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»Nein«, antwortete O'Donnell, »Sie haben es sehr gut ausgedrückt.« Er empfand Triumph und Hoffnung. Sein Instinkt hatte ihn nicht getäuscht: er hatte gut gewählt. Er sah voraus, daß sie beide, er als Chef der Chirurgie und Coleman als Direktor der Pathologie, gut zusammen paßten. Sie würden weiterstreben und aufbauen, und durch sie würde das Three Counties Hospital gedeihen. Nicht alles, was sie leisteten, würde vollkommen sein. Das gab es nicht. Es würden Mängel und Versager auftreten, aber wenigstens hätten sie die gleichen Ziele, folgten sie den gleichen Empfindungen. Sie mußten in engem Kontakt bleiben. Coleman war jünger als er, und es gab Gebiete, auf denen O'Donnell ihm durch seine größere Erfahrung helfen konnte. In den letzten Wochen hatte der Chef der Chirurgie selbst viel dazugelernt. Er hatte gelernt, daß Eifer ebenso unausweichlich zur Überheblichkeit führen konnte wie Gleichgültigkeit und daß man auf vielen Wegen auf Katastrophen stieß. Aber von nun an wollte er in jeder Richtung gegen Überheblichkeit kämpfen, und die Pathologie mit dem jungen Dr. Coleman an ihrer Spitze konnte dabei ein starker, rechter Arm sein.

Ihm kam ein Gedanke. Er fragte: »Noch etwas. Was halten Sie von Joe Pearson und von der Art seines Ausscheidens?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete David Coleman, »ich wollte, ich wüßte es.«

»Es ist gar nicht so schlecht, wenn man manchmal unsicher ist. Es behütet uns vor einer Erstarrung des Denkens.« O'Donnell lächelte. »Es gibt bei Dr. Pearson einiges, das Sie meiner Meinung nach wissen sollten. Ich habe mich mit einigen der älteren Ärzte hier unterhalten. Sie berichteten mir über seine Tätigkeit hier, über die auch ich nicht viel wußte. Joe Pearson hat in den zweiunddreißig Jahren hier viel für das Krankenhaus getan, Dinge, die heute zum größten Teil vergessen sind und die Leute, wie Sie und ich, kaum Gelegenheit haben zu erfahren. Er hat die Blutbank eingerichtet, müssen Sie wissen. Heute erscheint es unverständlich, aber damals gab es eine ziemlich starke Opposition dagegen. Dann setzte er sich für die Bildung eines Gewebeausschusses ein. Man hat mir gesagt, daß eine ganze Reihe Ärzte ihn deswegen erbittert bekämpfte, aber er setzte den Ausschuß durch und trug damit viel dazu bei, den Standard der Chirurgie hier zu heben. Joe hat auch Forschungsarbeiten durchgeführt - über die Ursache und das Auftreten von Schilddrüsenkrebs. Der größte Teil seiner Arbeit hat heute allgemeine Anerkennung gefunden, aber nur wenige erinnern sich, daß sie von Joe Pearson stammt.«

»Davon wußte ich nichts«, sagte Coleman. »Danke, daß Sie es mir mitgeteilt haben.«

»Nun, Dinge dieser Art werden vergessen. Joe führte auch vieles Neue in den Labors ein - neue Tests, neue Geräte. Unglücklicherweise kam dann die Zeit, in der er das Neue vernachlässigte. Er ließ sich selbst treiben und fuhr sich in alten Geleisen fest. Das geschieht manchmal.«

Plötzlich dachte Coleman an seinen Vater, an seinen starken Verdacht, daß das sensibilisierte Blut, das das Kind der Alexanders tötete, von einer der Transfusionen stammte, die sein Vater vor Jahren angeordnet und gegeben hatte - gegeben hatte, ohne den Rh-Faktor festzustellen, obwohl die Gefahren damals schon bekannt waren.

»Ja«, bestätigte er, »das kommt wohl vor.«

Beide waren aufgestanden und zur Tür gegangen. Als sie hinaustraten, sagte O'Donnell leise: »Es ist für uns alle gut, wenn wir Mitgefühl haben, verstehen Sie? Man weiß nie, ob man es eines Tages nicht selbst braucht.«

Lucy Grainger sagte: »Sie sehen müde aus, Kent.«

Es war früh am Nachmittag, und Kent war im Hauptgang im Erdgeschoß stehengeblieben. Ohne daß er es bemerkte, war sie neben ihn getreten.

Liebe Lucy, dachte er - sie ist unverändert, warm und zartfühlend, ein schutzverheißender Hafen in einem wogenden Meer der Ungewißheit.

