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»Die Hauptsache bleibt doch, daß er ein so überaus zärtlicher Vater ist«, sagte Gräfin Marja, um ihren Mann zu entschuldigen, »aber erst, wenn sie schon so ungefähr ein Jahr alt sind …«

»Nein, Pierre gibt eine vorzügliche Kinderfrau ab«, sagte Natascha. »Er sagt, seine Hand wäre geradezu für das Gesäß eines kleinen Kindes geschaffen. Seht sie nur einmal an.«

»Na, nur nicht allein dazu«, sagte Pierre lachend, faßte das Kind anders und übergab es der Kinderfrau.

XII

Wie in jeder richtigen Familie, so lebten auch im Gutshaus von Lysyje-Gory mehrere völlig verschiedene Elemente zusammen, die, indem ein jedes, ohne seine Besonderheit aufzugeben, den andern mancherlei Konzessionen machte, zu einem harmonischen Ganzen verschmolzen. Jedes Ereignis, das sich im Haus zutrug, war in Freude oder Leid für alle diese Elemente in gleicher Weise wichtig; aber jedes Element hatte seine völlig eigenen, von den andern unabhängigen Gründe, über irgendein Ereignis froh oder betrübt zu sein.

So war auch Pierres Ankunft ein frohes, wichtiges Ereignis und übte in diesem Sinn auf alle seine Wirkung aus.

Die Dienstboten, die die zuverlässigsten Richter der Herrschaft sind, weil sie nicht nach Reden und Gefühlsäußerungen, sondern nach den Handlungen und der gesamten Lebensweise urteilen, freuten sich über Pierres Ankunft, weil sie wußten, daß während seiner Anwesenheit Graf Rostow nicht mehr täglich durch die Wirtschaft gehen und heiterer und gutmütiger sein werde, und dann auch deshalb, weil jeder von ihnen reiche Geschenke zum Festtag erwarten durfte.

Die Kinder und Gouvernanten freuten sich über Besuchows Ankunft, weil niemand sie so zu dem gemeinsamen geselligen Leben mit heranzog wie Pierre. Er allein konnte auf dem Klavier jene berühmte Ekossaise spielen (übrigens sein einziges Stück), nach der man, wie er versicherte, alle möglichen Tänze tanzen konnte; und dann hatte er gewiß auch Geschenke für alle mitgebracht.

Nikolenka, jetzt ein fünfzehnjähriger, magerer, kränklicher, kluger Knabe mit blondem, lockigem Haar und schönen Augen, freute sich, weil Onkel Pierre, wie er ihn nannte, der Gegenstand seiner Bewunderung und leidenschaftlichen Liebe war. Niemand hatte dem Knaben eine besondere Liebe zu Pierre einzuprägen gesucht, und er hatte ihn nur selten gesehen. Seine Erzieherin, Gräfin Marja, wandte alle Mittel, die in ihrer Macht standen, an, um Nikolenka dahin zu bringen, daß er ihren Mann ebenso liebhaben möchte, wie sie ihn liebte; und Nikolenka hatte seinen Onkel ja auch wirklich lieb, aber doch mit einer ganz leisen Nuance von Geringschätzung. Pierre dagegen vergötterte er. Er wollte nicht Husar werden und das Georgskreuz bekommen wie Onkel Nikolai; er wollte gelehrt, klug und gut werden wie Pierre. Sobald Pierre zugegen war, lag auf dem Gesicht des Knaben immer ein freudiger Glanz, und er errötete und konnte kaum atmen, wenn Pierre ihn anredete. Er ließ sich kein Wort von dem, was Pierre sagte, entgehen und rief sich dann nachher mit Dessalles oder auch für sich allein jedes Wort Pierres ins Gedächtnis zurück und suchte sich über den Sinn desselben klarzuwerden. Pierres früheres Leben, sein Unglück vor dem Jahr 1812 (wovon er sich aus einzelnen Äußerungen, die er gehört hatte, eine unklare, poetische Vorstellung zurechtgemacht hatte), seine Abenteuer in Moskau, seine Gefangenschaft, Platon Karatajew (über den er von Pierre manches gehört hatte), seine Liebe zu Natascha (zu der der Knabe gleichfalls eine ganz besondere Liebe hegte) und vor allen Dingen seine Freundschaft mit seinem Vater, auf den Nikolenka sich nicht mehr besinnen konnte, alles dies machte Pierre für ihn zu einem Helden und zu einem Gegenstand heiliger Scheu.

