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»Was?«

»Ach, ein Lump bin ich gewesen, daß ich nicht ein einziges Mal an sie geschrieben und ihnen einen solchen Schrecken eingejagt habe. Gott, was bin ich für ein Lump!« wiederholte er und wurde plötzlich ganz rot dabei. »Aber wie ist’s, hast du Gawrila nach Wein geschickt? Na schön, dann kippen wir mal eine!«

Unter den Briefen von zu Hause befand sich noch ein Empfehlungsschreiben an den Fürsten Bagration, das sich die alte Gräfin auf den Rat Anna Michailownas durch Bekannte zu verschaffen gewußt und ihrem Sohn geschickt hatte, mit der Bitte, es an seine Adresse weiterzugeben und davon Gebrauch zu machen.

»So ein Quatsch! Als ob ich das nötig hätte!« sagte Rostow und warf den Brief unter den Tisch.

»Warum hast du das fortgeworfen?« fragte Boris.

»Ach, so ein Empfehlungsbrief. Hol ihn der Teufel!«

»Warum wünschst du diesen Brief zum Teufel?« sagte Boris, hob ihn auf und las die Adresse. »Der kann dir noch mal sehr nützlich sein.«

»Mir kann gar nichts nützlich sein, denn ich will gar nicht Adjutant werden.«

»Warum nicht?« fragte Boris.

»Lakaiendienst!«

»Du bist noch ganz und gar der alte Schwärmer, wie ich sehe«, sagte Boris und schüttelte den Kopf.

»Und du noch ganz derselbe Diplomat. Na, aber das ist ja Nebensache … Wie geht dir’s eigentlich?« fragte Rostow.

»Na so, wie du eben siehst. Bis jetzt ist noch alles gut gegangen, aber ich muß gestehen, ich möchte viel lieber Adjutant werden und nicht an der Front bleiben.«

»Warum?«

»Darum, weil man sich, wenn man nun einmal die militärische Laufbahn gewählt hat, auch bemühen muß, eine so glänzende Karriere zu machen, wie nur irgend möglich.«

»So, so«, erwiderte Rostow, der sichtlich an etwas anderes dachte.

Er sah seinem Freund aufmerksam und fragend ins Auge und suchte darin offenbar vergeblich die Antwort auf irgendeine Frage zu lesen.

Der alte Gawrila brachte den Wein.

»Wollen wir jetzt nicht Alfons Karlowitsch wieder hereinrufen?« fragte Boris. »Er kann mit dir trinken, ich habe keine Lust dazu.«

»Meinetwegen, meinetwegen. Was ist denn dieser deutsche Fritze eigentlich für ein Bruder?« fragte Rostow mit geringschätzigem Lächeln.

»Ein sehr, sehr guter, anständiger und liebenswürdiger Mensch«, erwiderte Boris.

Rostow sah Boris noch einmal forschend ins Auge und seufzte. Berg kam wieder herein, und bei der Flasche Wein wurde die Unterhaltung zwischen den drei Offizieren immer lebhafter und lebhafter. Die Gardeoffiziere erzählten Rostow von ihrem Marsch, wie man sie in Rußland, in Polen und im Ausland gefeiert habe, erzählten von den Worten und Taten ihres Kommandeurs, des Großfürsten, und gaben Anekdoten von seiner Herzensgüte und seinem aufbrausenden Wesen zum besten. Berg, der wie gewöhnlich, wenn eine Sache nicht ihn persönlich anging, geschwiegen hatte, fing, als die Rede auf das leicht aufbrausende Wesen des Großfürsten kam, mit Wonne zu erzählen an, wie es ihm in Galizien einmal geglückt sei, mit dem Großfürsten zu sprechen, als dieser die Front des Regiments abgeritten und sich über die Unregelmäßigkeit des Vorrückens geärgert habe. Mit liebenswürdigem Lächeln erzählte er, wie der Großfürst in höchstem Zorn auf ihn losgeritten sei und ihn angeschrien habe: »Ihr Arnauten[74]!« – Arnauten war das Lieblingswort Seiner Hoheit, wenn er sich in höchster Wut befand – und den Kompanieführer verlangt habe.

»Glauben Sie mir, Graf, ich fürchtete mich ganz und gar nicht, weil ich wußte, daß ich im Recht war. Wissen Sie, Graf, ich kann wohl, ohne mich zu loben, sagen, daß ich die Regimentsbefehle immer auswendig weiß und das Reglement ebenso gut kenne wie das Vaterunser. Deshalb wird auch in meiner Kompanie nie etwas versäumt, Graf. Also war mein Gewissen auch vollkommen ruhig. Ich trat vor.« Berg stand auf und stellte mimisch dar, wie er vorgetreten war und salutiert hatte, und wirklich hätte wohl kaum jemand mehr Ehrerbietung und Selbstvertrauen auf seinem Gesicht zeigen können. »Da hat er mich nun angeschnauzt und mir den Kopf gewaschen und mich auf Tod und Teufel heruntergeputzt, wie man zu sagen pflegt, und mir ›Arnauten‹, ›Teufelspack‹ und ›nach Sibirien‹ an den Kopf geworfen«, sagte Berg mit bedeutsamem Lächeln, »ich aber schwieg, denn ich wußte ja, daß ich im Recht war, nicht wahr, Graf? ›Du bist wohl taub? Was?‹ brüllte er mich an. Ich schwieg immer noch. Und was glauben Sie wohl, Graf? Am nächsten Tag kein Wort davon im Befehl, da sieht man, was es heißt, nicht den Kopf zu verlieren! Ja, ja, das ist Tatsache, Graf«, schloß Berg, zog an seiner Pfeife und blies Ringe in die Luft.

