

Sie hielt inne, da sie an dem niedergebeugten Kopf ihres Mannes, an seinen funkelnden Augen und an seinem entschlossenen Gang den ihr wohlbekannten furchtbaren Ausdruck jener Wut und Kraft wahrnahm, die sie nach dem Duell mit Dolochow an sich selbst erfahren hatte.

»Wo Sie sind, da ist Sittenlosigkeit und Unheil«, sagte Pierre zu seiner Frau. »Kommen Sie, Anatol, ich habe mit Ihnen zu reden«, sagte er zu diesem auf französisch.

Anatol blickte seine Schwester an, erhob sich gehorsam und war bereit, Pierre zu folgen. Dieser faßte ihn am Arm, zog ihn zu sich heran und ging zur Tür.

»Wenn Sie sich erlauben, in meinem Salon …«, flüsterte ihm Helene noch zu; aber Pierre verließ das Zimmer, ohne ihr zu antworten.

Anatol ging in seinem gewöhnlichen, flotten Gang hinter ihm her. Aber auf seinem Gesicht war doch eine gewisse Unruhe wahrzunehmen. Als sie in Pierres Arbeitszimmer gekommen waren, machte dieser die Tür zu und wandte sich zu Anatol, jedoch ohne ihn anzublicken.

»Haben Sie der Komtesse Rostowa die Ehe versprochen und sie entführen wollen?«

»Mein Lieber«, antwortete Anatol auf französisch, und das ganze Gespräch wurde nun in dieser Sprache geführt, »ich halte mich nicht für verpflichtet, auf Fragen zu antworten, die mir in solchem Ton gestellt werden.«

Pierres Gesicht, das schon vorher blaß gewesen war, verzerrte sich nun vor Wut. Er packte mit seiner großen Hand Anatol am Kragen der Uniform und schüttelte ihn so lange von einer Seite zur andern, bis Anatols Gesicht einen genügenden Ausdruck von Angst angenommen hatte.

»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich mit Ihnen zu reden habe …«, stieß Pierre heraus.

»Na, aber, das ist doch ein törichtes Benehmen; nicht?« sagte Anatol und fühlte nach dem Kragenknopf, der mitsamt dem Tuch losgerissen war.

»Sie sind ein Schurke und ein Nichtswürdiger, und ich weiß nicht, was mich abhält, mir das Vergnügen zu bereiten, Ihnen mit diesem Gegenstand hier den Kopf zu zerschmettern«, sagte Pierre, der sich so gekünstelt ausdrückte, weil er französisch sprach.

Er hatte einen schweren Briefbeschwerer in die Hand genommen und drohend in die Höhe gehoben, legte ihn aber eilig wieder auf seinen Platz.

»Haben Sie ihr die Ehe versprochen?«

»Ich … ich … ich habe daran überhaupt nicht gedacht; übrigens habe ich es schon deswegen nie versprochen, weil …«

Pierre unterbrach ihn:

»Haben Sie Briefe von ihr? Haben Sie Briefe?« fragte er und trat dabei dicht an Anatol heran.

Anatol sah ihn an, fuhr sogleich mit der Hand in die Tasche und holte seine Brieftasche heraus.

Pierre nahm den ihm hingereichten Brief und ließ sich, einen ihm im Weg stehenden Tisch wegstoßend, auf das Sofa sinken.

»Ich werde nichts Gewalttätiges begehen; fürchten Sie nichts!« bemerkte er als Antwort auf eine ängstliche Gebärde Anatols.

»Erstens die Briefe«, sagte er dann, wie wenn er für sich eine auswendig gelernte Lektion repetierte. »Zweitens«, fuhr er nach kurzem Stillschweigen fort, indem er wieder aufstand und hin und her zu gehen begann, »zweitens müssen Sie morgen Moskau verlassen.«

»Aber wie kann ich denn …«

»Drittens«, fuhr Pierre, ohne auf ihn zu hören, fort, »dürfen Sie nie ein Wort über das, was zwischen Ihnen und der Komtesse vorgefallen ist, verlauten lassen. Ich weiß, daß ich Sie daran nicht hindern kann; aber wenn Sie noch einen Funken von Gewissen besitzen …« Pierre durchmaß einige Male schweigend das Zimmer.

Anatol saß an einem Tisch, zog finster die Brauen zusammen und biß sich auf die Lippen.