Aus abgerissenen Reden über seinen Vater und Natascha, aus der besonderen Erregung, mit welcher Pierre über den Verstorbenen sprach, aus der vorsichtigen, ehrfurchtsvollen Zärtlichkeit, mit der Natascha seiner Erwähnung tat, hatte sich der Knabe, der soeben anfing etwas von Liebe zu ahnen, eine Vorstellung zurechtgemacht, daß sein Vater Natascha geliebt und, als er starb, seinem Freund vermacht habe. Dieser Vater aber, für den der Knabe keine Erinnerung mehr hatte, erschien ihm wie eine Gottheit, von der er sich kein Bild machen dürfe und an die er nur mit stockendem Herzschlag und mit Tränen der Trauer und des Entzückens dachte. Und auch er war glücklich über Pierres Ankunft.

Die Gäste freuten sich, daß Pierre wieder da war, weil er jede Gesellschaft zu beleben und in ihr das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erwecken verstand.

Die erwachsenen Hausgenossen, von seiner Frau ganz zu schweigen, waren froh über die Heimkehr des Freundes, bei dessen Anwesenheit man leichter und behaglicher lebte.

Die alten Damen freuten sich sowohl über die Geschenke, die er mitbringen werde, als auch ganz besonders darüber, daß Natascha nun wieder werde frischer und lebendiger sein.

Pierre kannte diese verschiedenen Gesichtspunkte recht wohl, von denen aus die verschiedenen Elemente ihn betrachteten, und beeilte sich, einem jeden zukommen zu lassen, was derselbe erwartete.

Pierre, der zerstreuteste, vergeßlichste Mensch auf der Welt, hatte diesmal nach einem von seiner Frau zusammengestellten Verzeichnis alles gekauft und nichts vergessen, weder die Aufträge ihrer Mutter und ihres Bruders, noch die Geschenke zum Feiertag, noch das Kleid für Fräulein Bjelowa, noch das Spielzeug für die Neffen und Nichten. In der ersten Zeit seiner Ehe war ihm diese Forderung seiner Frau, das, was er einzukaufen übernommen hatte, auch wirklich alles zu besorgen, ohne etwas zu vergessen, recht sonderbar vorgekommen, und ihr ernstlicher Verdruß, als er bei seiner ersten Reise alles vergessen hatte, hatte ihn höchlichst überrascht. Aber in der Folge hatte er sich daran gewöhnt. Da er wußte, daß Natascha ihm für ihre eigene Person keine Aufträge gab und für andere nur dann, wenn er sich selbst dazu anbot, so fand er jetzt zu seiner eigenen Überraschung ein kindliches Vergnügen an diesen Einkäufen von Geschenken für das ganze Haus und vergaß dabei nie jemanden. Wenn er sich Vorwürfe Nataschas zuzog, so war es nur dafür, daß er Überflüssiges gekauft und zu hohe Preise bezahlt hatte. Die Mehrzahl der Hausgenossen war der Ansicht, daß zu allen bisherigen Fehlern Pierres, wie Unordnung und Nachlässigkeit (Pierre selbst hielt dies freilich für Vorzüge), Natascha noch den Geiz hinzuzugesellen suche.

Von dem Tag an, wo Pierre angefangen hatte, einen großen Haushalt zu führen und eine Familie zu unterhalten, die große Ausgaben erforderte, bemerkte er zu seiner Verwunderung, daß er nur halb soviel verbrauchte wie früher und daß seine finanziellen Verhältnisse, die in der letzten Zeit, namentlich durch die Schulden seiner ersten Frau, stark zerrüttet gewesen waren, sich wieder zu bessern anfingen.

Das Leben kam ihm jetzt billiger zu stehen, weil es an eine bestimmte Ordnung gebunden war: den teuren Luxus, der darin bestand, so zu leben, daß man seine Lebensweise jeden Augenblick ändern konnte, erlaubte sich Pierre nicht mehr, und er hatte auch nicht die geringste Sehnsucht danach. Er fühlte, daß seine Lebensweise jetzt ein für allemal bis zu seinem Tod fest geregelt sei, und daß es gar nicht in seiner Macht stehe, sie zu ändern, und daß deshalb diese Lebensweise billiger sei.

Pierre packte mit vergnügtem, lachendem Gesicht seine Einkäufe aus.

»Was sagst du hierzu?« sagte er, während er, wie ein Kommis, ein Stück Zeug auseinanderschlug.

Natascha saß ihm gegenüber; sie hatte ihr ältestes Töchterchen auf dem Schoß und ließ ihre glänzenden Augen schnell zwischen ihrem Mann und dem, was er vorzeigte, hin und her gehen.

»Das ist für Fräulein Bjelowa? Wunderschön.« (Sie befühlte die Qualität.) »Das kostet wohl einen Rubel die Elle?«

Pierre nannte den Preis.

»Das ist teuer«, sagte Natascha. »Wie sich die Kinder freuen werden, und Mama! Aber für mich hättest du das nicht kaufen sollen«, fügte sie hinzu, vermochte aber doch nicht ein Lächeln zu unterdrücken, als sie den goldenen, mit Perlen besetzten Kamm betrachtete, wie sie damals gerade Mode wurden.