»Das haben Sie ja großartig gemacht«, meinte Rostow lachend.

Doch Boris merkte, daß Rostow nahe daran war, sich über Berg lustig zu machen, und er lenkte geschickt das Gespräch auf etwas anderes über. Er bat Rostow, doch zu erzählen, wann und wo er verwundet worden sei. Rostow war gleich dabei, fing an zu erzählen und wurde, je weiter er in seinem Bericht kam, immer lebhafter und lebhafter. Er erzählte ihnen sein Schöngraberner Abenteuer ganz so, wie gewöhnlich Schlachtenteilnehmer ein Treffen zu schildern pflegen, das heißt so, wie sie gewünscht hätten, daß es gewesen wäre, so, wie sie es von anderen gehört haben, so wie es sich netter erzählen läßt, aber ganz und gar nicht so, wie es in Wirklichkeit gewesen ist. Rostow war ein ehrlicher junger Mensch, er hätte nicht um alles in der Welt bewußt eine Unwahrheit gesagt. Er fing seine Erzählung mit der Absicht an, alles so darzustellen, wie es in Wirklichkeit gewesen war, geriet aber allmählich unwillkürlich und unaufhaltsam ins Fabulieren. Wenn er diesen Zuhörern, die, ganz wie er selber auch, schon eine solche Menge Schilderungen von Reiterattacken gehört und sich in ihrem Kopf eine ganz bestimmte Vorstellung davon zurecht gemacht hatten, was eben das Wesentliche bei solch einer Attacke war, und eben auch genauso eine Schilderung erwarteten – wenn er diesen Zuhörern den ganzen Hergang der Wahrheit gemäß erzählt hätte, so hätten sie ihm entweder keinen Glauben geschenkt oder, was noch schlimmer gewesen wäre, gedacht, daß es Rostows eigne Schuld sei, wenn er nicht das, was sonst immer bei einer Kavallerieattacke zu geschehen pflegt, erlebt hätte. Er konnte ihnen doch nicht einfach erzählen, daß sie alle im Trabe dahingeritten, er vom Pferde gefallen, sich dabei den Arm verrenkt und dann Hals über Kopf vor den Franzosen ausgerissen sei, in einen Wald hinein. Außerdem hätte er, wenn er wirklich alles der Wahrheit gemäß hätte berichten wollen, sich einen wahren Zwang antun müssen, um alles so zu erzählen, wie es tatsächlich gewesen war. Die reine Wahrheit zu erzählen ist sehr schwer, und junge Leute bringen das nur selten fertig. Seine Gefährten erwarteten zu hören, wie er, sich selber vergessend, vom heiligen Feuer entbrannt, wie der Sturmwind auf den Feind losgesprengt sei, seine Reihen durchbrochen, nach rechts und links um sich geschlagen und seinen Säbel in Menschenblut getaucht habe und dann plötzlich erschöpft umgesunken sei und dergleichen mehr. Und so erzählte er ihnen denn auch sein Abenteuer in dieser Art.

Mitten in seinem Bericht, gerade als er sagte: »Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein sonderbares Gefühl der Raserei man bei solch einem Angriff empfindet«, trat Fürst Andrej Bolkonskij ins Zimmer, der von Boris erwartet wurde. Fürst Andrej, der sich gegen junge Leute gern gönnerhaft zeigte, und sich geschmeichelt fühlte, wenn jemand ihn um Protektion anging, wollte den Wunsch des jungen Mannes erfüllen, da er Boris wohlgeneigt war und ihm der junge Mann gestern gut gefallen hatte. Er war heute von Kutusow mit Papieren zum Großfürsten gesandt worden und hatte bei dieser Gelegenheit Boris mit aufsuchen wollen in der Hoffnung, ihn allein anzutreffen. Als er nun ins Zimmer trat und dort einen Husaren von der Linie sitzen sah, der Kriegsabenteuer erzählte – eine Sorte von Menschen, die Fürst Andrej nicht ausstehen konnte –, lächelte er Boris freundlich zu, sah Rostow finster und mit zusammengekniffenen Augen an, verbeugte sich leicht und ließ sich dann müde und lässig auf den Diwan nieder. Es war ihm unangenehm, daß er in eine solche Gesellschaft geraten war. Rostow fühlte das und bekam einen roten Kopf. Es war ihm zwar vollkommen gleichgültig, denn das war ja ein ganz fremder Mensch, aber er warf einen Blick auf Boris und sah, daß auch er sich der Gegenwart dieses Husaren von der Linie zu schämen schien. Trotz des widerlich spöttischen Tones des Fürsten Andrej, trotz der allgemeinen Nichtachtung, die Rostow von seinem Standpunkt als Linienoffizier allen diesen Adjutanten vom Stabe entgegenbrachte, denen offenbar dieser Ankömmling ebenfalls beizuzählen war, wurde Rostow doch verlegen, errötete und schwieg. Boris fragte, was es Neues beim Stab gebe, und was man, ohne indiskret zu sein, über unsere künftigen Pläne erfahren könne.

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74

Arnauten: aus Albanern gebildete Söldnertruppe, vom Großfürsten als »fremdländisch« und unzuverlässig verachtet.