»Sie sollten doch endlich einmal begreifen, daß außer Ihrem Vergnügen auch das Glück und die Ruhe anderer Menschen eine gewisse Daseinsberechtigung haben, und daß Sie ein ganzes Leben zerstören, nur um sich zu amüsieren. Vertreiben Sie sich die Zeit mit solchen Weibern wie meine Frau; denen gegenüber sind Sie dazu berechtigt; die wissen, was Sie von ihnen verlangen, und besitzen auch dieselbe Erfahrung im Laster wie Sie und können diese Erfahrung als Waffe gegen Sie gebrauchen. Aber einem unschuldigen jungen Mädchen die Ehe zu versprechen, … sie zu betrügen, zu entführen … Sie müßten doch begreifen, daß das ebenso gemein ist, wie wenn jemand einen Greis oder ein kleines Kind mißhandelt …!«

Pierre hielt inne und blickte Anatol nicht mehr zornig, sondern nur fragend an.

»Das weiß ich nicht«, erwiderte Anatol, der in demselben Maß mutiger wurde, wie Pierre seinen Zorn bemeisterte. »Das weiß ich nicht und will ich auch gar nicht wissen«, sagte er, ohne Pierre anzusehen, mit einem leisen Zittern des Unterkiefers. »Aber Sie haben mir gegenüber Ausdrücke gebraucht wie ›gemein‹ und dergleichen, und solche Ausdrücke kann ich mir als Mann von Ehre von niemandem gefallen lassen.«

Pierre sah ihn erstaunt an und konnte nicht begreifen, was er eigentlich wollte.

»Und wenn es auch unter vier Augen war«, fuhr Anatol fort, »so kann ich doch nicht …«

»Ach so, Sie wünschen Satisfaktion?« fragte Pierre spöttisch.

»Wenigstens könnten Sie Ihre Ausdrücke wieder zurücknehmen. Nicht wahr? Wenn Sie wollen, daß ich Ihre Wünsche erfülle … Nicht wahr?«

»Ich nehme sie zurück, ich nehme sie zurück«, murmelte Pierre, »und ich bitte Sie um Entschuldigung.« Pierre blickte unwillkürlich nach dem losgerissenen Knopf hin. »Und wenn Sie Geld für die Reise nötig haben …«

Anatol lächelte. Dieses blöde, gemeine Lächeln, das Pierre von seiner Frau her kannte, versetzte ihn in Empörung.

»Eine gemeine, herzlose Sorte!« sagte er vor sich hin und ging aus dem Zimmer.

Am andern Tag reiste Anatol nach Petersburg ab.

XXI

Pierre fuhr zu Marja Dmitrijewna, um ihr von der Erfüllung ihrer Forderungen, namentlich von der Ausweisung Kuragins aus Moskau, Mitteilung zu machen. Er fand das ganze Haus in Angst und Unruhe. Natascha war sehr krank; wie Marja Dmitrijewna ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitteilte, hatte sie, nachdem sie erfahren hatte, daß Anatol schon verheiratet sei, in der Nacht sich mit Arsen vergiftet, das sie sich heimlich zu verschaffen gewußt hatte. Aber als sie ein wenig davon hinuntergeschluckt hatte, war ihr doch so bange geworden, daß sie Sonja geweckt und ihr von dem Getanen Kenntnis gegeben hatte. So hatten denn noch rechtzeitig gegen das Gift die nötigen Mittel angewendet werden können, und sie war jetzt außer Gefahr; aber sie war doch so schwach, daß an eine Rückreise aufs Land nicht zu denken war; man hatte lieber einen Boten hingeschickt, um die Gräfin herzurufen. Pierre sah den verstörten Grafen und die verweinte Sonja; aber Natascha bekam er nicht zu sehen.

Er speiste an diesem Tag zu Mittag im Klub, hörte dort von allen Seiten Gespräche über einen mißglückten Versuch, die Komtesse Rostowa zu entführen, und widersprach diesen Behauptungen mit großer Energie, indem er allen versicherte, es sei weiter nichts geschehen, als daß sein Schwager der Komtesse Rostowa einen Antrag gemacht und von ihr einen Korb bekommen habe. Pierre hielt es für seine Pflicht, die ganze Angelegenheit zu verheimlichen und den guten Ruf der Komtesse Rostowa wiederherzustellen.

Mit Beklommenheit wartete er auf die Heimkehr des Fürsten Andrei und fuhr, um sich danach zu erkundigen, täglich zu dem alten Fürsten.