War es wirklich kaum eine Woche her, daß er erwogen hatte, Burlington zu verlassen und Denise zu heiraten? Im Augenblick schien das alles so fern zu liegen, ein sehnsüchtiges Zwischenspiel, das heute nichts mehr bedeutete. Hier gehörte er hin, an diesem Ort lag sein Schicksal, im Guten oder Bösen.

Er ergriff sie am Arm. »Lucy, wir müssen uns bald sehen. Es gibt so vieles zu besprechen.«

»Gern.« Sie lächelte voller Zuneigung. »Sie können mich morgen zum Abendessen einladen.«

Nebeneinander gingen sie durch den Gang, und es gab ihm irgendwie Zuversicht, daß sie neben ihm war. Er betrachtete ihr Profil und erkannte mit Gewißheit, daß ihnen gemeinsam noch vieles Gute bevorstand. Vielleicht brauchte es Zeit, sich einander anzupassen. Aber schließlich, das wußte er, würden sie ihre gemeinsame Zukunft finden.

Lucy dachte: Träume werden doch wahr. Meiner auch -vielleicht irgendwann bald.

In der Pathologie dämmerte es früh. Das kam daher, daß sie im Souterrain des Krankenhauses untergebracht war. Als David Coleman das Licht einschaltete, beschloß er, als eines seiner ersten Ziele durchzusetzen, daß die Abteilung bessere Räume erhielt. Die Tage, in denen die Pathologen automatisch in die abgelegenen Räume der Krankenhäuser verbannt wurden, waren vorüber. Licht und Luft waren für sie eine ebenso wichtige Voraussetzung wie für jeden anderen Zweig der Medizin.

Er trat in die Pathologie und fand Pearson an seinem Schreibtisch. Der alte Mann leerte die Schubladen. Als Coleman eintrat, sah er auf.

»Komisch«, sagte er, »wieviel Müll sich in zweiunddreißig Jahren ansammelt.«

Einen Augenblick beobachtete David Coleman ihn. Dann sagte er: »Es tut mir leid.«

»Ihnen braucht nichts leid zu tun«, antwortete Pearson grob. Er schloß die letzte Schublade und schob Papiere in seine Aktentasche. »Ich habe gehört, Sie bekommen einen neuen Posten. Gratuliere.«

Coleman antwortete aufrichtig: »Ich wünschte, es wäre auf andere Weise zustande gekommen.«

»Zu spät, sich darum zu sorgen.« Pearson schnappte den Verschluß der Aktentasche zu und sah sich suchend um. »Das ist, glaube ich, alles. Wenn Sie noch etwas finden, können Sie es mir ja mit meiner Pension zuschicken lassen.«

»Ich möchte Ihnen noch etwas sagen«, begann Coleman.

»Was gibt es?«

Coleman wählte seine Worte überlegt. »Die Lernschwester, der das Bein amputiert wurde - ich habe das Bein heute morgen seziert. Sie hatten recht. Ich habe mich geirrt. Es war bösartig -ohne jeden Zweifel ein Osteosarkom.«

Der alte Mann schwieg. Es hatte den Anschein, als wäre er in Gedanken weit fort.

»Ich bin froh, daß ich mich nicht geirrt habe«, sagte er dann langsam, »in diesem Fall wenigstens nicht.«

Er nahm seinen Mantel und ging zur Tür. Er schien im Begriff, hinauszugehen, drehte sich dann um. Fast schüchtern fragte er: »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen einen Rat gebe?«

Coleman schüttelte den Kopf. »Aber nein, bitte.«

»Sie sind jung«, sagte Pearson. »Sie sind voller Saft und Kraft. Das ist gut. Sie können auch etwas. Sie sind auf dem laufenden, wissen Dinge, von denen ich nie etwas gehört habe und die ich nie mehr lernen werde. Folgen Sie meinem Rat: versuchen Sie, so zu bleiben. Es wird schwer werden. Geben Sie sich darüber keiner Täuschung hin.« Er winkte zu dem Schreibtisch, den er gerade ausgeräumt hatte. »Sie werden in dem Stuhl da sitzen, und dann klingelt das Telefon, und es ist der Verwaltungsdirektor, der Ihnen wegen des Etats in den Ohren liegt. In der nächsten Minute kommt einer aus dem Labor und will kündigen. Und Sie müssen ihm das ausreden. Und die Ärzte kommen und wollen dies und jenes wissen.« Der alte Mann lächelte dünn. »Dann kommen die Vertreter, der Mann mit den unzerbrechlichen Reagenzgläsern und dann der mit dem Brenner, der nie ausgeht. Und kaum sind Sie mit dem fertig, kommt wieder einer und noch einer und noch einer. Und wenn der Tag vorbei ist, fragen Sie sich verwundert, wo er geblieben ist und was Sie geleistet, was Sie vollbracht haben.«